Sommer 2023












 

 

Entwurf
4. Kernmodul
BA Architektur / Urbanistik

Der Verlust der Mitte
In der Reihe Peripherie (vs.) Zentrum setzt sich die Professur mit den heutigen Phänomenen der Raumproduktion auseinander. In diesem Semester beschäftigen wir uns mit den städtischen Zentren, die fortschreitend ihre zentrale gesellschaftliche und politische Bedeutung verlieren.

Fast paradigmatisch für den Verlust der Zentren wirkt die Stadtmitte Jenas. Die Stadt, topografisch reizvoll im tief eingeschnittenen Tal der Saale gelegen, avancierte im Austausch mit Weimar spätestens im 18. Jhd. zu einem pulsierenden Resort humanistischer Bildung und Naturwissenschaftlicher Forschung und genoss europaweite Aufmerksamkeit. Mit der Eröffnung der Universität am 02. Februar 1558 unter Herzog Johann Friedrich begann eine Entwicklung, die der Stadt im Zeitraum 1706 - 1720 mit 1800 Studenten den Status der deutschlandweit größten Universität einbrachte. Unter Intellektuellen der damaligen Zeit galt Jena schon bald als wichtiger Bezugsraum, nicht zuletzt durch das Betreiben Goethes, Weimar als Standort universitärer Lehre zu festigen.

Der Aufschwung Jenas zum hochproduktiven Industriestandort im 19. Jhd. hängt wesentlich mit der Person Carl Zeiss zusammen, der die räumliche Nähe zur universitären Forschung klug zum Aufbau eines führenden Unternehmens für Optik und Feinmechanik nutzen konnte. Aufgrund der großflächigen Industrieanlagen des Unternehmens war die Stadt im Zweiten Weltkrieg wiederholten Bombardements ausgesetzt und wurde weiträumig zerstört. Der Wiederaufbau blieb zunächst kleinteilig. Erst 1968 suchte die Stadt in einem städtebaulichen Wettbewerb einen Entwurf für ein neues, entsprechend den politischen Direktiven der DDR modernes Stadtzentrum. Jena sollte damit seinem Anspruch als Technologiestandort und Universitätsstadt gerecht werden. Einmal gebaut, wären den großmaßstäblichen Visionen ein nicht unerheblicher Teil der verbliebenen Altstadt geopfert worden.

Durch finanzielle Engpässe, einen latenten Widerstand des Bürgertums und die technisch in Teilen nicht umsetzbare bauliche Konzeption eingeschränkt, konnte schließlich nur der Jenaturm von Henselmann mit seinem offenen Vorfeld 1972 fertiggestellt werden. Wie ein übergroßes Objektiv bildet seine Figur eine „Stadtdominante“, die heute als höchstes lichtes Gebäude der östlichen Bundesländer zu werten ist. Der Turm selbst blickt auf eine bewegte Geschichte zurück: Bis dahin Standort der Universität, ging der Turm für den symbolischen Kaufpreis von 1 DM 1995 in privatwirtschaftlichem Besitz über. 1999 wurde die charakteristische, durch eine strenge vertikale Lineatur bestimmte Fassade durch eine vollfächige Glasvorhangfassade ersetzt, der ursprüngliche Entwurf Henselmanns ist optisch kaum noch wahrnehmbar. Den Bau umgeben großflächige Parkbereiche, deren städtebauliches Potential provisorisch bleibt - eine räumliche Leere im Zentrum. Für viele Bürger*innen bis heute ein Verlust, über den auch die Nachwendearchitektur der 90er mit dem angesetzten Einkaufszentrum „Neue Mitte“ nicht hinweghelfen konnte.

In diesem Semester wollen wir uns mit dieser verlorenen Mitte von Jena beschäftigen. Im gemeinsamen Entwurf suchen wir nach neuen stadträumlichen Lösungen, die der Geschichte des Ortes, seinen räumlichen Bedingungen und der ihn umgebenden Kulturlandschaft gerecht werden. Dabei stellen wir uns natürlich der Frage: Wie kann heute Stadt entstehen? Welche Raumprogramme, welche Gruppen der Zivilgesellschaft brauchen wir, um wieder einen öffentlichen Stadtraum zu bekommen, der nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich und damit politisch die Idee einer neuen Mitte für Jena widerspiegelt?

Die Teilnahme an der Vorlesung Arch.(    )Stadt wird empfohlen.












 

 

 

Entwurf
MA Architektur / Urbanistik

Tra le Città
An der Bauhaus-Universität in Weimar wollen wir uns mit dem Raum der nördlichen Lombardei auseinandersetzen. Der urbanisierte Raum, der im Tessin noch klar von den Ausläufern des Alpenhauptkamms gefasst wird, fließt hier scheinbar ungebremst in die flache Ebene. Eine hochentwickelte Landschaft, die an der Grenze zur Schweiz mit dem Lago di Lugano und dem Lago di Como, mit dem Panorama der Berge im Hintergrund noch lieblich über den Grad an Urbanisierung hinwegtäuscht, zerfällt weiter südlich komplett und wird zu einem konturlosen, unendlich wirkenden Siedlungsraum, einem chaotisch anmutenden Nebeneinander von Landwirtschaft, Gewerbe und Stadt, zerschnitten von Straßen, Gleisen und Stromtrassen.

Wir widmen uns diesem Raum zwischen Mendrisio und Varese, zwischen Chiasso und Como. Hier treffen die unterschiedlichen Systeme aus Wirtschaft von Touristik, der Autozulieferindustrie bis zur Landwirtschaft und Infrastruktur zusammen. Hinzu kommt die Architektur der Grenze zwischen der Schweiz und Italien, mit ihren Zäunen, Freilagern und Grenzstationen. Es ist ein Raum der paradigmatisch ist für die Zwischenstadt steht.


Jedes der Systeme hinterlässt seine eigenen Strukturen und Spuren, folgt der intrinsischen Logik seines Systems. Dieses Nebeneinander und Übereinander lässt sich hier mit dem Blick von den Bergen hinunter exemplarisch studieren. Während die Städte Varese und Como mit ihren Kathedralen und Innenstädten einzigartig sind, die Seen und Berge zu interessantesten Kulturlandschaften Europas zählen, wirkt dieser Zwischenraum zwischen den Städten austauschbar. Grenzenlos zieht sich dieser Raum über Mailand hinweg und entlang der Poebene bis zur Adriaküste. Ein Raum, der sich immer wieder verändert und doch keine Kontur bekommt. Die Region hat sich unter dem Titel Regio Insubrica als privatrechtlicher Zusammenschluss eine gemeinsame länderübergreifende Arbeitsebene geschaffen, um gemeinsam Infrastrukturprojekte, Tourismus- und Wirtschaftsförderung für die Region zu organisieren. Dies zeigt auf der einen Seite, welche wichtige wirtschaftliche Bedeutung dieser Raum als Wirtschaftsraum hat und auf der anderen Seite, wie eng die kulturelle Verflechtung hier in der nördlichen Lombardei zwischen den verschiedenen angrenzenden Kulturen und Ländern Europas ist. Es ist ein Raum, der auf den ersten Blick auf Grund der fehlenden Ordnung unkultiviert wirkt und doch ist er ein exemplarischer Teil Europas. In der Mitte zwischen Frankreich, Italien und der Schweiz als Transitraum von den Alpen zum Mittelmeer, treffen hier unsere verschiedenen Kulturen aufeinander. Ein Raum, den wir passieren, aber nur selten aufmerksam wahrnehmen. Der Kontrast mit den Bergen und den Seen, der städtischen Kultur in Como, Varese lässt diesen Raum `en miniatur ́ zu einem exemplarischen Experimentfeld für Begegnung mit der europäischen Zwischenstadt werden.












 

 

 

Vorlesung

Die Geschichte des europäischen Städtebaus
Unserem europäischen Selbstverständnis zufolge ist der öffentliche, allen freien Bürgern zugängliche Raum das konstituierende Element der Europäischen Stadt. In den Vorlesungen zeigen wir auf, dass die Architektur den öffentlichen nicht nur als gebauten Raum, sondern mit ihren narrativen Möglichkeiten auch als Bedeutungsraum erschließen und lesbar machen muss. Aus diesem Grund sind Architektur und Städtebau eine untrennbare Einheit. Das eine ist nicht ohne das andere denkbar. Beide bedingen einander.

Architektur und Städtebau sind in einem dialektischen Verhältnis gefangen, das seit der Aufklärung bis heute krisenhaft ist. Während die Architektur sich in der Regel immer stärker auf das Einzelobjekt beschränken ließ, hat sich die Stadtplanung auf eine reine Funktionsplanung reduzieren lassen. Trotz der kritischen Reflexion der Postmoderne und der anschließenden Rekonstruktion der Stadt hat sich die anhaltende Auflösung der Stadtstruktur nicht wirklich aufhalten lassen. Eine Erosion städtischer und architektonischer Konventionen, die am Ende der Architektur den notwendigen Bezugsrahmen entzieht.

Nur mit einem Verständnis für die Geschichte des Europäischen Städtebaus und der Architektur können wir wieder an die Erzählung der Europäischen Stadt anknüpfen und jene narrativen Qualitäten schaffen, die notwendig sind, um den öffentlichen Stadtraum zu konstituieren, den wir bis heute so sehr an der Europäischen Stadt schätzen.

Die Vorlesungsreihe ist eine Einführung in die Geschichte des Europäischen Städtebaus. Sie setzt sich mit dem architektonischen und städtebaulichen Denken von den Anfängen des bürgerlichen Bauens im 18. Jh. bis heute auseinander. Die Vorlesungen geben anhand unterschiedlicher Architekturpositionen einen Einblick in die Typologien, Raumkonzeptionen und Diskurse der jeweiligen Zeit, um damit den Studierenden einen ersten Überblick über das Handwerkzeug des städtebaulichen Entwerfens zu geben.