Dr. Jasmin Degeling

Stand: 2022

Projekttitel

Sicherheit, Schutz und Solidarität: Medienanthropologische Spekulationen auf Medienpraktiken des Affekts

Projektbeschreibung

Die Erfahrung zunehmender rechter Gewalt und rechten Terrors hat sich unter pandemischen Bedingungen noch einmal verschärft: Es wird eine Radikalisierung unter digitalmedialen Bedingungen diagnostiziert. Der von Fielitz/Marcks initiierten Debatte ist es zu verdanken, dass sowohl öffentlich als auch wissenschaftlich breiter über Faschismus als emergentem Phänomen und dessen mediale Dynamiken diskutiert wird. Der Diskurs um die Emergenz faschistischer Strukturen produziert jedoch eine Leerstelle, die die Unbetrauerbarkeit von Betroffenheiten struktureller, rassifizierter und vergeschlechtlichter Gewalt verdeckt: Kulturen von Wut und Hass bedingen die Derealisierung (J. Butler) von Sorge, Solidarität und Trauer. Politisiert wird dieses affektive Gefüge zuletzt von Akteur:innen wie etwa NSU Komplex auflösen, der Initiative 19. Februar Hanau oder der Black Lives Matter-Bewegung, deren Wissen und Erfahrung aus Analyse und Kritik bislang jedoch meist ausgeschlossen ist. Dieser Situation sucht dieses Projekt mittels einer affektpolitischen  Spekulation auf andere Formen sozialer Sicherheit jenseits von Anerkennung und Aneignung zu antworten.

Im Fokus des Projekts steht die Analyse und Kritik der Relationalität komplexer und emergenter post/digitaler Medienpraktiken und Empfindungskulturen. Es interessiert sich für die wechselseitige Ko-Konstitution von Medien, Gender, Race und Affekt mit Blick auf Formen struktureller Gewalt in post/digitalen Medienkulturen. In den Vordergrund rückt dabei die bundesdeutsche Situation des biopolitischen, post/migrantischen Wohlfahrtsstaates und seiner spezifischen Immunopolitik (M. Laufenberg) um Risiko, Ansteckung, Einhegung und Sorge. Mediale Affekt- und Un/Sicherheitsheitsregimes im Spannungsfeld von Gefahr und Gefährdung werden an Beispielen medienkünstlerischer Arbeit beschreibbar gemacht, die dieses Spannungsfeld dokumentieren, aber gleichzeitig eine Spekulation auf andere Begriffe sozialer Sicherheit und Schutz leisten.

Mittels eines »Spekulativen Materialismus« (K. Diefenbach) und unter Einbeziehung der Theorien und Debatten aus den Feldern von Queer Affect Theory und Critical Race Studies wird eine philosophische und historisch informierte Schärfung des Affektbegriffs und eine Neusituierung der theoretischen Debatte um Affekt entwickelt. Empfindungsgefüge werden als Zusammenhang mediatisierter Handlungsfähigkeit begriffen, deren Einschränkungen oder Öffnungen, Mobilisationen oder Segregationen wir beobachten können. Differenzverhältnisse, Relationalitäten, werden in ihrem immanenten Potential der Umkehrung und Korrumpierbarkeit, des Abbruchs und Unterlaufens, Loslösens und Erzeugens gedacht. Sie sind lebendige Ausprägung von Existenzweisen. In diesem Sinn werden Analysegegenstände dezidiert medial-ästhetisch, als Ausdrucksphänomene digitalmedialer Bedingungen, verstanden. Gleichzeitig gilt es diese Theoriebildung auch medienwissenschaftlich herauszufordern: Wie trägt spekulativer Materialismus zur Analyse und Kritik post/digitaler neofaschistischer Medienkulturen und ihrer Affektivität bei? Wie kann eine Kritik von Affektkulturen möglich werden, die eine Trennung von Affekt und Denken gleichermaßen unterläuft wie eine Trennung von Medien und Politik, stattdessen Politik in der Immanenz von Denken und Affekt ansiedelt und eine radikale Kritik an Aneignungs- und Anerkennungslogiken übt?

Analysiert werden verschiedene audiovisuelle medienkünstlerische Formate, die im Kontext  dokumentarischer post/digitaler Medienkulturen sowie ihrer konkreten sozialen Bewegungsgeschichten situiert werden, wie bspw. die Videoarbeiten und Soundinstallationen von Talya Feldman (The violence we have witnessed carries a weight on our hearts, Jüdisches Museum Berlin 2021; After Halle, Jüdisches Museum Frankfurt 2021), Experimental-Kurzfilme wie Dunkelfeld (Ole-Kristian Heyer, Patrick Lohse, Marian Mayland, 2020) oder Deine Straße (Güzin Kar, 2020) und Projekte wie die auf der Software von Forensic Architecture beruhende Simulation von NSU Watch Global White Supremacist Terror: Halle.

Vita

Jasmin Degeling hat Theater- und Literaturwissenschaft im B.A. an der Ruhr-Universität Bochum sowie Theaterwissenschaft und Gender Studies im M.A. in Bochum und Paris X studiert. Die Promotion zu »Medien der Sorge« hat sie als Stipendiatin im PhD-Net »Das Wissen der Literatur« der Humboldt-Universität Berlin 2013 begonnen und im Fach Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum 2019 abgeschlossen. Sie war Visiting Scholar  am German Department/ UC Berkeley (2014)  und  Mitglied des Kooperationsnetzwerks »Queer Temporalities and Media Aesthetic« (RUB/ Northwestern University/ Illinois, 2016-2018).

Zuletzt war Jasmin Degeling wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Uni Bochum, Mitglied des Direktoriums Gender Studies der RUB sowie Mitherausgeberin des onlinejournals kultur&geschlecht. Davor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im künstlerisch-wissenschaftlichen Masterstudiengang Szenische Forschung am Institut für Theaterwissenschaft RUB.

Gemeinsam mit Sarah Horn ist Jasmin Degeling Sprecherin der AG Gender/Queer Studies der Gesellschaft für Medienwissenschaft sowie aktives Mitglied im Forum Antirassismus Medienwissenschaft. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Medien der Sorge, Gender und Queer Studies, Biopolitik, Politische Affekte sowie Digitaler Faschismus.

Preise

Best Publication Award Gender&Medien 2019 für den Artikel „‚Queer aufs Spiel gesetzt’.
Beißreflexe, queere Bewegungsgeschichte und gegenwärtige Affektkulturen“, mit Sarah Horn, in: onlinejournal kultur&geschlecht 21, Juni 2018.

Publikationen

Monographien:
 
Medien der Sorge, Techniken des Selbst. Praktiken des Über-sich-selbst-Schreibens bei Christoph Schlingensief und Elfriede Jelinek, (Büchner-Verlag), Marburg 2021

Rezension zu Medien der Sorge, Techniken des Selbst:
Mader, Vera: »Jasmin Degeling: Medien der Sorge, Techniken des Selbst: Praktiken des Über-sich-selbst-Schreibens bei Christoph Schlingensief und Elfriede Jelinek«. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, Jg. 39 (2022), Nr. 2, S. 143–144. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/18543.


Redaktion:

Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.): Zeitschrift für Medienwissenschaft. Heft 24: »Medien der Sorge«, Jg. 13 (2021), Nr. 1. DOI: doi.org/10.25969/mediarep/15762.

Onlinejournal kultur&geschlecht #21-#28: kulturundgeschlecht.blogs.ruhr-uni-bochum.de

Aufsätze:
i.V. »Dark Care. Jordan Petersons Therapeutik des Self-Authoring«, mit Maren Haffke, in: Julia Bee, Irina Gradinari, Katrin Köppert (Hg.), De:Mapping Politics, i.V. 2022

i.V. »Privacy Assistants – Challenges and Critique of Evolving Concepts of Privacy in Ever-Changing Computing Environments«, mit Martin Degeling, in: Marcus Burkhardt, Katja Grashöfer, Mary Shnayien and Bianca Westermann (Hg.), Explorations in Digital Cultures, (Meson Press), vor. 2020

»Theoriepolitiken des Überlebens: Trauerarbeit mit Lauren Berlant«, mit Philipp Hohmann. Texte zur Kunst 32 (126) (2022): 153–57.

»Medien der Sorge. Einleitung in den Schwerpunkt«, mit Maren Haffke, in: Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.): Zeitschrift für Medienwissenschaft. Heft 24: »Medien der Sorge«, Jg. 13 (2021), Nr. 1. DOI: doi.org/10.25969/mediarep/15762

»,Mein Handy hat schon Covid-19!‘ Digitaler Faschismus unter Bedingung der Corona-Pandemie«, onlinejournal kultur&geschlecht, 01/2021 unter: kulturundgeschlecht.blogs.ruhr-uni-bochum.de/wp-content/uploads/2021/02/Degeling-Hoffmann-Strick-digitaler-Faschismus.pdf
   
Heilung durch Kunst? Schlingensiefs Reenactments der Avantgarden der Performancekunst (Ball, Brus, Beuys und Nitsch), in: Lore Knapp, Sarah Pogoda (Hg.): Schlingensief und die Avantgarden, München (Fink), 2019.
   
,Queer‘ aufs Spiel gesetzt: Über Beißreflexe, queere Bewegungsgeschichte und gegenwärtige Affektkulturen, mit Sarah Horn, in: onlinejournal kultur&geschlecht #21, 2018, unter: kulturundgeschlecht.blogs.ruhr-uni-bochum.de/wp-content/uploads/2019/10/Degeling_Horn_Queer-aufs-Spiel-gesetzt.pdf

Einleitung: Die „jüngere Queerfeminist*in“ spricht, mit Astrid Deuber-Mankowsky, Sarah Horn, Mary Shnayien, in: onlinejournal kultur&geschlecht #21, 2018, unter: kulturundgeschlecht.blogs.ruhr-uni-bochum.de/wp-content/uploads/2018/06/Einleitung.pdf

Kritisches Leben. Schlingensiefs Selbstsorge, in: Nikolaus Müller-Schöll et al., Theater als Kritik, Bielefeld, (transcript), 2018.
   
Dramaturgie der Sorge und Ästhetik des Pathos. Christoph Schlingensiefs Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir, in: Guido Hiß et al, Das Theater der Ruhrtriennale, Oberhausen (Athena) 2018.

Über die Rhetorik des Spiels bei Foucault, in: Astrid Deuber-Mankowsky, Reinhold Görling (Hg.), Denkweisen des Spiels. Medienphilosophische Annäherungen, Wien/ Berlin (Turia & Kant) 2016 (Cultural Inquiry), S. 103 – 118.

Lebendige Körper – geformte Wünsche – zerstreute Aufmerksamkeiten. Einige Überlegungen zu designed desires vom theatercombinat und »struggling bodies in capitalist societes (democracies)«  –  Eine Rückschau auf ein experimentelles Symposium, Kritiken im Weblog des theatercombinat, unter: www.theatercombinat.com

Zeitgenössische Praktiken von Subjektivierung. Konsumismus, Kybernetischer Kapitalismus und Repräsentationskritik in Anschluss an Tiqquns Figur der Jungen-Mädchen  in: onlinejournal kultur&geschlecht, Ausgabe 01/2013, unter: www.ruhr-uni-bochum.de/genderstudies/kulturundgeschlecht/pdf/stommel.pdf

Die Ordnung der (Nicht)Orte. Kampnagel und Kreativwirtschaft, in: Performing Politics. Politisch  Kunst machen nach dem 20. Jahrhundert, hrsg. Von Müller-Schöll, Nikolaus; Schallenberg, André; Zimmermann, Maite. Theater der Zeit-Verlag: Berlin 2012.

Kritik der Tagung NS als Mediengeschichte vom 01.02.2012, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft online. unter: www.zfmedienwissenschaft.de/index.php (Mai 2012)

Anstiftung zur Intervention. Office for subversive architecture – ein Portrait, in: Schauplatz Ruhr – Jahrbuch zum Theater im Ruhrgebiet, hrsg. von Haß, Ulrike; Hiß, Guido. Theater der Zeit-Verlag: Berlin 2011.