Das Soziale des Tötens. Eine Wissenssoziologie des gewaltsamen Lebensendes

Das Projekt Das Soziale des Tötens. Eine Wissenssoziologie des gewaltsamen Lebensendes untersucht Videos, in denen reale Tötungen zu sehen sein sollen. Die gegenwärtigen Debatten um Homepages, die Tötungsvideos als ›Schock-Inhalte‹ bereitstellen, die kontinuierlichen Verweise auf die psycho- und sozialpathologischen Wirkweisen dieser Aufnahmen, deren Rolle für die Auto-Radikalisierung rechtsextremer und islamistischer Attentäter*innen und ihr Einbezug in die massenmediale Berichterstattung verdeutlichen die Relevanz dieses Forschungsgegenstandes. Bisher unberücksichtigt blieb jedoch, welches Wissen über Gewalt und Tod durch diese Videos konstituiert wird und wie es im »kommunikativen Haushalt« (Luckmann) der Gesellschaft wirksam wird.

Diese Frage soll durch eine wissenssoziologische Perspektive auf Tötungsvideos bearbeitet und in theoretischer Perspektive reflektiert werden. Das Projekt leistet einen Beitrag, Wissen über das Töten zu analysieren, systematisch aufzuarbeiten und in seiner gesellschaftlichen Tragweite verständlich zu machen. Im Zuge dessen sollen gewalt- und thanatosoziologische Perspektiven auf das Töten zusammengebracht und wissenssoziologisch informiert sowie empirisch gesättigt weiterentwickelt werden.

Das Projekt setzt sich aus zwei sich wechselseitig ergänzenden Teilprojekten zusammen, durch die eine doppelte Perspektive auf den Forschungsgegenstand eingenommen wird. Das erste Teilprojekt fasst diese Videos als Datensorte auf, die Einblicke in die Dynamiken von Situationen geben können, in denen Tötungen stattfinden. Es beleuchtet die Frage nach dem Wissen und dem kommunikativen Handeln in Tötungssituationen. Methodologisch setzt es einen interaktionsanalytischen Schwerpunkt. Im Mittelpunkt des Interesses stehen die Aushandlungen und Dynamiken in letalen Handlungszusammenhängen und insbesondere die Verknüpfung von Gewalt- und Todeswissen. Auf Basis der Videointeraktionsanalyse, der Ethnomethodologie und des Kommunikativen Konstruktivismus werden durch die Aufarbeitung von Tötungsvideos für das Verhältnis von Gewalt- und Todeswissen ebenso vielsagende wie aufschlussreiche Beispiele rekonstruiert.

Das zweite Teilprojekt setzt einen diskursanalytischen Schwerpunkt. Es verfolgt die These, dass ein gesellschaftlicher Wissensvorrat über das Töten weniger von den eigentlichen Tötungsvideos geprägt wird, sondern vielmehr durch die entsprechenden Anschlusskommunikationen. Methodisch orientiert an der Wissenssoziologischen Diskursanalyse wird im Rekurs auf konkrete Beispiele gezeigt, dass die gesellschaftlichen Wissensverhältnisse und Wissenspolitiken in Bezugnahme auf das Töten dominant nicht durch Täter*innen und Opfer, sondern durch Dritte geprägt werden, die sich kommunikativ auf die Videos beziehen – z.B. in juridischen, journalistischen oder Unterhaltungskontexten. Das Teilprojekt soll verdeutlichen, wie diese Mediatisierung des Tötens Wissen über Gewalt und Wissen über den Tod erzeugt, miteinander verzahnt und dergestalt gesellschaftlich in Umlauf bringt.