Sandra Wolf

Der Umgang mit obdachlosen Personen im öffentlichen Raum. Kritische Analyse einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe in kommunaler Verantwortung

Kurzdarstellung:

Im Jahr 2014 schätzte die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) die Zahl der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen in Deutschland auf 355.000. Rund 39.000 davon lebten völlig schutzlos als Obdachlose im öffentlichen Raum. Für das Jahr 2018 prognostiziert die BAG W einen Anstieg der Wohnungslosenzahlen auf 536.000. Diese Berechnungen müssen vor dem Hintergrund der aktuellen Geflüchtetenkrise möglicherweise nach oben korrigiert werden.

Der Rückgriff auf ein Schätzmodell ist notwendig, weil es in Deutschland weder eine administrative Definition von Wohnungs-/Obdachlosigkeit, noch eine offizielle Statistik gibt. Während die Bundesregierung in ihren Armuts- und Reichtumsberichten Wohnungslosigkeit als einen von elf Kernindikatoren ausweist, werden Kleine Anfragen zur Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik von der Bundesregierung regelmäßig abgelehnt. Zuletzt am 28.07.2015.

Trotz ihrer Unterbringungspflicht sind insbesondere Großstädte offensichtlich nicht in der Lage, Obdachlosigkeit zu beseitigen. Dadurch entsteht die Notwendigkeit zum Umgang mit obdachlosen Personen im öffentlichen Raum. Obdachlose Personen sind in Ermangelung eines privaten Rückzugsortes, auf die Nutzung des öffentlichen Raumes angewiesen. Für sie ist er nicht nur Freizeit- und Sozialraum, sondern auch Schlaf- und Arbeitsplatz. Ihre dauerhafte Sichtbarkeit gefährdet in den Augen verschiedener städtischer Interessengruppen das Konsumklima und die Wettbewerbsfähigkeit der Kommune. Unter Bezugnahme auf die US-amerikanische Zero-Tolerance Policy haben deutsche Kommunen seit den 1990er Jahren verstärkt Maßnahmen entwickelt, mithilfe derer obdachlose Personen aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden können; so wird im Rahmen kommunaler Gefahrenabwehrverordnungen z. B. das Nächtigen im öffentlichen Raum als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung deklariert und entsprechend sanktioniert. Autor/innen der Kritischen Geographie haben die Folgen dieser Ausgrenzungsbemühungen für die Lebenswirklichkeit der Betroffenen immer wieder kritisiert. Sie werfen den Städten vor, sich vollständig den Prinzipien der kapitalistischen Marktwirtschaft unterworfen zu haben und dabei versuchen, die sichtbaren Symptome sozialer Missstände aus dem Sichtfeld der finanzkräftigen Zielgruppen verschwinden zu lassen statt die Ursachen zu bekämpfen. Städte würden im Zeitalter der Neoliberalisierung wie Unternehmen geführt, die primär darauf bedacht sind, ein positives Image bei Investor/innen und Besucher/innen zu hinterlassen.

Verfasserin:

Sandra Wolf ist studierte Diplom-Geographin. Seit April 2013 arbeitet sie an ihrer Promotion. Von 2013 bis 2015 war sie Stipendiatin der Thüringer Graduiertenförderung.

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