Dr. David Kuchenbuch

Politischer Funktionalismus? Der architektonische Modernismus in Schweden um 1930 und das deutsche Vorbild

War Schweden Ende der 1920er Jahre bestenfalls für eine "nordische" Spielart des Neoklassizismus bekannt, so demonstrierte die "Stockholmer Ausstellung 1930", dass in Schweden der state of the art des Neuen Bauens erreicht war. Dies ist auf die erfolgreiche politisch-mediale Positionierung einiger weniger schwedischer Erneuerer zurückzuführen, die stark von internationalen Entwicklungen beeinflusst waren. Protagonisten wie Sven Markelius (1889–1972) und Uno Åhrén (1897–1977) waren tief beeindruckt von den Innovationen im Bauwesen der Weimarer Republik. Sie besuchten dort diverse Bauausstellungen und berichteten darüber in Zeitschriften wie Byggmästaren und Arkitektur och Samhälle und in der Architektenvereinigung SAR, die auch eine Vortragsreise Gropius' nach Schweden organisierte. Keinesfalls kann jedoch von einer blossen Nachahmung zentraleuropäischer Vorbilder die Rede sein. Das Beispiel des deutsch-schwedischen Wissenstransfers zeigt, dass transnationale Rezeptionsverhältnisse regelrechten Nationalisierungsprozessen zugrunde liegen konnten. Stärker als ihre deutschen Kollegen rückten die Schweden die sozialpolitische Dimension des Modernismus in den Vordergrund und inszenierten sich als dem Gemeinwohl verpflichtete Experten. Zugleich stilisierten sie den "funkis" zum Ausdruck des schwedischen Volkscharakters, was wiederum Kommentatoren wie Sigfried Giedion gerne aufgriffen. Beides – Verwissenschaftlichung und Nationalisierung des Neuen Bauens – ermöglichte es den Funktionalisten der 1930er Jahre, Schlüsselpositionen in staatlichen Kommissionen zur Wohnstatistik und zur Sanierung zu übernehmen, was sie stark an die dominierende Sozialdemokratie binden sollte.

Dr. David Kuchenbuch ist seit 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Justus-Liebig-Universität Giessen. Nach einem Studium der Skandinavistik und der Neueren und Neuesten Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Universität Stockholm forschte David Kuchenbuch von 2006 bis 2009 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-geförderten Forschungsprojekt "Ordnungsdenken und social engineering als Reaktion auf die Moderne. Nordwesteuropa, 1920er bis 1950er Jahre" an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, wo er 2010 promoviert wurde. 2010/2011 war er Visiting Research Fellow am Deutschen Historischen Institut Washington, D.C.

David Kuchenbuch untersucht gegenwärtig die historische Semantik und Mediengeschichte der "Einen Welt" in den 1960er bis 1990er Jahren.

Publikationen (Auswahl): Geordnete Gemeinschaft. Architekten als Sozialingenieure — Deutschland und Schweden im 20. Jahrhundert, 2010; "'Eine Welt' Globales Interdependenzbewusstsein und die Moralisierung des Alltags in den 1970er und 80er Jahren", in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012); Das Peckham-Experiment. Eine Mikro- und Wissensgeschichte des Londoner "Pioneer Health Centre" im 20. Jahrhundert, 2014.