Workshopreihe 2021–2023

Workshopreihe des Netzwerks der Weimarer Wohnungsforschung

Eine Workshopreihe des Netzwerks der Weimarer Wohnungsforschung der Bauhaus-Universität Weimar widmet sich aktuellen Fragen der Wohnungsforschung zu Boden, Infrastruktur, Praktiken und Methoden. Ziel der vom Institut für Europäische Urbanistik (IfEU) organisierten Veranstaltungsreihe ist der interdisziplinäre fachliche Dialog zwischen Wohnungsforscher*innen vor dem Hintergrund, dass Lösungen für drängende Fragen einer sozial gerechten Wohnraumversorgung nur im Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis und unter Beteiligung verschiedener Disziplinen gefunden werden können.

In der nunmehr zweiten Workshopreihe des Netzwerks stellen im Lauf von zwei Jahren Wissenschaftler*innen aus dem In-und Ausland und Vertreter*innen der Wohnungswirtschaft sowie Planer*innen aus der Praxis unterschiedliche Perspektiven der interdisziplinären Wohnungsforschung ins Zentrum: aktuelle Belange der Wohnungsforschung in und durch die Pandemie, drängende Fragen zur Schaffung bezahlbaren Wohnungs(neu)baus und das Ausloten alternativer Eigentumsmodelle. Auch zukunftsrelevante Themen wie die Transformation und der Erhalt des Wohnbestands, die Wohnraumversorgung als Infrastruktur im Wohlfahrtsregime und empirischen Methoden zur Beschreibung des Wohnens mit dem Ziel der Ermittlung konkreter Wohn(raum)bedarfe werden thematisiert. Die achteilige Reihe wird ergänzt durch ein interdisziplinäres Doktorand*innen-Kolloquium, zu dem Nachwuchsforscher*innen eingeladen sind, diese Themen mit ihren Ansätzen zu bereichern und einem Gremium hochkarätiger Fachreferent*innen zur Diskussion vorzustellen. Nach einem Auftakttreffen der Netzwerkmitglieder im Juli dieses Jahres startet die Reihe am 26. November 2021 mit einem von Dr. Lisa Vollmer und Prof. Barbara Schönig initiierten Workshop zur »Wohnungsversorgung als Infrastruktur: Zwischen analytischem Konzept und gesellschaftlichem Programm«.

Die Workshops sind inhaltlich eingebettet in den Forschungskontext des 2018 gegründeten Netzwerks der Weimarer Wohnungsforschung. Unterstützt wird die Reihe durch die Ernst-Abbe-Stiftung, Jena.

Das Netzwerk der Weimarer Wohnungsforschung ist ein Zusammenschluss von ehemaligen und aktuellen Wissenschaftler*innen der Bauhaus-Universität Weimar aus den Bereichen Stadtplanung, Soziologie, Architektur, Kulturwissenschaft, Urbanistik, Politikwissenschaft und Humangeographie. Mit den Workshops wird die erfolgreich im Jahr 2018 erstmalig durchgeführte Workshopreihe »Wohnungsfrage(n) ohne Ende«, aus der u.a. die Schriftenreihe »Interdisziplinäre Wohnungsforschung« (transcript-Verlag) hervorgegangen ist, fortgesetzt und verstetigt. Die Reihe möchte die interdisziplinäre universitäre Wohnungsforschung stärken und ausbauen.

Workshopüberblick

1. Kick-Off

1. Juli 2021

Wie Corona unsere Forschung beeinflusst hat? Austausch der Netzwerkmitglieder zu aktuellen Forschungen und Vorhaben sowie Fragestellungen und Themen, die sich aus der aktuellen Situation in der Pandemie ergeben.

2. Wohnungsversorgung als Infrastruktur: Zwischen analytischem Konzept und gesellschaftlichem Programm

26. November 2021

Dr. Lisa Vollmer, Prof. Dr.-Ing. Barbara Schönig

Ankündigung

Die Wohnraumversorgung wird in Überblickwerken der Infrastrukturforschung äußerst selten als Infrastruktur genannt, teils sogar explizit ausgeschlossen, obwohl sie viele Merkmale wie hohe Investitionssummen, Langlebigkeit und einen gewissen Bedarf an zentraler Planung mit anderen Infrastrukturen teilt. Der Workshop stellt die Frage, woher diese Ausklammerung kommt und inwiefern eine Betrachtung der Wohnraumversorgung als Infrastruktur möglich und sinnvoll ist. Gemeinsam mit Wissenschaftler*innen aus der Wohlfahrtsregimeforschung, der Stadt- und der Infrastrukturforschung wollen wir erörtern, wie die Wohnraumversorgung als Infrastruktur konzeptualisiert werden kann und welche Konsequenzen sich für die empirische Betrachtung der Wohnungsversorgung als Infrastruktur ergeben.

Programm

09:00-09:30 Ankommen, Begrüßung, Vorstellungsrunde, Thesen von Prof. Dr. Barbara Schönig, Dr. Lisa Vollmer

09:30-10:00

Infrastrukturen als soziotechnische raumwirksame Konfiguration im Wandel

Stadtforschung/Infrastrukturforschung: Prof. Dr. Jochen Monstadt

Infrastrukturgeschichte: Dr. Jan Hansen
10:00-10:30 Pause

10:30-11:30

Infrastrukturen als ökonomisches Gut

Prof. Dr. Thorsten Becker

Dr. Leonard Plank (Foundational Economy)
11:30-12:30 Mittagspause

12:30-13:30

Infrastruktur als normatives Konzept

Wohlfahrtsforschung: Prof. Dr. Hans-Jürgen Bieling, Johanna Betz

Ethnologie: Dr. Sascha Roth
13:30-15:00 abschließende Diskussion

Workshopbericht


Die Wohnungsversorgung wird in Überblickwerken der Infrastrukturforschung äußerst selten als Infrastruktur genannt, teils sogar explizit ausgeschlossen, obwohl sie viele Merkmale wie hohe Investitionssummen, Langlebigkeit und einen gewissen Bedarf an zentraler Planung mit anderen Infrastrukturen teilt. Woher kommt diese Ausklammerung? Gibt es aktuelle Ansätze, die Wohnen als Infrastruktur denken? Und wie könnte die Wohnungsversorgung als Infrastruktur konzeptualisiert werden?

Diese Fragen stellten Barbara Schönig und Lisa Vollmer in einem Eingangsinput an die eingeladenen Gäste des ersten Workshops in der neuen Reihe wissenschaftlicher Workshops der Weimarer Wohnungsforschung, der angesichts der pandemischen Lage leider online stattfinden musste. Jan Hansen näherte sich dem Thema aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive und legte das Potential dar, Infrastruktur als analytische Linse anzulegen, um etwa die in Infrastrukturen eingeschriebenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse gleichermaßen wie die Aneignungspotentiale durch Nutzer:innen in den Blick zu nehmen. Im Anschluss stellte Thorsten Beckers eine Betrachtung der Wohnungsversorgung aus institutionenökonomischer Sicht dar, die es ermöglicht sie als Infrastruktur zu denken. Hans-Jürgen Bieling und Johanna Betz betonten die grundlegende Bedeutung von Infrastrukturen für das Funktionieren von Gesellschaft und die dadurch notwendige staatliche Gewährleistung aus der Perspektive der Wohlfahrtsregimeforschung. In diesem Sinne sei Wohnen als Infrastruktur zu verstehen. Sascha Roth berichtete schließlich aus seiner ethnographischen Forschung in Baku, Aserbaidschan. Im post-sozialistischen Kontext wird die Wohnungsversorgung selbstverständlicher als Infrastruktur gedacht, da damit an die offizielle Rhetorik und Ideologie aus sowjetischer Zeit angeknüpft wird. Kurzfristig entfielen leider zwei Beiträge, die das Wohnen als Infrastruktur aus Sicht der sozio-technischen Infrastrukturforschung und der Foundational Economy in den Blick hatten nehmen wollen.

In der gemeinsamen Diskussion kristallisierten sich zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die Konzeptualisierung der Wohnungsversorgung als Infrastruktur heraus: Erstens eine analytische Perspektive, die auf die Infrastrukturperspektive als Heuristik zurückgreift und die Gesamtheit der Wohnungsversorgung – unabhängig von ihrer jeweiligen Organisationsform – als Infrastruktur begreift. Und zweitens eine normative Perspektive, die unter Wohnungsversorgung als soziale Infrastruktur ein in einem transformatorischen Prozess zu erreichendes Ziel versteht und folglich lediglich bestimmte, weitgehend dekommodifizierte Teile der Wohnungsversorgung als Infrastruktur betrachtet.

3. Von Bewohner*innen und ihren Wohnungen: Methoden zur empirischen Erforschung von Wohnpraktiken

3. Februar 2022

Dr.-Ing. Julia von Mende, Antonia J. Krahl M.A.

Ankündigung

Die Frage danach, wie man die Wechselwirkung von Sozialem und gebautem Raum empirisch untersuchen kann, geriet in den letzten Jahrzehnten zunehmend in den Fokus architektursoziologischer Forschungen. In Bezug auf aktuelle Wohnraumbedarfe stellt sie sich in besonderer Dringlichkeit. Zugleich ist der private Wohnraum ein für Forscher*innen nicht immer leicht zugängliches Feld. In diesem Workshop wollen wir dem Wie und Was einer qualitativen empirischen Wohnforschung nachgehen und mögliche historische Bezüge eruieren. Aus einer multidisziplinären Perspektive soll der Frage nachgegangen werden, wie die Wechselwirkungen von Physisch-Materiellem und Sozialem in Bezug auf das Wohnen untersucht werden und auf welche methodischen Ansätze dabei zurückgegriffen werden können. Welche Sackgassen gab es in der Vergangenheit, welche Stränge erscheinen vielversprechend für aktuelle Fragen?

Programm

09:00-09:30

Ankommen, Begrüßung, Vorstellungsrunde

Lernen aus der Vergangenheit: Dr.-Ing. Julia von Mende, Antonia J. Krahl

09:30-10:35

PionierInnen einer praxistheoretisch orientierten Wohnforschung: Dr.-Ing. Julia von Mende

Anfänge des Wohnlabors: Prof. Dr. Simon Güntner

Zu Film und Fotografie – Wechsel des Mediums in der empirischen Wohnforschung: Prof. Dr. Joachim Krausse
10:35-10:45 Pause

10:45-11:30

Wohnpraktiken der Gegenwart erforschen

Aktuelle Themen der Wohnforschung: Prof. Dr. Frank Eckardt

Institutionelles Wohnen: Dr. Miriam Meuth

Multilokales Wohnen erforschen: Dr.-Ing. Markus Kaltenbach
11:30-12:00Diskussion
12:00-13:00 Mittagspause

13:00-14:00

Aktuelle methodische Zugänge

Qualitative Methoden für empirische Forschung zu Bewohner*innen und physisch-materiellen Raum: Antonia J. Krahl

Visuelle Methoden der Raumforschung: Dr. Séverin Marguin

Ethnografische Wohnhausforschung: Performative, deskriptive und räumliche Methoden: Dr. Anna Richter, Marieke Behne

Hausbiografien als Instrument zur Umsetzung qualitativer Wohnungsforschung: Dr. Eveline Althaus
14:00-14:40 Diskussion
14:40–15:00Pause
15:00-16:00Abschlussdiskussion
19:00Filmvorführung

Workshopbericht

Wie kann die Wechselwirkung von gebautem Raum und Sozialem empirisch sowie interdisziplinär untersucht werden? Welche Herausforderungen bestehen und was lässt sich daraus für zukünftige Forschung ableiten? Vor diesem Hintergrund wurde im Workshop interdisziplinäre Forschung zu „Wohnungen und ihre Bewohner*innen“ und sich daraus ergebende methodische Herangehensweisen, Herausforderungen und Anforderungen diskutiert. Die Organisatorinnen Julia von Mende und Antonia J. Krahl luden dazu ein, den Workshop in drei Teilen zu denken:

Der erste Teil lenkte den Blick auf die Vergangenheit und stellte die Frage, welche methodischen Anknüpfungspunkte sich für die gegenwärtige Erforschung von Bewohner*innen und physisch-materiellem Raum in der Geschichte der Wohnungsforschung finden lassen. Julia von Mende eröffnete inhaltlich den Tag mit einer Einführung zur praxistheoretischen Perspektive auf das Wohnen am Beispiel der Arbeiten von Pionier*innen einer Wohnungsforschung der Nachkriegszeit, die am Experiment im Labor und in der Wohnung als Reallabor Wohnpraktiken und insbesondere deren Materialisierung empirisch erforschten. Hieran schloss sich der Beitrag von Simon Güntner an, der über die frühen aktivistischen Wohnprojekte der Settlement-Bewegung berichtete und entlang des Hull House in Chicago u.a. auf die Rolle der Forscher*in einging. Die ‚residents‘ brachten neben ihrem Anspruch an die Verknüpfung von sozialer Praktik und wissenschaftlicher Arbeit auch eine multimethodische Herangehensweise ein. In der Konsequenz sahen sich die Forscher*innen neben sozialen Abwertungsversuchen mit Kritik aus der eigenen Disziplin mit Blick auf die Güte ihrer Daten konfrontiert. An die Frage nach Forschungsmethoden, die über verbale Erhebungen hinaus gehen, schloss Joachim Krausses Kurzpräsentation einer dreiteiligen Dokumentarfilmreihe an, die er gemeinsam mit Jonas Geist im Auftrag des WDR 1982-1985 zum Neuen Bauen in Frankfurt geschrieben und gedreht hat. Hierbei stand die Interaktion mit Akteur*innen des Wohnens, Bewohner*innen und Wohnungsproduzierenden im Zentrum. Über das Medium Film entsteht hierbei eine „Archäologie“ der Wohnung und Wohnpraktik dieser Zeit. Ergänzend wurde die Grafik eingesetzt, um gewonnenes Wissen nicht nur zu synthetisieren, sondern auch allgemein verständlich zu machen. Über Film und Bild kann das Wissen auf eine „andere Ebene“ gehoben werden, befreit von den Bedingtheiten der Sprachlichkeit und auch der Gefahr durch Sprache auszuschließen.

Der zweite Teil des Workshops stellte die Frage nach gegenwärtigen Forschungsbedarfen. Frank Eckardt führte mit einer Zusammenschau übergeordneter soziologischer Diskurse in Verbindung mit dem Wohnen ein: soziale Ungleichheit, mikrosoziologische Formen der Vergesellschaftung, sozial-ökologische Transformation und sozialer Wandel oder Intensivierung gesellschaftlicher Risse, Wohnen in fragmentierten Gesellschaften oder Wohnen als Abschottung und neue Gemeinschaftsbildung. Ein zentraler Aspekt Eckardts war, dass „induktive Innovation“ über Wohnnarrative, sozio-materielle Wohnwelten und der Untersuchung von Wohnpraktiken hergestellt werden kann. Krankheitsbedingt musste der Beitrag zum institutionellen Wohnen aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive entfallen. Markus Kaltenbach rief als praktizierender Architekt und Forscher zu „mehr Mut“ in der Wohnungsforschung in Bezug auf Interdisziplinarität, Multiskalarität, Offenheit im Experiment und die Nutzung unterschiedlicher „Gefäße der Ergebnissicherung“ auf. Mit der von ihm erläuterten Verschränkung von Text und Grafik als Mittel um Wohnpraktiken zu erforschen, die er in seiner Arbeit zum Multilokalen Wohnen angewandt hat, schlug er die Brücke zu Joachim Krausses Grafik im Film: in beiden Fällen dient die Grafik in ihrer Reduktion auf das Wesentliche im Sinne der Übersetzung von erhobenem empirischem Wissen als Mittel der Synthese, aber auch Kommunikationsmedium im Austausch mit den Teilnehmenden und Motivator für diese, sich ins Bild zu setzen.

Der dritte Workshopteil widmete sich den besonderen methodischen Herausforderungen des Wechselspiels zwischen Bewohner*innen und Wohnung. Antonia J. Krahl eröffnete die methodische Diskussion und Reflexion bezogen auf Herausforderungen an den Feldzugang und die Rolle der Anbahnung, auf das Erhebungsdesign und das Settings, auf Sprachlichkeit und Nichtsprachlichkeit, auf Inklusion von Zielgruppen und insbesondere auf Interdisziplinarität und fachspezifischen Anforderungen jeder Disziplin, die sich teilweise gegenseitig aushebeln. Sie betonte hierbei, dass es trotz – oder gerade aufgrund des großen Spektrums an Erhebungsinstrumenten der unterschiedlichen Disziplinen gilt, sich zukünftig systematisch mit den Herausforderungen dieser Vielfalt in Verbindung mit Materialität auseinanderzusetzen. Séverine Marguin führte das Spektrum innerhalb der visuellen Methoden der Raumforschung vor Augen und gab Einblick in Go-alongs in einem multimethodischen Forschungsprogramm, raumfokussierte Ethnografie, Mappings als Joint Spatial Display und multimodale Diskursanalyse. Eveline Althaus berichtete von ihrer Forschung mit Hausbiografien als Lebensgeschichten von Wohnhäusern, die als Triade des wahrgenommenen, des gebauten und des gelebten Raums konzeptualisiert werden. Das interdisziplinäre Team aus Architektin und Soziologin von Marieke Behne und Anna Richter stellte die Frage nach einer Erweiterung des Werkzeugkastens hausbiografischer Forschungen um das Medium des biografischen Dokumentarfilms einerseits und nach möglichen Folgen für den Architekturentwurf aus den Forschungsergebnissen ihrer Haus-Bewohner*innenbiografien andererseits.

Der dritte Workshopteil widmete sich den besonderen methodischen Herausforderungen des Wechselspiels zwischen Bewohner*innen und Wohnung. Antonia J. Krahl eröffnete die methodische Diskussion und Reflexion bezogen auf Herausforderungen an den Feldzugang und die Rolle der Anbahnung, auf das Erhebungsdesign und das Settings, auf Sprachlichkeit und Nichtsprachlichkeit, auf Inklusion von Zielgruppen und insbesondere auf Interdisziplinarität und fachspezifischen Anforderungen jeder Disziplin, die sich teilweise gegenseitig aushebeln. Sie betonte hierbei, dass es trotz – oder gerade aufgrund des großen Spektrums an Erhebungsinstrumenten der unterschiedlichen Disziplinen gilt, sich zukünftig systematisch mit den Herausforderungen dieser Vielfalt in Verbindung mit Materialität auseinanderzusetzen. Séverine Marguin führte das Spektrum innerhalb der visuellen Methoden der Raumforschung vor Augen und gab Einblick in Go-alongs in einem multimethodischen Forschungsprogramm, raumfokussierte Ethnografie, Mappings als Joint Spatial Display und multimodale Diskursanalyse. Eveline Althaus berichtete von ihrer Forschung mit Hausbiografien als Lebensgeschichten von Wohnhäusern, die als Triade des wahrgenommenen, des gebauten und des gelebten Raums konzeptualisiert werden. Das interdisziplinäre Team aus Architektin und Soziologin von Marieke Behne und Anna Richter stellte die Frage nach einer Erweiterung des Werkzeugkastens hausbiografischer Forschungen um das Medium des biografischen Dokumentarfilms einerseits und nach möglichen Folgen für den Architekturentwurf aus den Forschungsergebnissen ihrer Haus-Bewohner*innenbiografien andererseitsDie Frage nach der akademischen Güte der angewandten Methoden vs. der Fruchtbarkeit alternativer und spontan aus der Situation heraus entwickelter Werkzeuge durch und im Austausch mit den Wohnenden selbst, zog sich als roter Faden durch den gesamten Workshop.

4. Strategien für einen bezahlbaren Wohnungsneubau: Bezahlbar bauen! Aber wie?

7. April 2022

Kassandra Löffler, M.Sc.

Ankündigung

Ziel des Workshops ist es mit Architekt*innen die Potentiale des Baukostensektors in der Produktion von kostengünstigen Wohnungsneubauten zu diskutieren. Dafür werden genau jene Expert*innen eingeladen, die in den letzten fünf Jahren renommierte Wohnungsneubauten errichtet haben. Seit 2009 lässt sich die Zuspitzung einer Wohnraumversorgungsproblematik als ein zentrales, gesellschaftliches Problem konstatieren, die mit den Fluchtbewegungen 2015 einen Höhepunkt erreichte und damit auch die Architekturschaffenden zu der Frage bewegte, was der Bausektor und ihre Berufsgruppe zu einer kostengünstigen und schnell umsetzbaren Antwort beitragen kann. Natürlich unter Wahrung geltender Qualitätsansprüche. In diesem Kontext wurden mehrere Architekturwettbewerbe mit nahezu identischen Zielen ausgelobt. Die Architekt*innen der daraus hervorgegangenen Preisträger*innen sollen über die von ihnen angewandten Entwurfsstrategien und Erfahrungen im Workshop „Bezahlbar Bauen! Aber wie?“ berichten. Anschließend sollen nicht nur die Architekt*innen untereinander die jeweiligen Strategien auf ihre Übertragbarkeit diskutieren, sondern auch die Rolle des Bausektors im Kontext der Wohnungspolitik mit Vertreter*innen der Weimarer Wohnungsforschung: Sodass ein spannender Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis entsteht.

Programm

Donnerstag, 07. April 2022 // 9.00-16.00 Uhr
Uhrzeit Titel Vortragende Dauer
9.00 Uhr Ankommen, Begrüßung, Vorstellung des Workshops Kassandra Löffler (Bauhaus-Universität Weimar) 20 min
9.20 Uhr Vorstellungsrunde Alle Beteiligten 20 min
1. Urban Living (Berlin — seit 2013)
9.40 - 9.50 Uhr Vorstellung des Wettbewerbs „Urban Living“ Kassandra Löffler 10 min
9.50 - 9.55 Uhr Briesestraße EM2N (Henrike Kortemeyer) 5-10 min
9.55 - 10.00 Uhr Langhansstraße Bollinger und Fehlig Architekten (Roger Bollinger) 5-10 min
10.00 - 10.05 Uhr Arcostraße Blauraum Architekten 5-10 min
10.05 - 10.35 Uhr Diskussion Alle Beteiligten 20 min.
15 Minuten Pause
2. Wohnraum schaffen! (Bremen — 2016)
10.50 - 10.55 Uhr Einblicke in den Wettbewerb „Wohnraum schaffen!“ Kassandra Löffler 10 min
10.55 - 11.00 Uhr Melle Martens Sternkopf Architekten (Johannes Martens) 5-10 min
11.00 - 11.05 Uhr Hannover Buchholz btp architekten (Oliver Tebarth) 5-10 min
11.05 - 11.10 Uhr Hannover Ahlem Feldschnieders + Kister (Stefan Feldschnieders) 5-10 min
11.10 - 11.30 Uhr Diskussion Alle Beteiligten 20 min.
3. Seriell und modular (bundesweit — seit 2017)
11.30 - 11.40 Uhr Einblicke in den Wettbewerb „Seriell & Modular“ Kassandra Löffler 10 min
11.40 - 11.50 Uhr Systembau + Beispiel Frankfurt a.M. Planquadradt Architekten+ Lechner Immobilien Development (Robert Müller) 10 min.
11.50 - 12.00 Uhr Systembau + Beispiel Böblingen Werner Sobek Architekten + AH Aktiv (Sten Klaus) 10 min.
12.00 - 12.20 Uhr Diskussion Alle Beteiligten 20 min.
60 Minuten Mittagspause
4. Diskussion der Forschungsfragen mit allen Beteiligten
13.30 - 14.00 Uhr 1. Welche architektonischen Strategien haben Sie angewandt um einen bezahlbaren Wohnungsneubau zu erzeugen?
14.00 - 14.20 Uhr 2. Hatten diese Entwurfsstrategien in der Ausführung und Realisierung tatsächlich eine Kostenreduktion zur Folge? Welche Rolle/Effizienz sprechen Sie der jeweiligen Strategie zu?
14.20 - 14.30 Uhr 3. Exkurs: Soziale Wohnraumförderung. Wie hoch liegt der Anteil sozial geförderter Wohnungen in Ihrem Projekt? Ist eine bezahlbare Wohnung ohne Wohnraumförderung - nur durch architektonische Raffinesse - möglich?
20 Minuten Kaffeepause
14.50 - 15.10 Uhr 4. Wie bewerten Sie die Einflussmöglichkeiten von Architekt:innen und ihren Entwürfen auf den Neubau? Welchen Beitrag kann das Berufsbild von Architekt:innen zu einer sozialgerechten Wohnraumversorgung beitragen?
15.10 - 15.45 Uhr 5. Wie wollen wir uns das Wohnen in Zukunft leisten? Bitte geben Sie ein kurzes Statement ab, wie Sie sich und die Problematik einer sozialgerechten Wohnraumversorgung in der Zukunft sehen?
Abschlussrunde (15 Minuten)

Workshopbericht

Screenshot des BigBlueButton-Meetings mit Teilnehmenden und Titelfolie.

Der Workshop ging zunächst der Frage nach, welche architektonischen Strategien die Preisträger*innen angewandt haben, um einen bezahlbaren Wohnungsneubau zu erzeugen und ob die geplanten Entwurfsansätze in der Ausführung und Realisierung tatsächlich eine Kostenreduktion zur Folge hatten. Die Projekte wurden immer im Rahmen der jeweiligen Architekturwettbewerbe betrachtet aus denen sie hervorgegangen sind. Daher erfolgte zunächst nicht nur eine Präsentation der Wettbewerbsziele und -kriterien, sondern auch die vorangestellte Frage inwiefern die Projekte der Auslobung gerecht werden konnten.

Aus dem offenen Ideenworkshop „Urban Living“ (2013) hervorgegangen, präsentierten Roger Bollinger (Bollinger + Fehlig Architekten, Berlin) und Jan Busemeyer (blrm Architekt*innen GmbH, Hamburg) ihre Entwürfe für die Bundeshauptstadt, die sich aktuell immer noch im Bau befinden. Das einzig realisierte Projekt, von EM2N, konnte unerwartet aus gesundheitlichen Gründen leider nicht diskutiert werden. Aber trotzdem konnten nach diesen ersten beiden Vorträgen kostenoptierende Entwurfsstrategien benannt werden, wie die Laubengangerschließung, die eine Reduzierung von Treppenhäusern und private Außenräume zulässt, oder das zu optimierende Verhältnis von Innenräumen und teuren Fassadenverkleidungen. Wenn auch nicht alle Wettbewerbsideen bis zum Bezug beibehalten werden konnten, so wurden auch Kostentreiber, wie Stellplatzsatzungen, Unterkellerungen, Staffelgeschosse oder zusätzliche Treppenhäuser aus brandschutztechnischen Gründen benannt. Unerwarteter Weise fanden die Architekten die sehr lange Umsetzungszeit des Wettbewerbs weniger bedenklich, als die Tatsache, dass 80% des städtischen Wohnungsbaus nunmehr aufgrund von Zeit- und Kostendruck ohne gestalterische Wettbewerbe ablaufen und von wenigen Büros in GÜ-Verfahren entschieden werden. Sie kritisierten, dass alle gleichermaßen von der Stadt gezwungen würden nur noch das Minimalste zu liefern, was wir in 20 Jahren sicher bereuen würden, hieß es im Workshop.

Aus dem Wettbewerb „Wohnraum schaffen!“ (2015) haben Johannes Martens (Martens Sternkopf Architekten, Rosengarten) sowie Oliver Tebarth (btp Architekten, Hannover) ihre Projekte für die Bundesländer Niedersachsen und Bremen präsentiert. Auch hier wurden mehrfach wieder die Laubengangerschließungen angewandt, in unterschiedlicher Form gestaltet und daher in ihren Vor- und Nachteilen, aus unterschiedlichen Perspektiven und anhand unterschiedlicher Projekte diskutiert. Ebenso für Diskussionspotential sorgten die Wohnstandards und -gewohnheiten im internationalen Vergleich und wie diese architektonisch umgesetzt werden (müssen).

Ebenfalls zwei Architekten haben stellvertretend für den Wettbewerb des GdW „Serielle und modulare Wohnkonzepte“ (2017) ihre Konzepte präsentiert. Sten Klaus (AH Aktiv, Stuttgart) und Robert Müller (Planquadrat Architekten, Darmstadt) haben einen Eindruck vermittelt, wie sie deutschlandweit auf die Wohnungsfrage reagieren wollen, sofern sich ein Wohnungsunternehmen für sie als eines der neun Siegerentwürfe entscheidet. Durch diese Beiträge wurde es einerseits ortsunabhängig, da die Rahmenvertragspartner*innen deutschlandweit umsetzbar sein sollten, aber andererseits in der architektonischen Handlungsstrategie sehr konkret. AH Aktiv haben zusammen mit Werner Sobek modular gebaut, wohingegen Planquadrat, auf die serielle Bauweise setzten. Als wesentlicher Parameter in der Weitergabe von Baukosteneinsparungen an die Mietenden wurde jedoch nicht die Produktionsweise benannt, sondern die Vertragsbeziehung zwischen den Architekt*innen und den Modulherstellenden. Denn nur wenn beide zusammenarbeiten, ist der Einspareffekt überhaupt abbildbar. Abgesehen davon hat sich aber herausgestellt, dass die medial aufgeladenen Erwartungen an das modulare sowie an das serielle Bauen nicht in den erzielbaren Mietkosten abgebildet werden, da die Baukosten sich nicht von jenen unterschieden, die im konventionellen Stil erreicht wurden.

Nachdem die Architekt*innen ihre jeweiligen Fallbeispiele anhand von Visualisierungen, Plänen, Fotos und Fakten vorgestellt hatten, wurden mit den Akteur*innen der Weimarer Wohnungsforschung die Fragen diskutiert, wie die Einflussmöglichkeiten von Architekt*innen eingeschätzt werden und welcher Beitrag zu einer sozialgerechten Wohnraumversorgung geleistet werden kann. Auch ob ein bezahlbarer Wohnungsneubau überhaupt ohne soziale Wohnraumförderung möglich ist? Dabei haben die Architekten berufsintern ihre Einflussnahme, auch nach dem Workshop, als geringer eingeschätzt als ihre fachfremden Zuhörer*innen. Oliver Tebarth hebt aber noch einmal hervor, dass unabhängig vom Wettbewerb, sowieso immer versucht würde die Kosten zu optimieren und mit einem guten Entwurf zu kombinieren.

Die meiste Zeit herrschte zwar große gegenseitige Zustimmung unter den Teilnehmenden und deren Wahrnehmung des Baualltags. Allerdings konnten auch etwaige polarisierende Meinungen, die sich durch die zuvor schriftlich zu beantwortenden Fragen andeuteten, leider nicht mehr ausdiskutiert werden. Wie beispielsweise die Lohnkostenreduktion oder die Verlagerung der Produktion ins (osteuropäische) Ausland. Der Workshop hat nicht nur den sonst vernachlässigten und lobend erwähnten Austausch von sechs, deutschlandweit agierenden Architekten untereinander ermöglicht, die sich alle der gleichen Aufgabenstellung verschrieben haben und die ihr Handeln im Alltagsgeschäft nicht ausreichend vergleichen können. Auch der transdisziplinäre Austausch und die Verortung der eigenen Disziplin innerhalb eines gesellschaftlichen Problems war durch die Verknüpfung von wissenschaftlichen mit praktischen Themen möglich und erlaubte damit einen für beide Felder wesentlichen Perspektivwechsel.

5. Zum ambivalenten Verhältnis von Grundeigentum, Recht und Stadtplanung

28. Oktober 2022

Michael Schwind, M.Sc.

Ankündigung

Ob gegen die Enteignung von Agrarland, die Privatisierung von Wäldern, oder den Verkauf von städtischem Boden, weltweit fordern soziale Bewegungen das moderne Grundeigentum heraus. Neben der Kritik an seiner Gewinnorientierung und Ausschließbarkeit werden alternative, auf die Bedürfnisse der Menschen und Umwelt ausgerichtete, gemeinschaftliche Eigentumsformen an Grund und Boden gefordert. Dabei nimmt die Stadtplanung, allen voran das Planungsrecht, eine wichtige Rolle in der Institutionalisierung des modernen Grundeigentums ein. Denn Flächennutzungs- und Bebauungspläne oder Kataster parzellieren den Grund und Boden und weisen ihm bestimmte Nutzungsformen- und rechte zu. Somit werden alternative Formen des Eigentums in der modernen Planung häufig als illegitim, archaisch oder traditionell abgelehnt. Dieser Workshop widmet sich der Frage, wie das gesellschaftliche Politikfeld der Stadtplanung samt seinem rechtlichen Instrumentarium historisch und gegenwärtig an der Ausgestaltung des modernen Grundeigentums beteiligt war und ist und welche Diskurse, (rechtliche) Technologien und Planungspraktiken dabei zum Einsatz kommen. Ziel des Workshops ist es damit das ambivalente Verhältnis von Recht, Planung und Grundeigentum näher zu beleuchten und kritisch zu reflektieren.

Programm

Donnerstag, 27.10.2022
ab 20:00Optionales Abendessen (ACC Galerie, Selbstzahler)
Freitag, 28.10.2022
9:15–9:30Ankommen
9:30–10:00Vorstellung der Weimarer Wohnungsforschung; Vorstellungsrunde
10:00–10:30Einführung in den Workshop
Entstehung, Aneignung und Enteignung von Boden im europäischen und kolonialen Kontext
10:30–11:15Joanna Kusiak, King’s College, University of Cambridge
11:15–11:30Kaffeepause
11:30–12:15 Manuel Bastias Saavedra, Leibniz Universität Hannover
12:15–13:15– Gemeinsames Mittagessen –
Technologien, Diskurse und (rechtliche) Praktiken zur planerischen Durchsetzung des Grundeigentums
13:15–14:00Fabian Thiel, Frankfurt University of Applied Science
14:00–14:45Felicitas Sommer, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
14:45–15:00Kaffeepause
15:00–15:45Tobias Habermann (online), Städtebaureferendar beim Land NRW und Co-Sprecher der AG Regional- und Stadtentwicklung von Bündnis 90/Die Grünen NRW
15:45–16:15Abschlussdiskussion

Workshopbericht

Der Workshop reiht sich ein in eine intensiv geführte Diskussion über das im Zentrum gesellschaftlicher und politischer Aushandlungsprozesse stehende Bodeneigentum. Wie das Privateigentum an Grund und Boden zu unterschiedlichen Zeiten konkret hergestellt und gesellschaftlich verhandelt wird, war die Ausgangsfrage des interdisziplinären Workshops am Institut für Europäische Urbanistik. Im Mittelpunkt standen die rechtlichen, räumlichen und planerischen Praktiken, Institutionen und Weltbilder, die das Privateigentum an Grund und Boden prägen. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass auch der Boden in kapitalistischen Gesellschaften einem unauflösbaren Widerspruch unterliegt: Einerseits ist er Grundlage menschlicher Bedürfnisbefriedigung, andererseits Voraussetzung kapitalistischer Produktion und Verwertungsansprüche.

Joanna Kusiak verwies in ihrem Vortrag auf die Ambivalenz des Rechts in Bezug auf Grund- und Wohneigentum. Einerseits setze das Recht Eigentumsverhältnisse (gewaltsam) durch und legitimiere sogar die Enteignung und Zerstörung nicht-privater Eigentumsformen durch Rechtstechnologien. Etwa indem sich das Recht als neutral und unpolitisch präsentiere. Als empirisches Beispiel dienten die Reprivatisierungsprozesse im postsozialistischen Warschau. Andererseits sei das Recht auch eine Voraussetzung für die Vergesellschaftung von Privateigentum, weshalb es verstärkt für die Durchsetzung politischer Forderungen genutzt werden könnte (vgl. auch die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“).

Aus historischer Perspektive schlägt Manuel Bastias Saavedra vor, Eigentum als soziale Praxis zu verstehen und lenkt den Blick weg von den herrschenden Institutionen hin zu der Frage, wie sich Privateigentum im Alltag mit anderen Eigentumsformen vermischt und so überhaupt erst gelebt und wirksam wird. Mit Blick auf das frühneuzeitliche Spanisch-Amerika wird für eine dezentrierte Perspektive auf Eigentumsordnungen in außereuropäischen Kontexten plädiert. Eine solche nicht-essentialistische Konzeption von Grundeigentum erlaubt es dann, das Wechselverhältnis von sich institutionalisierenden Normen und rechtlichen Regelungen sowie alltäglichen und nicht-privaten Eigentumsvorstellungen und -praktiken in den Blick zu nehmen.

Ebenso wurde im Verlauf des Workshops deutlich, dass ein ganzes Bündel von Institutionen, Akteuren, Normen, Ideologien oder Ordnungsweisen an der Organisation von Bodeneigentum beteiligt ist. Ohne deren vielfältige Praktiken und Diskurse zur Kodifizierung des Bodens, etwa in Katasterplänen oder Grundbüchern, so zeigte Felicitas Sommer anhand ihrer ethnographischen Untersuchung, wäre das Privateigentum weder entstanden noch als vermeintlich alternativlose und schützenswerte Institution so fest verankert. Ein Überblick über die in Deutschland teilweise unbekannten Eigentumsverhältnisse, wie sie in den Grundbüchern festgehalten sind, sei umgekehrt die Grundvoraussetzung für eine alternative Bodenpolitik.

Fabian Thiel und Tobias Habermann beschäftigten sich mit den rechtlichen Instrumenten und Legitimationsweisen einer transformativen Bodenpolitik. Mit der Hinwendung der Kommunen zu einer aktiven Bodenpolitik und kooperativen Baulandmodellen zeichnet sich eine vermeintliche Kehrtwende in der bisherigen deutschen Bodenpolitik ab. Instrumente, die den kommunalen Erwerb und Verkauf von Bauland und die Beteiligung der Eigentümer*innen an den Folgekosten für z.B. Infrastruktur oder Ausgleichsmaßnahmen fördern, gewinnen dabei gegenüber rein marktbasierten Bodentransaktionen an Attraktivität. Tobias Habermann plädiert in diesem Zusammenhang für eine Unterscheidung zwischen absoluter Eigentums- und Immanenzlehre, um die Möglichkeiten der kommunalen Abschöpfung leistungsloser Bodenwertsteigerungen eigentumstheoretisch einordnen und normativ bewerten bzw. legitimieren zu können.

In der abschließenden Diskussion wurden zwei Perspektiven für die Untersuchung von Grundeigentum in der Planungsforschung herausgearbeitet: Eine analytische Perspektive richtet den Blick auf die gesellschaftliche Aushandlung von Grundeigentum und das Zusammenspiel von Recht, Normen und Planungspraktiken sowie deren alltägliche Reproduktion. Privateigentum ist dabei historisch und geographisch spezifisch, so dass empirische Untersuchungen von einem offenen und eher suchenden Eigentumsbegriff profitieren.  Aus normativer Perspektive stellt sich die Frage, wie planerische und staatliche Institutionen die Nutzung, den Zugang und die Verwertung von Grund und Boden so gestalten können, dass die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse (wie z.B. Wohnen) Vorrang vor Verwertungsinteressen an Grund und Boden hat. Zwar gibt es bereits eine Vielzahl rechtlicher und planerischer Möglichkeiten, um den Boden verstärkt gesellschaftlich und gemeinschaftlich anzueignen und zu organisieren. Diese stoßen jedoch spätestens dann an ihre Grenzen, wenn die kapitalistische Raumproduktion insgesamt unangetastet bleibt.

6. Interdisziplinäres Doktorand*innenkolloquium

Dezember 2022 / December 2022

Ankündigung/Announcement

Das interdisziplinäre Doktorand*innenkolloquium soll die Möglichkeit eröffnen mit geladenen Kommentator*innen aus dem Feld der interdisziplinären Wohnungsforschung ihre Arbeiten zu diskutieren. Den Nachwuchsforscher*innen wird so die Möglichkeit zur Vernetzung und fokussierten Diskussion ihrer Promotionen eröffnet. Die Veranstaltung dient auch der Netz-werkerweiterung der Weimarer Wohnungsforschung.

Programm/Program

7. Housing renovation, socialist heritage and state-society-relations

9.–10. Juni 2023 / June 9th–10th, 2023

Jun.-Prof. Dr.-Ing. Daniela Zupan

Ankündigung/Announcement

Large housing estates continue to be one of the most significant and durable built legacies of the socialist period. The question of how they are managed, maintained, renovated, demolished and perceived therefore remains a crucial one. While programs, projects and practices of renovation, renewal and maintenance of socialist housing estates have been studied comprehensively across the post-socialist context, recent years seem to indicate a certain shift in dealing with this urban heritage. Throughout the post-socialist context, we can observe shifts in dealing with these structures, such as new demolition or renovation programs, modified approaches towards their renewal, new governance arrangements and actor constellations as well as changes in maintenance and finance schemes etc.

This workshop sets out to explore these changes and interrogate their meaning. It holds that the study of housing renovation and maintenance practices as well as the changes therein provide a fruitful lens to uncover broader reconfigurations of state-society-relations in the post-socialist context. While the last three decades have seen different paths of housing provision taking shape in post-socialist countries, post-socialist transformation has been generally characterized by processes of privatization, state withdrawal and the emergence of new subjectivities. The above-mentioned processes, however, seem to reveal some new dynamics. For example, alongside the deepening of neoliberalism we can observe instances of the return of strong state intervention and (re-)new(-ed) promises of welfare provision.

This workshop brings together scholars from different disciplines to shed light on these new practices and discuss their meaning and the drivers behind. The following questions will be addressed:

  • Which programs and projects of housing renovation, renewal and maintenance are currently carried out or planned in post-socialist cities, and how do they materialize in built form? In how far do these processes continue or differ from previous approaches?

  • What drives the current configurations of housing renovation and maintenance? Which factors facilitate these changes (e.g. physical deterioration), and how are they connected to broader political (e.g. rise of illiberal-populist or authoritarian leaders) and economic trends?

  • How can we interpret the observed changes? Do they indicate merely minor shifts, are they hinting towards broader reconfigurations in state-society relations, or might they even be understood as a new phase of post-socialist transformation?

Programm/Program

Friday, 09.06.2023
9:00–14:30Joint bike tour: housing projects in Weimar (incl. lunch)

Meeting point: 09.00 at "Grüne Liga", Rollplatz, Weimar (bike rental)
15:00–18:15

Workshop
Venue: IfEU, Belvederer Allee 5, Weimar, room 005

Introduction to the workshop
Daniela Zupan (Bauhaus-Universität Weimar)
15:30–17:00Session 1 – Civil society's reactions to housing renovation

Renovation in Moscow: the housing questions and civil society
Anna Zhelnina (Helsinki Institute of Urban and Regional Studies)

A tale of two districts. Local contexts and collective (im)mobilizations against Renovation in Moscow
Guénola Inzian (Université Lumiere Lyon 2)

Moderator/discussant: tbc
17:00–17:30Short break
17:30–18:15Session 2 – State initiatives

National urban revitalisation in Poland under the PIS governments
Lydia Coudroy de Lille (Université Lumiere Lyon 2)

Moderator/discussant: Lisa Vollmer (Bauhaus-Universität Weimar)
Saturday, 10.06.2023
9:00–12:30Workshop
Venue: IfEU, Belvederer Allee 5, Weimar, room 005
9:00–10:30

Session 3 - Practicing housing renewal

Housing estates renovation practices in the post-soviet context of Bishkek and the post-socialist landscape of Prague
Dilnoza Tasheva (Charles University, Prague)

Bargaining with the pipes: Negotiating the change in maintaining the water supply infrastructure of large housing estates in Aktau
Daria Volkova (Bauhaus-Universität Weimar)

Moderator/discussant: Julia von Mende (Bauhaus-Universität Weimar)
10:30–11:00Coffee break
11:00–11:45

Session 4 - In-between spaces

Changing public spaces: between buildings of Budapest's large housing estates
Melinda Benkő (Budapest University of Technology and Economics)

Moderator/discussant: Elodie Vittu (Bauhaus-Universität Weimar)
11:45–12:00Short break
12:00–12:30 Summing up: final discussion and reflections on the workshop

 

 

Workshopbericht/Report

This workshop brought together an interdisciplinary group of scholars in the field of urban studies to discuss current programs and practices of renovation, renewal and maintenance of socialist housing estates. The cases discussed covered a broad range of post-socialist cities: Aktau (Kazakhstan), Bishkek (Kyrgyzstan), Budapest (Hungary), Moscow (Russia), Prague (Czech Republic) and Polish cities.

Anna Zhelnina (Helsinki Institute of Urban and Regional Studies) and Guénola Inzian (Université Lumiere Lyon 2) engaged in their talks with the recent "renovation" program in the city of Moscow. "Renovation" here refers to the demolition of more than 5.000 multi-family houses and their replacement with new high-rise buildings. Anna Zhelnina pointedly referred to this process as a "renovation of the city", which serves to get rid of large parts of the socialist housing stock. Both speakers were seeking to explain the diverse forms and levels of civil society contestation to this demolition program in different neighbourhoods. Zhelnina highlighted existing activist networks as a major influencing factor, whereas Inzian argued that different levels of space attachment, which in turn partly rest on diverse materials and caring practices, can help explain different reactions.

Lydia Coudroy de Lille (Université Lumiere Lyon 2) and Melinda Benkő (Budapest University of Technology and Economics) both engaged with state-initiated programs and policies in the field of housing. Coudroy de Lille reflected on how the increasingly illiberal and authoritarian Polish government, led by the PiS Party, uses the fields of urban and housing developments for political purposes and critically engaged with the resulting urban landscapes. Benkő focused on various public programs and initiatives in the city of Budapest, shedding light on the rising importance of private condominiums and on the question how open spaces are targeted within renovation programs of large modernist housing estates.

Dilnoza Tasheva (Charles University, Prague) and Daria Volkova (Bauhaus-Universität Weimar) both engaged with the shrinking role of the state in renovating and maintaining housing estates. Tasheva traced different pathways of privatization and rescaling processes and showed how these processes affect how place attachment is formed and negotiated locally in the cases of Prague and Bishkek. Volkova analysed how responsibilities for housing maintenance are reconfigured and negotiated between state and society in Aktau. She showed how private individuals increasingly gain professional knowledge on technical issues thereby struggling to compensate for massive state retreat. In the longer run, however, rising levels of brokenness will make centralized intervention into the modernist infrastructures inevitable.

The workshop reflected the diversity and different trajectories of managing and maintaining the socialist housing stock and infrastructures present within the post-socialist context. The cases presented showed varying forms and depths of state retreat and/or involvement, ranging from strong and direct (e.g. Moscow) or indirect forms of intervention (e.g. Poland) to examples of almost complete state retreat (e.g. Aktau, Bishkek). Both extremes, however, make themselves visible in the everyday life of inhabitants. In Moscow, for example, the top-down renovation program upset the whole city due to its strong intrusion into everyday life and its unexpected and immediate announcement and implementation. Yet, in Aktau's society the absence of state intervention seems to be almost equally omnipresent, as it forces inhabitants into a constant engagement with everyday brokenness. The diversity of experiences urges research to move beyond post-socialist cases and to more actively engage in comparisons with contexts from the Global North and Global South.