Die Tagung wird vom 9.- 11. Dezember 2021 im Audimax der Bauhaus-Universität Weimar, Steubenstraße 6, Haus F stattfinden. Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch.
Programm zum Herunterladen (Stand Dezember 2021)
Die Planung von Stadt und Raum geschieht in der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage einer parlamentarischen Demokratie und einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Dies gilt auch für viele andere Länder. Deshalb stehen solche gesellschaftspolitischen Verhältnisse im Zentrum unserer wissenschaftlichen und fachpolitischen Praxis. Aber schon der Blick auf weitere europäische Länder macht uns darauf aufmerksam, dass solche Verhältnisse nicht selbstverständlich sind. Wenn wir einen Schritt weiter gehen und den Städtebau und die Siedlungsstrukturen in der heutigen Bundesrepublik und den meisten anderen europäischen Ländern betrachten, werden wir daran erinnert, dass in der Vergangenheit die Verbindung von parlamentarischer Demokratie und kapitalistischer Marktwirtschaft nur eine unter vielen Formen politischer Herrschaft war. Unsere Städte, Landschaften und Regionen tragen noch die Züge anderer, zuweilen ganz anderer Verhältnisse.
Bei der Ausbildung der Fachleute, die in den unterschiedlichen Feldern der räumlichen Planung und Forschung Verantwortung übernehmen werden, wird immer wieder auf die gesellschaftspolitischen Determinanten der Produktion von Städtebau, Region und Territorium verwiesen. Wie sich jene Determinanten – die ja nicht nur das innenpolitische System einschließen, sondern auch ökonomische und kulturelle, demographische, zuweilen gar militärstrategische Bedingungen, um nur einige aufzuzählen – auf die räumliche Planung niederschlagen, wird bestenfalls angedeutet. Dies mag darin eine Erklärung finden, dass die Verbindung von Gesellschaftspolitik und räumlicher Planung wenig systematisch erforscht wird.
Dabei hat die internationale Planning Historiography in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Neueste Publikationen betonen die geographische und kulturelle Vielfalt der räumlichen Planung, ebenso wie die Notwendigkeit, das jeweils Eigene nicht für das Selbstverständliche oder das Allgemeingültige zu halten. Der Zusammenhang zwischen Herrschaftsform und Planung wird allerdings meistens nur im Zusammenhang mit spektakulären Repräsentationsbauten zur tragenden Forschungsfrage. Viel öfter wird räumliche Planung nur aus sich selbst heraus erklärt. Offen bleibt dann die Prägung der Produkte von Planung – etwa Entwürfe, Planwerke und große Entwicklungsprogramme, auch städtebauliche sowie territoriale Strukturen ¬– durch Gesellschaftspolitik. Weniger beleuchtet wird, wie diese Produkte zustande kamen, welche fachlichen und gesellschafts-politischen Konstellationen sie hervorbrachten, wie die planerischen Fachdisziplinen dabei eingesetzt wurden, welchen Absichten räumliche Planung zu folgen oder zu gehorchen hatte, welche Folgen planerische Maßnahmen hatten. Kaum erfahren wir, inwiefern eine Eigenlogik des Faches zum Tragen kam, wie weit sich Fachleute auf ihr Wissen und ihre Verantwortung beriefen, um zu korrigieren oder gar intellektuell und tatkräftig zu opponieren.
Erschwert wird die Suche nach dem Besonderen der Produktion von Stadt und Raum unter bestimmten politischen Herrschaftsformen natürlich durch offensichtliche Synchronien und Konvergenzen der funktionalen Programme, der städte-baulichen Morphologie und der Siedlungsstrukturen, die sich teilweise mit dem Entwicklungsstadium der Industrialisierung und der internationalen Konkurrenz sowie dem lebhaften fachlichen Austausch über alle Grenzen hinweg erklären lassen. Ist es deshalb unerheblich, unter welchen gesellschaftspolitischen Bedingungen geplant wird?
Unsere Tagung verbindet explorative Neugier mit einer induktiven Kasuistik. Wir greifen auf Ergebnisse von Forschungsprojekten – die zum Teil an unserer Universität durchgeführt wurden – zurück, die die räumliche Planung unter sehr unterschiedlichen Herrschaftsformen untersucht haben. Wir befragen auch Verantwortliche für den praktischen Umgang mit den Strukturen und Objekten, die sehr diverse Herrschaftsformen hinterlassen haben. Wir gruppieren die unterschiedlichen Fallstudien nach Epochen und überlassen das Einordnen und Klassifizieren der Diskussion und nachträglicher Reflexion.
Vier Sektionen strukturieren die Tagung. Wir erkunden in einem ersten Schritt das Verhältnis zwischen der räumlichen Planung und den diktatorischen Herrschaftsformen, die sich seit den 1920er Jahren herausbildeten. Die zweite Sektion fragt nach dem Spezifischen der räumlichen Planung in den staatssozialistischen Gesellschaften, die sich im 20. Jahrhundert als Pendant zum Kapitalismus definierten und Jahrzehnte bestanden – eine von ihnen besteht noch. Die dritte Sektion setzt hier an: Der Staatssozialismus brachte städtebauliche wie territoriale Strukturen, produktive wie sozialräumliche Verteilungsmuster sowie ein raum-kulturelles Verständnis hervor, die allesamt nach 1990 unter dem eleganten Namen Transformation in kapitalistische Verhältnisse zurückgeführt wurden und seitdem diverse Praxen und Diskurse räumlicher Entwicklung und räumlicher Entwicklungspolitik zeitigen. Schließlich wenden wir uns in der vierten Sektion der Art und Weise zu, wie unter den sich wandelnden Bedingungen der jeweiligen Vergangenheitspolitik Beispiele des städtebaulichen Erbes behandelt werden, die als explizite Symbole vergangener Herrschaftsformen errichtet wurden.
Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Die ganze Veranstaltung moderieren abwechselnd Victoria Grau und Jannik Noeske.
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