Forschung und Kunst

Foto: Johannes_Heppner

„Da lag Preßwitz schräg drinne“

Sandra Rücker beschäftigt sich mittels künstlerischer Forschung mit erinnerungskulturellen Praktiken ländlicher Räume. Im Rahmen ihrer Examensarbeit, welche künstlerisch durch die Professur Experimentelles Radio (M.F.A. Elena Zieser) und wissenschaftlich durch die Professur Kunst und ihre Didaktik (Prof. Dr. Andrea Dreyer) betreut wurde, setzt sie sich mit dem Heimatort ihrer Familie, welcher 1938 evakuiert und zugunsten des Baus der Talsperre Hohenwarte geflutet wurde, auseinander.

Im Rahmen dessen entstand eine künstlerische Forschungsarbeit, welche die transgenerationalen Langzeitfolgen innerfamiliärer Heimatverluste untersucht.
Diese unternimmt den Versuch, soziologische, kultur- und geschichtswissenschaftliche Gedächtnistheorien und -modelle auf den konkreten Gedächtnisbestand um »Preßwitz« anzuwenden. Mittels Methoden der ethnografischen Feldforschung wurde das rezente Gedächtnis von Preßwitz, unter anderem durch leitfadengestützte Interviews mit Nachfahren Preßwitzer Familien, durch Dokumentenanalysen von Archivmaterial und durch Gedächtnisprotokolle zur Verhandlung von Preßwitz als ein Teil der eigenen Identität untersucht.

Auf Grundlage dessen schrieb und produzierte Sandra Rücker einen Audiowalk als performativen Erinnerungsort für Preßwitz. Dieser leitet seine Hörenden in einem Boot sitzend über die Wasseroberfläche der Talsperre Hohenwarte zu den authentischen Koordinaten der gefluteten Wüstung. Was die idyllisch von Ferienhäuschen und Nadelwäldern flankierte Fjordlandschaft im Oberen Saaletal kaum erahnen lässt, befördern die Hörenden mit jedem Ruderschlag zurück an die Wasseroberfläche. Sei es die Sehnsucht seiner einstigen Bewohner*innen nach der im Staubereich zurücklassen Heimat oder die Erinnerungen an eine innige Dorfgemeinschaft, die sich mit der Umsiedlung auflöste. Seien es die Geheimnisse der Großmutter, die aufgrund ihres Heimatverlustes nicht sprach oder die längst überholt erscheinenden ortstypischen Traditionen und Bräuche. Seien es die militärischen Kriegsvorbereitungen durch die Wehrmacht in den Ruinen des Dorfes oder die Zwangsarbeit, durch welche die Talsperre erbaut wurde.
Der auditive Erinnerungsort für Preßwitz zielt darauf ab, für die transgenerationale Bedeutung von Heimatverlusten zu sensibilisieren und Bewusstsein für die Talsperre Hohenwarte als nationalsozialistische Erbe zu schaffen.