»Das System Hans« von Rafael Jové

Das Radiofeature- bzw. Foto- und Buchprojekt »Das System Hans« entstand 2012/2013 als Masterarbeit am Lehrstuhl »Experimentelles Radio«, wurde von Professorin Nathalie Singer und Martin Becker geprüft und am 22.04.2013 mit »Summa cum laude« abgeschlossen.
Kernmaterial der Arbeit bilden ca. 120 Minuten Sprachmitteilungen des Hans Stern, die dieser über ein Jahr hinweg auf dem Höreranrufbeantworter eines Münchner Radiosenders hinterließ, während ich in nämlichen Sender als Techniker arbeitete. Die Anrufe erfolgten offenbar aus stetig wechselnden Telefonzellen und hatten immer eine genaue Beschreibung von Hans Sterns sich verschlechterndem Geistes- und Körperzustand zum Inhalt. Er berichtete von Aufträgen, die er versuche zu erfüllen, sowie von einer geheimen Organisation, die ihn daran hindere und ihn mit allerlei Beeinflussungsmöglichkeiten versuche, unschädlich zu machen.
Was zunächst lediglich durch ein Zusammenspiel von markanter Stimme, eindringlichem Vortrag, wechselnden Stadtgeräuschen im Hintergrund und wirr anmutender Häufung von Anglizismen und Neologismen faszinierte, entwickelte für mich bei längerem Verfolgen einen unwiderstehlichen Sog. Je länger ich hörte, desto mehr entfaltete sich vor mir eine vom Wahn durchsetzte Welt, die nach ganz eigenen logischen Prinzipien funktionierte und ich empfand die so gewonnenen Einblicke als faszinierendes Geschenk.
Obwohl mich die Faszination für die Aufnahmen Sterns nie wieder ganz los ließ und ich auch später regelmässig seine Texte anhörte, entschloss ich mich erst sieben Jahre später, sie zum Gegenstand meiner Masterarbeit zu machen. Es stand hierbei für mich außer Frage, dass eine Bearbeitung des Materials nicht ohne einen Versuch erfolgen dürfte, Hans Stern ausfindig zu machen.
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Erste Anhaltspunkte für Wohngegend und Lage der benutzten Telefonzellen gewann ich durch systematische Auswertung des Audiomaterials. Dann folgte eine Reise nach München, während der ich meine Suche nach Hans Stern in autobiographischen Reportagen festhielt. Schnell wandelte sich das Suchvorhaben in die Erörterung der Frage, ob man dieses alles moralisch überhaupt rechtfertigen könne, ob mich mein Kunstvorhaben wirklich berechtigt, einen seelisch Erkrankten zu vereinnahmen. Meine Ängste und Zweifel wurden Teil des Stücks und traten im resultierenden Radiofeature »Da ist nochmal der Hans« mehr und mehr in den Vordergrund.
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Zusätzlich zur akustischen, arbeitete ich in München auch an einer visuellen Verarbeitung des Stoffes. Hierbei suchte ich die in Hans Sterns Wohngegend befindlichen Telefonzellen und alle anderen Orte, die in seinen Ausführungen genannt wurden auf, um sie in nüchternen, topographischen Mittelformatfotografien festzuhalten. Es war mir wichtig, die städtischen Orte, die in Sterns Aufnahmen als ständiges Hintergrundrauschen, -raunen und -rattern präsent sind, zu visualisieren, dem Mann, den ich selbst nicht sichtbar machen konnte, einen szenenbildartigen Rahmen zu geben.
Die Fotoserie fand, gekoppelt mit ausgewählten Zitaten Sterns, Eingang in die Publikation „Das System Hans“. Auf insgesamt 96 Seiten beschreibe ich dort ausführlich meine »Entdeckungsgeschichte«, und die wahnhafte Welt, die für Hans Stern die schwer erträgliche Realität ist. Ich skizziere die Stationen meiner Auseinandersetzung mit diesem Wahn und den Fragen nach der Rechtfertigbarkeit einer Kunst, die den Geisteskranken und seine Produktionen zum Gegenstand hat. Weiter dokumentiere ich Entwicklungen und Entscheidungen bei der Erstellung der Arbeit und gebe in Tagebuchaufzeichnungen Einblick in meinen eigenen seelischen Zustand zur Zeit der Bearbeitung.


Im abschließenden Teil der Arbeit – der öffentlichen Verteidigung in Form einer Ausstellung, rückten dann die Fotografien in den Vordergrund. Hierfür erstellte ich Prints von acht ausgewählten Bildern der Serie im Format 90 x 90 cm und hängte sie, gekoppelt mit schriftlichen Zitaten Hans Sterns in einen weitläufigen Ausstellungsraum. In einer eigens hierfür erstellten Audioarbeit montierte ich die non-verbalen Äußerungen Sterns und die Momente in seinen Aufnahmen, in denen lediglich die urbanen Hintergrundgeräusche hörbar sind, zu einer 24 minütigen linearen Komposition mit dem Titel »78 verheerende Zustände«. Diese konnte man auf einem präparierten Wandtelefon hören.
Die Fotoserie
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