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Dank der freundlichen Genehmigung der Thüringen Allgemeinen stellen wir Ihnen den Artikel zur Verfügung.
„Wir merken, dass sich etwas verschiebt“. Was passiert mit dem Menschen, wenn plötzlich Maschinen Fähigkeiten zukommen, die als dezidiert menschlich gelten?
Marvin Reinhart
Weimar. Technologien wie Siri, Alexa oder ChatGPT erwecken den Eindruck, dass wir es immer häufiger mit lebendigen, beseelten Apparaten zu tun haben. Gleichermaßen müssen wir feststellen, dass Fähigkeiten, die bisher als menschlich verstanden wurden, nun auch Maschinen zukommen. Was das für den Menschen bedeutet, dieser Frage gehen in dem Projekt Animismus/Maschinismus an der Bauhaus-Uni derzeit der Medientheoretiker Henning Schmidgen, der Philosoph Mathias Schönher und die Künstlerin Jenny Brockmann nach.
Was hat Sie dazu bewogen, ein solches Projekt gerade jetzt zu initiieren?
Henning Schmidgen: Der Aktualitätsdruck ist massiv: Wir sind in den letzten Monaten in forcierter Weise mit Technologien konfrontiert gewesen, bei denen sich ihre mögliche oder vermeintliche Lebendigkeit als Problem aufdrängt. Das prominenteste Beispiel ist ChatGPT. Aber auch die Verwendung von Sprachassistenten im Alltag, wie beispielsweise Siri und Alexa.
Wenn ich mit ChatGPT kommuniziere, weiß ich, dass es sich in letzter Konsequenz um eine Maschine handelt. Geht es also um Zuschreibung?
Henning Schmidgen: Wir gehen von der Verknüpfung von Mensch und Maschine aus. Wir möchten wissen, wie in diesem Mensch-Maschine-System sich Fähigkeiten und Handlungsmächte neu verteilen und wo eigentlich das spezifisch Menschliche noch ist, wenn wir zum Beispiel mit Systemen konfrontiert sind, die schreiben können. Ich sehe keinen Hinderungsgrund, die Fähigkeit des Schreibens solchen Systemen zuzugestehen. Dann stellt sich die Frage, wie empathisch verbinden wir unser Verständnis des Menschen mit solchen Fähigkeiten? Wir merken, dass sich da etwas verschiebt.
Mathias Schönher: Wir stehen bei der Beantwortung dieser Frage noch fast am Anfang. Ein Ausgangspunkt bildet ganz einfach die Beobachtung, dass wir in einer Welt leben, die uns mehr denn je als eine animistische Welt erscheint. Wir interagieren mit Räumen, kommunizieren mit Objekten, wir schreiben ihnen einen individuellen Charakter zu, eine Persönlichkeit. Dabei gehen wir in unserem Projekt aber nicht vorschnell zur Behauptung über, dass sie auch tatsächlich eine Seele besitzen.
Bettet man den Menschen in ein materialistisches Weltbild ein? Lange Zeit war er die Krone der Schöpfung.
Henning Schmidgen: Das Verständnis des Menschen als Krone der Schöpfung ist nicht zuletzt durch die moderne Wissenschaft deutlich relativiert worden. Um diese Verschiebungen der menschlichen Identität nachzuvollziehen, brauchen wir eigentlich eine ganz neue Naturphilosophie.
Birgt eine solche neue Wirklichkeit, eine solche Verschiebung, auch Gefahren?
Henning Schmidgen: Natürlich gibt es eine Bedrohung, die an vielen Stellen auch artikuliert wird. Elon Musk hat verkündet, dass eine KI eine regelrechte Bedrohung für die Menschheit darstellt. Ich glaube, dass wir durch die Entwicklung von sogenannter KI konfrontiert sind mit einer Wirklichkeit, die wir schleunigst sehr viel besser begreifen müssen. Insofern haben wir einen sehr aufklärerischen Impetus in unserem Projekt. Das Verständnis davon, wie solche Maschinen funktionieren, halten wir für essenziell, um die Situation des Menschen in der heutigen Welt besser begreifen zu können. Wir brauchen mehr Aufklärung über das digitale Zeitalter, um uns besser positionieren zu können und auch, um mögliche Bedrohungs- und Missbrauchsszenarien besser abschätzen zu können.
Mathias Schönher: Auch aus philosophischer Sicht ist das dringend geboten. Nachdem wir uns Jahrtausende lang mit ethischen Fragen, bei denen der Mensch mehr oder weniger isoliert betrachtet wurde, befasst haben, muss ein großes Umdenken stattfinden. Wir sind heute so eng mit Computern verbunden, dass es längst nicht mehr ausreicht, ethische Überlegungen anzustellen, die sich beinahe ausschließlich auf die Handlungsmacht des Menschen beziehen. Beispielsweise mit Blick auf elektronische Waffensysteme wie bewaffnete Drohnen. Wir kommen mit den Begriffen, die auf den Menschen allein zugeschnitten sind, einfach nicht mehr weiter. In diesem Bereich drängen sich sehr viele Probleme auf.
Früher war die Technik-Mensch-Beziehung anders. Maschinen wurden verwendet, um sich die Natur zu unterwerfen. Das hat sich geändert.
Henning Schmidgen: Die Beziehung zwischen Technik und Mensch hat sich durch das Aufkommen des Computers stark intensiviert. Die Frage nach der Lebendigkeit oder sogar Beseeltheit von Maschinen wurde aber schon im Zusammenhang mit der Industrialisierung gestellt. Bereits das 19. Jahrhundert kannte eine Kultur und Gesellschaft, die über die Eigentätigkeit der Maschinen in den Fabriken gestaunt und sich von dieser auch bedroht gefühlt hat.
Schon in der Romantik dachte ETA Hoffmann über menschliche Automaten nach.
Henning Schmidgen: Die Belebtheit des Künstlichen hat die Romantik tief beeindruckt. Aber letztlich ist dies eine Frage, die bis in die Antike zurückreicht. Bei Aristoteles gibt es Überlegungen zur Belebtheit von Betten, weil sie aus Holz, also letztlich aus Bäumen bestehen. Vielleicht greift die Art und Weise, wie wir heute über solche Fragen nachdenken, über die Moderne und die Romantik wieder stärker auf Denkweisen zurück, wie sie in der Antike geläufig gewesen waren. Die Grenze zwischen dem Lebenden und dem Nicht-Lebenden wurde dort anders angesetzt. Und wir scheinen uns auch auf einen Zustand hinzubewegen, der mit einer scharfen Trennung nichts mehr anfangen kann.
Mathias Schönher: Allerdings sind die Maschinen, die im 20. Jahrhundert entwickelt wurden, wirklich neuartige, informationsverarbeitende Maschinen.
Das klingt alles sehr theoretisch. Nun ist aber mit Jenny Brockmann auch eine Künstlerin an Bord. Was ist Ihre Rolle?
Jenny Brockmann: Ich habe etwas sehr Konkretes vor. Es gibt eine Skulptur von mir, eine Art Apparat. Seat#12 ist schon 2016 entstanden und eine Sitzkreisanordnung. Die Sitze sind in der Mitte verbunden, man befindet sich also in einem Balanceakt mit den anderen. Jede Bewegung von jedem Einzelnen ist spürbar für die anderen Personen. Vor ein paar Wochen habe ich zwei dieser Sitze komplexer konstruiert – und zugleich mobiler, sodass sie an verschiedenen Orte[n] aufgestellt werden können. Die Sitze sind jetzt einzeln und es bedarf eines Monitors für den Blickkontakt mit den anderen Personen sowie eines Mikrofons und Lautsprechers für die Kommunikation.
Was ist das Ziel dieser Installation?
Jenny Brockmann: Ziel ist es, die Struktur medial so zu verändern, dass sie an verschiedenen Orten das Gleichgewichtsorgan anspricht. Die Skulptur stellt eine Verbindung zwischen Einzelnen her, durch die eine Gleichgewichtssituation entsteht, bei der alle auf die anderen Personen Acht geben müssen, durch sie stabilisiert, aber auch verunsichert werden. Sie wird so zur Grundlage eines Experiments, das durch gefühlte Kommunikation und verkörpertes Wissen ein kollektiv austariertes, ein kritisches Gleichgewicht erprobt. Sie soll dadurch den Raum für die Bildung einer neuen Subjektivität eröffnen und beobachtbar machen. Die Skulptur-Maschine schließt sich mit den Affekten und Wahrnehmungen sowie der Erinnerung, der Sprache und dem Denken zu dieser neuen Subjektivität zusammen.
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