Künstliche Menschen/Formen und Inhalte – Reflexives Handeln im sowjetischen Denken und das Problem der Bedeutung
Vortrag von Dr. Maxim Miroshnichenko am Mittwoch, 29. Oktober 2025, um 18 Uhr in der Lounge der Universitätsbibliothek, Steubenstraße 6, 99423 Weimar (in englischer Sprache)
Maxim Miroshnichenkos Vortrag stellt ein philosophisches Forschungsprojekt zum sowjetischen Diskurs über Reflexivität und Methodik vor. Dieser Diskurs erlaubt es, neu zu überdenken, was es bedeutet, sinnvoll zu sprechen, zu denken und zu handeln.
Im Mittelpunkt steht dabei der Beitrag des „Moskauer Methodologischen Kreises“ (MMK), einer Gruppe unorthodoxer marxistischer Denker der Post-Stalin-Ära, die einen reflexiven, systembasierten Ansatz für Kognition und Tätigkeit entwickelten. Denker wie Georgy Shchedrovitsky, Merab Mamardashvili, David Zilberman und Vladimir Lefebvre betonten kollektive, reflexive und partizipative Aktivitäten, die in soziotechnischen Ganzheiten eingebettet sind. Diese Sichtweise stellt die Unterscheidung zwischen „natürlich” und „künstlich” in Frage. Alles, was von menschlicher Tätigkeit aufgenommen wird, erweist sich als künstlich, einschließlich des Menschen selbst. Der Mensch ist eine Struktur, die in soziotechnisch vermittelte Tätigkeit eingebettet ist und durch sie konstituiert wird. Wie gezeigt wird, stellt dies das Konzept der „Künstlichkeit” selbst in Frage – einschließlich des Konzepts der künstlichen Intelligenz.
Unter Verwendung des Rahmenwerks des MMK befasst sich Miroshnichenko mit dem sogenannten „Symbol Grounding Problem” in großen Sprachmodellen: Welche Art von Tätigkeit schafft Bedeutung? Basierend auf der Dialektik von Form und Inhalt des MMK und dem Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten wird gezeigt, dass LLMs eine reflexive, transformative Tätigkeit fehlt, die sich nicht auf die reine Textualität der formalen Token-Vorhersage reduzieren lässt.
Miroshnichenko ist promovierter Philosoph (2019). Seit 2024 hat er ein Stipendium der Bauhaus-Universität Weimar für aus der Ukraine und der Russischen Föderation geflüchtete Wissenschaftler. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kybernetik und Systemtheorie, enaktive Kognition sowie sowjetische Wissenschaftsphilosophie. Aktuell arbeitet er an einem Projekt, das die Schnittstellen zwischen Marxismus und Kybernetik im Kontext sowjetischer logisch-methodologischer Ansätze untersucht. Ziel ist es, einen Beitrag zu aktuellen Debatten um Kognitivismus, Künstliche Intelligenz und Posthumanismus zu leisten.
