WiSe 2017-2018, MA - Inside-Out | Verkehrte Welt

Inside-Out | Verkehrte Welt

Rosa Parks, Detroit – Ryan Mendoza, Berlin (Bild: Clemens Helmke, 2017)

Stofflichkeit in der Architektur und Raumbilder des Inneren. ‹Die Themen sind naturgemäß immer dieselben, das ist offensichtlich. Jeder von uns hat sein eigenes Thema und darin bewegt er sich.›(Thomas Bernhard) Es gibt Schriftsteller, die ihr ganzes Leben lang immer dasselbe Buch schreiben. Es gibt Architekten die ihr ganzes Leben damit verbringen immer dasselbe Haus zu entwerfen und (...) die ihr ganzes Leben damit verbringen, auf denselben Kunden zu warten: auf sich selbst. Raumbilder des Inneren, der Raum und sein Imaginäres, geborgen im umgebenden Raum beschreibt die Aufgabe unseres Projekts. Die Architektur und die Konstruktion setzt etwas ‹Behagliches› (cosy) voraus; ‹cosy›, heißt übersetzt wohnlich; etwas Innerliches. « (...) der gelebte Raum vermittelt durch seine Bilder Symbole die ihn begleiten, also ein Raum der ‹Bewohner›, der ‹Benutzer›, aber auch bestimmter Künstler, vielleicht am ehesten derjenigen, die beschreiben und nur zu beschreiben glauben: die Schriftsteller und Philosophen. Es ist der beherrschte und erlittene Raum, den die Einbildungskraft zu verändern und sich anzueignen sucht.»(1) 

In den Betrachtungen des Philosophen Gaston Bachelard handelt es sich um eine «Poetik des Raums», also um Besetzungen des Raums, wie sie sich durch Raumbilder ausdrücken: «Der von der Einbildungskraft erfasste Raum kann nicht der indifferente Raum bleiben, der den Messungen und Überlegungen des Geometers unterworfen ist.   Er wird erlebt. Und er wird nicht nur in seinem realen Dasein erlebt, sondern mit allen Parteinahmen der Einbildungskraft.»(2) «Was auch immer ‹Raum› und ‹Zeit› für eine Bedeutung annehmen, Ort und Ereignis bedeuten mehr. (...) Der Raum bietet keinen Ort und die Zeit keinen Augenblick. Mach aus jeder Tür einen Empfang, und gib jedem Fenster ein Gesicht. Mach aus jedem einen Ort; eine Fülle von Orten aus jedem Haus und jeder Stadt.» (3)

Zitate:

(1) Henri Lefebvre, Production of Space, 1974 

(2) Gaston Bachelard, Poetik des Raums, (1957) Frankfurt/Main 1987

(3) Aldo van Eyck, 4. Forum, Amsterdam 1960  

Bemerkungen:

1.-3. Projektmodul (Master) – 12LP
Entwurf: 8 SWS, Vl / Seminar: 2 SWS,  Exkursion: 2 SWS
Die Teilnahme am Seminar Fragment ist erwünscht.

Unfinished | Zurückgelassenes Material

Marseille (Bild: Clemens Helmke 2013)

Ein Raum  des Transfers. «Brauchen Wohnen Nehmen»(1) ist der Titel eines Essays, den der Philosoph Hannes Böhringer Werner Oechslin widmete. Er schreibt: «Fünfminutenpause nach Heideggers Vortrag. Was können die Architekten, die zugehört haben, mit der Rede des Philosophen anfangen? Sie nennen sich selbst ‹Baumeister›, ähnlich altertümlich, wie Heidegger gesprochen hatte. Das Bauen sei eigentlich ein Wohnen, hatte er gesagt. Darauf deuteten schon die Wurzeln der Worte. Das Wohnen aber müsse man erst wieder lernen. Denn das sei die eigentliche Wohnungsnot: sich bei Dingen aufzuhalten. (...) Ortega y Gasset spricht über den Menschen als das unangepasste, heimatlose Tier, das die Technik braucht, um die Umwelt sich selbst anzupassen. Wie kommt es zur Technik? (...) möglicherweise hat sich einmal, aber dauerhaft, sein Gehirn vergrößert. Damit hat der Mensch zu viel Innerlichkeit und Einbildungskraft gewonnen. Er stellt sich vor was nicht ist, aber sein könnte, was zu tun wäre. Das macht ihn zwar ständig ‹unzufrieden›, er hat die Qual der Wahl, aber er gewinnt mit ihr Freiheit. (...) Ortega y Gassets Anthropologie erinnert an die Gehlens: «Der Mensch ist von Natur aus nicht auf Kontemplation, Ruhe, Wohnen und Denken angelegt, sondern auf Zugriff, Handeln und Herstellen. Ständig hat er irgendetwas zu tun und zu machen. Das Nachdenken kommt immer hinterher, immer zu spät.»(2) Im Projekt arbeiten wir mit Räumen im Übergang: das Rohbau-Skelett, die Ruine, die Brache. Die Aneignung der unvollendeten Substanz ermöglicht uns Differenzierungen, die einhergehen mit einem Wandel der ‹gesellschaftlichen Semantik›. Unser Projekt widmet sich einem «zurückgelassen Material»; einer ‹Schrottimmobilie›, wie es im Volksmund heißt. Sie steht einfach da, unberührt; wird erobert von Fauna & Flora. Gedanken und Erzählungen fließen in den Entwurf ein: das Rosenzimmer bei Adalbert Stifter; Gordon Matta Clark, Rachel Whiteread, Joseph Frank, Niki de Saint Phalle, Matt Mullican im Mikrokosmos der Assoziation und viele Andere. «Das Abwesende interpretiert Lefebvre räumlich als ‹Anderswo›, als ‹U-Topie›, die als «Anwesenheit-Abwesenheit» den urbanen Raum ‹mitbevölkert› und als Drittes, Anderes, das eine andere Welt möglich macht.»(3)

Zitate:

(1) Otto Bartning: Darmstädter Gespräch: Mensch und Raum, Darmstadt 1952, Heidegger: Bauen Wohnen Denken in: Hannes Böhringer: Aufsatz: Brauchen Wohnen Nehmen, gta Verlag, Zürich 2004
(2) Arnold Gehlen: Der Mensch: Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940), Frankfurt 1993
(3) Henri Lefebvre, Revolution der Städte, Hamburg 2014 

Bemerkungen:

1.-3. Projektmodul (Master) – 12LP
Entwurf: 8 SWS, Vl / Seminar: 2 SWS,  Exkursion: 2 SWS
Die Teilnahme am Seminar Fragment ist erwünscht.