Winter 2022 / 2023












 

 

Entwurf
Projektmodul
MA Architektur / Urbanistik

New Towns

In der Reihe Peripherie (vs.) Zentrum setzt sich die Professur mit den heutigen Phänomenen der Raumproduktion, insbesondere dem suburbanisierten Raum auseinander. Nach der Betrachtung des Infrastrukturtypus der Ausfallstraßen im Sommersemester 2021 unter dem Titel „Roadmovie“, der Untersuchung des Münchener Nordens unter dem Titel „Ideal( vs. )Wirklichkeit“ im Wintersemester 2021/2022 und der Beschäftigung mit der suburbanisierten Landschaft der nördlichen Lombardei im Sommersemester 2022 wollen wir uns in diesem Semester mit den New Towns, den Planstädten Großbritanniens beschäftigen.
Anhand des Shopping Centers von Milton Keynes möchten wir grundlegende Fragestellungen von Weiter- und Umbau, Umgestaltung und Umwidmung diskutieren, um die Kapazität einer Gebäudetypologie zu überprüfen, deren grundlegende Konzeption überholt erscheint.

Architektur transportiert immer Ideale und Sehnsüchte. Viele davon sind im Grunde widersprüchlich. Je absoluter das Ideal formuliert ist, desto enigmatischer and anziehender wirkt es als gebaute Architektur. Im Einklang mit der Natur zu leben, ist eine dieser Sehnsüchte. Eine Vorstellung, die sich, ausgelöst durch die frühe Industrialisierung, im englischen Garten wiederfindet und seit der Romantik ein fester Bestandteil unserer Kultur geworden ist.

Wir wollen uns in diesem Studio mit der Gartenstadtbewegung und der englischen Wohnarchitektur auseinandersetzen, die sich sehr früh über die Beziehung des Wohnhauses zum Garten definierte. Mit der Arts and Crafts Bewegung entsteht das Ideal einer Harmonie aus Handwerk und Natur. Eine in sich ruhende Insel, das Haus als Rückzugsort. Eine Vorstellung, die bis heute Sehnsuchtsort vieler ist und leider auch einer der wesentlichen Motoren der immer weiter anhaltenden Suburbanisierung und Versiegelung unserer Kulturlandschaft.  

England reagierte auf die akute Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg anders als Deutschland und Frankreich. In der Tradition Ebenezer Howards und der später gebauten Gartenstädte werden nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund des „Greater London Plans“ von 1944 und des „New Towns Act“ von 1946 einundzwanzig New Towns geplant und gebaut. Jede der neu gegründeten Städte soll, anders als die Siedlungen in Deutschland und Frankreich, in sich autonom wie eine Gartenstadt funktionieren. Während die alten Gartenstädte Letchworth und Welwyn architektonisch noch in der Tradition des Arts and Crafts gebaut wurden und wie alte englische Kleinstädte wirkten, waren die New Towns dagegen städtebauliche Experimente ihrer Zeit. Auf dem Reisbrett entworfen, gedacht als autogerechte Städte, wirken sie bis heute artifiziell und ihre Stadtzentren merkwürdig beziehungslos. Trotzdem wurde im Gegensatz zu den Großsiedlungen auf dem Kontinent die Idee des eigenen Hauses mit Garten propagiert und umgesetzt. 

Wir starten mit einer einwöchigen Exkursion nach London, in der wir die wichtigsten Wohnbauten, Gartenstädte und New Towns besichtigen werden. Im Entwurf setzen wir uns mit dem Stadtzentrum von Milton Keynes auseinander. Dabei geht es darum, eine neue Konzeption zu entwickeln und diese in einem städtebaulichen Entwurf bis zum Wohnhaus mit allen Details umzusetzen. Das Projekt kann Alleine oder zu zweit bearbeitet werden.

Die Teilnahme an der Vorlesung „Das Prinzip Hoffnung“ und dem Seminar „achtung: die Peripherie!“  wird empfohlen.












 

 

 

Seminar
Wahlpflichtmodul
MA Architektur / Urbanistik

achtung: die Peripherie!

Das Erscheinen des Buches „ZWISCHENSTADT: zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land“ von Thomas Sieverts ist 2022 bereits 25 Jahre her. Wir wollen das Jubiläum nutzen, um uns wieder mit dem Gegenstand seiner Untersuchung, dem suburbanen Raum auseinanderzusetzen. Das Buch ist eine der erfolgreichsten Publikationen über Städtebau, Stadt- und Raumentwicklung der letzten Jahrzehnte. Seinen Erfolg verdankt es unter anderem dem ambivalenten Titel, der immer noch viel Raum für Interpretationen lässt.

Das Ziel, die Augen für die Räume jenseits der großen Zentren zu öffnen, hat das Buch, zumindest für kurze Zeit, erreicht. Sieverts ist es gelungen, dem oft unzugänglich wirkenden Expertenthema der Raumentwicklung eine größere Bühne zu geben.

Trotzdem hat sich die Situation in den letzten 25 Jahren durchgehend verschlechtert. Entgegen eines gewachsenen ökologischen Bewusstseins wird die Landschaft weiterhin zerschnitten und versiegelt. Die Auswirkungen für die Biodiversität werden immer deutlicher, das Artensterben offenkundig. Gleichzeitig scheint die fortschreitende Urbanisierung zur Sicherung unseres Wohlstandes bis heute alternativlos zu sein.
Mit zunehmender Dynamik städtebaulicher Transformationsprozesse verändert sich auch der suburbane Raum. Hochfunktionalisierte Flächen werden nach kurzer Zeit durch neue Funktionen besetzt. Das Drama der Peripherie liegt darin, dass sich gerade auf den brauchbarsten Flächen Bauten mit einem Mangel an Dichte ansiedeln. Die Landschaft wirkt durch die Schneisen der Infrastruktur wie ein Schnittmuster, an dessen Knotenpunkten sich die Zentren der Warenverteilung anlagern. Mit seiner hohen Komplexität und Dynamik entzieht sich dieser Raum einem einfachen Verständnis von Ordnung und Schönheit. 

Wenn wir uns den Problemen der Umweltzerstörung, der Biodiversität und des Klimawandels stellen wollen, müssen wir diese weitgreifenden räumlichen Transformationsprozesse verstehen lernen. Lernen, wie das komplexe Raumgeflecht funktioniert, wie Zentren und Peripherie miteinander interagieren, um aktiv auf die aktuellen Entwicklungen einwirken zu können.

Im Seminar setzen wir uns mit verschiedenen Theorien zum suburbanen Raum von ihren historischen Anfängen bis heute auseinander. Von der Gartenstadt bis zur Zwischenstadt. Es gibt eine Vielzahl von Theorien und Texten, die versuchen, das komplexe Phänomen des urbanisierten Raums unserer Metropolregionen zu entschlüsseln. Wir werden uns im Seminar mit den unterschiedlichen Texten und Ihren Theorien auseinandersetzen, um eigene Denkmodelle und Theorieentwürfe zu Erscheinung und Funktionsweise des suburbanen Raums zu entwickeln.

Das Seminar ist Teil der im Wintersemester 2021/2022 neu begonnenen Projektreihe Peripherie (vs.) Zentrum unserer Professur. Zusammen mit den Entwurfsstudios untersuchen wir in den kommenden Semestern den suburbanisierten Raum, um neue Strategien im Umgang mit dem Urban Sprawl zu entwickeln.