Prof. Dr. Andreas Schätzke

Mehr als ein "fremdes Phänomen"? Zur Rezeption der kontinentaleuropäischen Architekturmoderne in Großbritannien

Grossbritannien zählt zu den europäischen Ländern, in denen die "klassische" Moderne eine vergleichsweise späte Resonanz und Verbreitung erfuhr. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren von den Britischen Inseln erneuernde Impulse — von der Gartenstadtidee bis zum "Glasgow Style" — auf den Städtebau und die Architektur in Europa ausgegangen. Doch spätestens Anfang der 1930er Jahre konstatierten Beobachter, dass aktuelle internationale Strömungen allenfalls am Rande wahrgenommen wurden und kaum Einfluss auf das britische Baugeschehen hatten. Innerhalb einer konservativen Architekturszene bemühte sich ein kleinerer Kreis von Bauherren, Architekten und Publizisten, moderne Planungsmethoden, Konstruktionsweisen und Formensprachen zu etablieren. Zugewanderte Architekten wie der Kanadier Wells Coates und der Neuseeländer Amyas Connell, der aus Russland stammende Berthold Lubetkin, der Ungar Ernő Goldfinger und der in der Schweiz ausgebildete William Lescaze hatten dann im Verlauf der 1930er Jahre entscheidenden Anteil am Entstehen einer britischen Variante der Moderne. Auch durch eine grössere Zahl von Emigranten aus Deutschland und Österreich, unter ihnen Walter Gropius, Erich Mendelsohn und Marcel Breuer, wurde diese Entwicklung befördert. Sie wäre allerdings nicht denkbar gewesen ohne die Initiativen, die von britischer Seite ausgingen: Jack Pritchard, Maxwell Fry, Morton Shand, F.R.S. Yorke und andere bemühten sich, der Moderne kontinentaleuropäischer Prägung zu größerer Akzeptanz zu verhelfen. Der Vortrag richtet den Blick auf wesentliche Akteure, Medien und Strategien dieser Vermittlungsversuche.

Prof. Dr. Andreas Schätzke bekleidet seit 2013 die Vertretungsprofessur für Baugeschichte und Stadtbaugeschichte an der Technischen Universität Kaiserslautern. Er lehrt ausserdem an den Universitäten in Madrid und Buenos Aires. Nach einem Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Politischen Wissenschaft in Bonn und München wurde er 1994 mit einer Arbeit über die Rückkehr von Künstlern und Architekten aus dem Exil in die SBZ/DDR promoviert. Anschliessend war er bei den Staatlichen Museen zu Berlin und für die Internationale Bauakademie Berlin sowie als Kurator für mehrere Architekturausstellungen tätig. 

Die Forschungsschwerpunkte von Andreas Schätzke liegen im Bereich der Architektur, des Städtebaus und der bildenden Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.

Publikationen (Auswahl): Sep Ruf. Kanzlerbungalow, 2009 (mit J. Medina Warmburg); Deutsche Architekten in Großbritannien. Planen und Bauen im Exil 1933–1945, 2013; Transatlantische Moderne. Deutsche Architekten im lateinamerikanischen Exil, 2015.