
Mit einem Grand finale verabschiedet sich die Weimarer Stummfilm-Retrospektive vom Publikum
Am 5. September 2025 fand die Abschlussvorstellung der Weimarer Stummfilm-Retrospektive statt, zu der zahlreiche Kinofans in den Großen Saal des Musikgymnasiums Schloss Belvedere gekommen waren. Erneut begleitet von der grandiosen Thüringen Philharmonie Gera-Eisenach unter Leitung von Robert Israel wurde der US-amerikanische Stummfilm »Verflixte Gastfreundschaft« (»Our Hospitality«) aus dem Jahr 1923 gezeigt. Wie in den Jahren zuvor bestätigte die überwältigende Resonanz über Generationengrenzen hinweg, dass Kino das Gemeinschaftserlebnis ist und bleibt.
Dieser fulminante Abschluss der diesjährigen VII. Weimarer Stummfilm-Retrospektive »Wider den Bluff!«, die weit über 720 Personen besucht hatten, war zugleich auch der Abschluss dieser besonderen Veranstaltungsreihe, die 2019 in Kooperation mit dem Kunstfest Weimar gestartet war. Anlässlich des 100. Bauhaus-Jubiläums wollten wir Filme zeigen, die im Gründungsjahr des Staatlichen Bauhauses Weimar, das zugleich das Gründungsjahr der Weimarer Republik war, in den Weimarer Kinos zu sehen waren. Zunächst als einjährige Veranstaltung geplant, stellte sich schnell heraus, dass dieses Format eine besondere Faszinationskraft und außergewöhnlichen Spirit hat: in die Film- und Kinowelt Weimars vor 100 Jahren eintauchen und mit den Augen der Zeitgenossen der Bauhäusler und Bauhäuslerinnen – und anderen – Filme sehen. Schnell stand fest, dass die Retrospektive bis zum Jahr 2025 fortgeführt werden sollte, um auf diese Weise die Filme der gesamten Bauhaus-Zeit in Weimar abzubilden.
Auf der Grundlage von 2.094 Annoncen aus der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung Deutschland des Zeitraumes von 1919 bis 1925 konnten schließlich 2.742 Filme, darunter 757 internationale Produktionen, ausfindig gemacht werden, die in den beiden Weimarer Kinos »Scherffs Lichtspielhaus« (Marktstraße 20) und »Reform Licht-Spiele« (Marienstraße 1) liefen. Davon sind 554 Filme und 27 Fragmente erhalten, aus denen in den vergangenen sieben Jahren 100 Filme bei der Weimarer Stummfilm-Retrospektive über die Leinwand flimmerten. Da es sich größtenteils um selten gezeigte Filme handelt, mussten auch Übersetzungen, neue Untertitelungen oder die Beschaffung der Filme überhaupt in Angriff genommen werden, was sich nicht immer als leicht herausstellte. Durch deutschland- und weltweite Kooperationen mit Filminstitutionen ‒ von Lobster Films Paris, dem Eye Filmmuseum Amsterdam, dem British Film Museum, dem Det Danske Filminstitut Kopenhagen über die Friedrich-Wilhelm-Murnau Stiftung, das Filmmuseum Düsseldorf, das Filmmuseum München bis hin zum Deutschen Filminstitut & Filmmuseum Frankfurt am Main, der Kinothek Asta Nielsen e.V., dem Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin und der Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin ‒ war es möglich, Filmkopien unseres kulturellen Filmerbes zu erhalten.
Ebenfalls aufwendig wurden jedes Jahr passende Mottos für die Weimarer Stummfilm-Retrospektive aus damaligen Zeitungen und Filmbeilagen extrahiert, um den Zeitgeist zu veranschaulichen: Schock der Freiheit (1919/2019), Überreizung der Phantasie (1920/2020), Im Kreise der Unsterblichen (1921/2021), Branntwein, Tabak, Kino! (1922/2022), Lob dem Lichtspiel (1923/2023), Weltenecho (1924/2024) und Wider den Bluff! (1925/2025).
Kontextualisiert wurden die Filme und das Kinoerleben durch Einführungsvorträge, Wochenschauen mit eingesprochenen Kommentaren und Podiumsgespräche. Als Referent*innen konnten unter anderem Norbert Arping, Stefan Drößler, Jeanpaul Goergen, Karola Gramann und Prof. Dr. Heide Schlüpmann, Prof. Dr. Michael Grisko, Martin Koerber, Prof. Dr. Patrick Rössler, Dr. Philipp Staisny, Hasko Weber und Dr. Anett Werner-Burgmann gewonnen werden.
»Das Kino verwandelte sich in den zehn Tagen im August in eine Zeitmaschine, in der Abend für Abend ein Stück Gegenwartsvorhang zur Seite gezogen wurde, und die alten Filme dann in ihrer Faszination sichtbar wurden, die sie hatten, als sie ganz neu waren. Originalgetreu war auch die Aufführungssituation: Alle Filme wurden mit Live-Musik begleitet und Abend für Abend wurde spürbar, dass die Live-Performance der Musik eine Besonderheit der Stummfilmästhetik ist: Es ist immer auch ein Konzert mit Filmbegleitung!«, resümiert Dr. Simon Frisch, Mitorganisator und Dozent für Medien- und Filmwissenschaft an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar.
Über 30 nationale und internationale Stummfilm-Musiker*innen kamen nach Weimar, um die Filmabende im Lichthaus Kino live zu begleiten, unter ihnen Steven Horne (GB), Daan van den Hurk (NL) Izabela Kaldunska (RUS), Eunice Martins (FR), Maud Nelissen (NL), Mykyta Sierov (UKR), Frank Bockius, Sebastian Herzfeld, Matthias Hirth, Richard Siedhoff und Ekkehard Wölk (alle D). Ebenfalls herausragend waren in jedem Jahr die Stummfilm-Konzerte mit der Thüringen Philharmonie Gera-Eisenach und der Staatskapelle des Deutschen Nationaltheaters Weimar unter den Dirigaten von Burkhard Götze und Robert Israel (USA), die an verschiedenen Orten in Weimar stattfanden: im Deutschen Nationaltheater Weimar, in der Redoute, im Maurice-Halbwachs-Auditorium der Bauhaus-Universität Weimar und im Musikgymnasium Schloss Belvedere. Ein besonderes Highlight war die Uraufführung der Musik zu Fritz Langs Filmklassiker »Der müde Tod«, für die der Komponist Richard Siedhoff den Deutschen Stummfilmpreis erhielt.
In den zurückliegenden sieben Jahren besuchten circa 4.500 Besucher*innen die Filmveranstaltungen, in denen Expeditionsfilme, Literaturverfilmungen, Detektivfilme, Western, Animationsfilme bis hin zu sozialkritischen Dramen oder Slapstick zu sehen waren. Einen wichtigen Bestandteil stellten auch die Kinder- und Jugendvorstellungen dar, um junge Menschen fürs cinephile Metier zu begeistern. Begleitet wurden die jeweiligen Ausgaben der Weimarer Stummfilm-Retrospektive durch korrespondierende Jahresausstellungen im Foyer des Lichthaus Kinos, die Hannah Meyer gestaltete.
Dem Projektteam gehörten Sven Opel und Dirk Heinje vom Lichthaus Kino, der Stummfilm-Musiker Richard Siedhoff, Jens Riederer vom Stadtarchiv Weimar und Gerrit Heber, Dr. Simon Frisch und Dr. Katrin Richter von der Bauhaus-Universität Weimar an. Temporär wirkten die Studierenden Jonas Rieger, Laura Khachab, Louisa Meyer, Salma Virág Pethö-Zayed und Piet Lange mit.
Ein überaus positives Resümee zieht auch Dr. Katrin Richter, Mitorganisatorin und stellvertretende Direktorin der Universitätsbibliothek: »Unser Team – übrigens in gleicher Besetzung von der ersten bis zur letzten Minute – besteht aus Akteur*innen von Universität, Stadtarchiv, Lichthaus-Kino und Stummfilm-Szene, und die dadurch generierte, sehr produktive und konstruktive Zeit möchten wir alle nicht missen, galt es ja auch, die nicht ganz leichte Pandemiezeit mit straffen Restriktionen für den Kinobetrieb zu überstehen. Was jetzt kommt, wird sich zeigen: Wir sind offen für Neues.«
Geplant ist nun eine Publikation inklusive eines Supplements mit den wesentlichen Ergebnissen der Weimarer Stummfilm-Retrospektive, die den Weimarer Kinoalltag für die weitere Forschung zugänglich machen soll. Für die kommenden Jahre – mit der neuen Kunstfestleitung laufen hierzu schon Gespräche – sind neue, spannende, wilde Veranstaltungsformate denkbar, die unterschiedliche Passionen für den Film und das Kino ins Rampenlicht stellen und auf die große Kinoleinwand bringen.
Die Veranstaltungsreihe wurde von der Thüringer Staatskanzlei, der Sparkassenstiftung Weimar-Weimarer Land, der Sparkasse Mittelthüringen, der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, dem Weimarer Republik e. V. (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz), der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, dem Kunstfest Weimar, der Kulturstadt Weimar und der Bauhaus-Universität Weimar gefördert.
Text: Dr. Katrin Richter
Für Rückfragen stehen Ihnen gerne Dr. Simon Frisch, Dozentur Film- und Medienwissenschaft, per E-Mail: simon.frisch[at]uni-weimar.de oder telefonisch: +49 (0) 36 43/58 37 37 sowie Dr. Katrin Richter, Universitätsbibliothek, per E-Mail: katrin.richter[at]uni-weimar.de oder telefonisch: +49 (0) 36 43/58 28 03 zur Verfügung.