Julia Preisker

Projekttitel

Kleine Formen des Widerstands – Medienkulturhistorische Perspektiven auf jiddische Protest-Lieder

Projektbeschreibung

Wenn Wahlen beeinflusst, Proteste organisiert oder Regierungen gestürzt werden, richtet sich der Blick nicht selten auf diejenigen, die diese gegenhegemonialen Umbrüche vollziehen. Aufrufe zu Protesten, zivilem Ungehorsam, die Beeinflussung von Wahlen oder die Verbreitung von (Des-)Informationen benötigen jedoch Techniken, über die solche Aktivitäten vermittelt werden können. Sie machen Störung und Irritation sichtbar und dienen der Vernetzung und der möglichen Vergrößerung der Protestgemeinschaft. Akte der Intervention sind entsprechend auf materielle Vermittlungsinstanzen angewiesen, die eine Artikulation ihrer Agitation ermöglichen. Dieses Promotionsvorhaben nimmt deshalb Medien von Interventionen in Augenschein und befragt, inwiefern politischer Protest konstitutiv von medialem Einsatz abhängt.
In den Blick gerät hier die Frage, wie aus medienkulturwissenschaftlicher Sicht ein Moment der Störung zu denken und zu beschreiben ist. Störung definiert eine Selbstermächtigung in Prozesse und Abläufe einzugreifen, Grenzen aufzuzeigen sowie Widerstand, Provokation und Intervention. Die vorliegende Arbeit möchte das Ziel anstreben, die Korrelation, ja, sogar eine Interdependenz zwischen künstlerischen Interventionen und ihren Ausdrucksmitteln herauszuarbeiten. Anhand der Untersuchungsgegenstände jiddischer Arbeiter*innen- und Protestlieder des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, sowie ihre Nutzung in der Gegenwart wird die These aufgestellt, dass Interventionen stets kleine Formen nutzen, um Protest und Kritik auszudrücken und zu vermitteln. Zwar mögen künstlerische Interventionen aktuell neuen Aufschwung finden (vgl. Hartmann/Lemke/Nitsche 2012); rein digitale Phänomene sind sie jedoch nicht. Auch das Aufgreifen und Produktivmachen kleiner Formen für Protest und Aktionismus hat eine längere Geschichte als das Internet. Deshalb wird in der folgenden Arbeit die Erzeugung von Störung in einen historischen Kontext gesetzt und im Anschluss an eine gegenwärtige Neukontextualisierung rückgekoppelt. Jiddische Protest- und Widerstandslieder wurden für und in einer bestimmten Zeit verfasst, ihre Themen umfassen Kritik an Arbeitsbedingungen, Staats- und Polizeigewalt, Erträumen von Utopien, den Kampf um Anerkennung in der Diaspora, sie gehören formal zu den Kategorien der Protest-, Kabarett- und auch (sozialkritischen) Wiegenlieder. Dabei werden keine großen politischen Theorien rezipiert, sondern Bezüge zu aktuellen Situationen hergestellt, um die Schicksale der Betroffenen so konkret wie möglich zu beschreiben. Damit stellen sie sich explizit gegen allgemeingültige Welterklärungsbestrebungen, legen den Fokus auf Details, auf das Gegenläufige, das Randständige. Sie rücken diejenigen in den Mittelpunkt, die marginalisiert werden und unsichtbar bleiben (sollen), weshalb sie als kleine Medien der Sichtbarmachung und der Widerständigkeit dienen. Sie rücken das Fragmentarische, Konstruierte und Flüchtige in den Mittelpunkt und können daher als Medien der Sichtbarmachung und des Widerständigen betrachtet werden.

Vita

Julia Preisker hat von 2009-2015 Theater-, Film- und Medienwissenschaft (B.A.) bzw. Theater-, Film- und Mediengeschichte (M.A.) an der Universität Wien studiert. Nach ihrem Abschluss war sie Mitarbeiterin der interdisziplinären Forschungsplattform „Mobile Cultures“ sowie Lehrbeauftragte am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft (tfm). Seit 2017 ist sie DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und seit 2019 im Rahmen ihres Dissertationsprojekts wissenschaftliche Mitarbeiterin am tfm. 

Publikationen (Auswahl)

Buchbeiträge
Preisker, Julia,"On Mediated Disrespect – Theoretical considerations about the political sphere in social media”. In: Donatella Della Ratta, Geert Lovink, Teresa Numerico, Peter Sarram (Hg.): Fear and Loathing of the Online Self. A Savage Journey into the Heart of Digital Cultures. London: Palgrave Macmillan. In Vorbereitung, voraussichtliches Erscheinungsdatum: Sommer 2020.

Ifkovits, Kurt/Preisker, Julia, „Verzeichnis der Aufführungen“. In: Beat Steffan (Hg.): Emil Pirchan. Ein Universalkünstler des 20. Jahrhunderts, Wädenswil: Nimbus 2018, S. 324-349.

Preisker, Julia„‘Ein neuer, waschechter Friedmann. Und so einer tut jetzt dringend not‘ – Zwischen Unterhaltung, Emanzipation und Antisemitismus – Armin Friedmann, Hans Moser und das jüdische Theater in Wien“. In: Mühlegger-Henapel, Christiane (Hg.): 25 Jahre Theatermuseum im Palais Lobkowitz, Wien: Holzhausen 2016, S. 59-73.

Preisker, Julia, „Jüdische Artistik in Wien um 1900. Ein fragmentarischer Einblick: Das Varieté Reklame und seine Künstlerinnen und Künstler“. In: Birgit Peter/Kaldy-Karo, Robert (Hg.): Artistenleben auf vergessenen Wegen. Eine Spurensuche in Wien, Münster/Wien: Lit Verlag 2013, S. 47-58.

Preisker, Julia, „Siegmund Breitbart als Mittler eines Zeitbildes: ‚Eisenkönig' zwischen Zionismus und Muskelkraft“. In: Birgit Peter/Kaldy-Karo, Robert (Hg.): Artistenleben auf vergessenen Wegen. Eine Spurensuche in Wien, Münster/Wien: Lit Verlag 2013, S 247-264.

Zeitschriftenbeitrag
Preisker, Julia „Von der An- und Abwesenheit (medialer) Subjekte und der Wirkung von verletzender Sprache – Performativitäts- und medientheoretische Überlegungen zu 13 Reasons Why“. In: Hate        Speech. Betrifft Mädchen 32/3 2018, S. 106-112, DOI: 10.3262/BEM1803106.

Rezensionen
Preisker, Julia, „Linda Waack: Der kleine Film. Mikrohistorie und Mediengeschichte“. In: rezens.tfm 2020/2. Voraussichtliches Erscheinungsdatum: November 2020.

Raskin, Irina/Preisker, Julia, „Gertrud Koch, Thomas Patrick Pringle, Bernard Stiegler (Hg.): Machine und Martin Burckhardt: Philosophie der Maschine“. In: rezens.tfm 2019/2. Online abrufbar: rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/2777.

Preisker, Julia, „Howard Caygill, Martina Leeker, Tobias Schulze (Hg.): Interventions in Digital Cultures: Technology, the Political, Methods“. In: rezens.tfm 2019/1. Online abrufbar: rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/104.

Preisker, Julia; „Jennifer Eickelmann: 'Hate Speech' und Verletzbarkeit im digitale Zeitalter. Phänomene mediatisierter Missachtung aus Perspektive der Gender Media Studies“. In: rezens.tfm 2018/1. Online abrufbar: rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/42.

Preisker, Julia, „Michaela Ott: Dividuationen. Theorien der Teilhabe“. In: rezens.tfm 2017/1. Online abrufbar: rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/r364.

Vorträge (Auswahl)

Gastvortrag im Seminar „Medientheorie I“(MMag. Andreas Ehrenreich), Institut für Musik-, Medien- und Sprachwissenschaften (MMS), 22.06.2020, Universität Halle, via E-Learning-Plattform
Titel: “On Mediated Disrespect – Theoretical considerations about the political sphere in social media”

„DIS(S)-CONNECT I. Wie Medien uns trennen und verbinden“, Interdisziplinäre Doktorand*innen-Tagung, Johannes Gutenberg-Universität, Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft, 25.-27.04.2019, Mainz
Titel: „Das Kürzeparadigma im digitalen Zeitalter – Medienkulturhistorische Perspektiven auf kleine Formen politischen Sprechens“

“Nations in Cyberspace”, Central European University (CEU), 28.-30.06.2018, Budapest
Titel: “The Constitution of Im/Mobility: Perspectives on Hegemony and Nationalism within Social Media”

Gastvortrag in der Vorlesung “Cultural Theories and Popular Culture“ (Univ.-Prof. Dr. Alexandra Ganser), Institut für Anglistik und Amerikanistik, 08.06.2017, Wien
Titel: “How to deal with ‘Hate Speech’? The Phenomenon of ‘slut shaming’ in ‘Social Media’ and the Categorisation of (female) Subjects“

“Democracy in Development – Comparative Perspectives on the Governance of the Public Good“, SCOPE 2017: 4th International Interdisciplinary Conference of Political Research, 26.-28.05.2017, Bukarest
Titel: “The Development of Social (In)dividuals – Perspectives on Hegemony and Political Identity within ‘Social Media’“

“Fear and Loathing of the Online Self. A Savage Journey into the Heart of Digital Culture“, Conference hosted by the John Cabot University and Università degli Studi RomaTre, 22.-23.05.2017, Rom
Titel: “The Divided Subject – A new Definition of the Online Self“

„Das Obszöne als politisches Performativ/L’obscène comme performatif politique“, Atelier der DFH für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, 12.05.2017, Wien
Titel: „Mit/geteilter Hass – Subjektivierungsstrategien und politische Teilhabe in den ›Sozialen Medien‹“

„Kritik!“, Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2016, 28.09.-01.10.2016, Berlin
Titel: „Kritik (an) der Kommentarkultur“

“Refugees and migration – nationalist/racist responses”, Mid-term conference of RN 31 Ethnic Relations, Racism and Antisemitism, 01.09.2016, Warschau
Titel: “‘Defending Europe’: Theoretical Perspectives on Hegemony, Cultural Stability and Symbolic Borders within ‘Social Media’”