Forschung

Call for Papers: Working Matter – Aktivitätsmodelle und Geschichte der Arbeit

Abbildung eines Stapels von Büchern

Spätestens seit den 1980er Jahren, u.a. durch Arbeiten von Manuel De Landa, Donna Haraway oder Bruno Latour initiiert, ist in geistes-, kultur- und medienwissenschaftlichen Zusammenhängen immer öfter von ›Aktanten‹, ›tätigen Dingen‹, ›aktiver Materie‹ oder ›verteilter Handlungsmacht‹ die Rede. Schon wurde ein »Hype« neomaterialistischer Forschungen konstatiert (Hoppe/Lemke). Zumeist durch eine radikale Technologisierung unserer Umwelten sowie einer Zuspitzung ökologischer Krisen motiviert (u.a. Schäffner), sollen Objekte keine passiven, stummen oder isolierten Materialien mehr sein. Man will sie nicht länger nur als Empfänger menschlicher Entwurfs- und Konstruktionsideen verstehen oder gar auf Ressourcen technowissenschaftlicher Manipulationen reduzieren, denn sie selber, so die These, seien bereits wirkmächtig, eigensinnig und operational. Zur »Wiederkehr der Dinge« (Bahlke/Muhle/von Schöning) gesellt sich deren Aktivierung, die über Diskurse zur »Materialgerechtigkeit« (Ruskin), zur »Vita activa« (Arendt) oder zum »System der Objekte« (Baudrillard) ebenso hinausgeht, wie über die Perspektiven der »praktischen Wende« (Rheinberger/Hagner) und eines »medialen Apriori« (McLuhan). Neue Materialismen« implizieren zumeist auch neue Ontologien (Bennett).

Gleichzeitig lässt sich eine Konjunktur des Aktivischen außerhalb wissenschaftlicher Diskurse beobachten: von Vernetzungsimperativen und Flexibilitätserwartungen über Lebens-, Freizeit-, Identitäts- und Produktgestaltungen bis zu Arbeitshaltungen, Mobilitätsansprüchen und politischen Aktivismen. Vielleicht also formiert sich gerade ein Paradigma des Aktivischen, das zudem als ein Schlüsselkonzept unserer Gegenwartskultur verstanden und befragt werden kann. 

Aktuelle Debatten jedoch stellen vor allem die Instanzen, Zuschreibungen oder Legitimationen von Handlungsträgerschaft in den Mittelpunkt. So wurde die Vermehrung des Aktivischen immer wieder als bloße Verschiebung menschlicher Handlungsmacht auf nicht-menschliche Wesen kritisiert bzw. umgekehrt die Einschränkung menschlicher Intentionen, Planungen oder Freiheiten in den Beschreibungen materieller Prozesse beklagt (Winner). Überdies hat man eingewandt, die neuen Materialismen würden ungewollt Elemente des Anthropozentrismus wiederkehren lassen (Meissner).

Auf der anderen Seite ist nicht versäumt worden, dieser Kritik mit Hinweisen auf ihren Konservativismus und ihr Verharren in einer dualistischen Metaphysik bzw. binären Bezugssystemen zu begegnen (u.a. Albers/Francke, Haraway, Harman, Latour), bis hin zu Anschlussthesen über die Rückkehr des Heroischen (Law, Leister). Erklärte Absicht in Aktivitätsdiskursen ist es ja, Subjekt-Objekt-, Natur-Kultur- oder Mensch-Technik-Dichotomien durch hybrid-relationale Netzwerke, Assemblagen oder Gefüge zu supplementieren.

Die hier geplante Tagung möchte versuchen, abseits solcher Konfliktlinien ihren Blick auf die Modelle des Aktivischen zu richten. Die Frage nach (mehr oder weniger, wirklichen oder möglichen, berechtigten oder unberechtigten) Akteuren soll nachgeordnet werden. Anstelle eines ›Wer?‹ oder ›Was?‹ würden wir das ›Wie?‹ der Handlungen (ihre Diskursordnungen, ihre Dispositionen, ihre Modalitäten, ihre Operationalitäten) in den Fokus rücken.

Der Vorschlag wäre, diese Modellbeschreibungen aus einem Verhältnis zur ebenso vielfältigen wie diskontinuierlichen Geschichte der Arbeit zu entwickeln. Denn vergleichbar mit aktuellen Erscheinungsformen des Aktivischen finden sich dort sowohl Diskurse, die Arbeit als zielgerichtete Umformung passiver Dinge durch ein jederzeit (selbst)bewusstes Subjekt verstehen, als auch solche, in denen (spätestens seit Bacon) der Natur bzw. den Dingen und Artefakten eine (mit)tätige Rolle zugeschrieben wird. Weder Perspektiven auf den Herrschafts- (Hegel) und Entfremdungscharakter von Arbeit (Marx) noch auf eine totale Ontologisierung, durch die »der Arbeiter« als »Seinsgestalt« behauptet wird (Jünger), sind der Geschichte der Arbeit fremd. Gleiches gilt für Aspekte des Dienstes, der Pflege und der Sorge (etwa als mönchische »caritas« oder ritterliche »oboedientia«).

Vor diesem Hintergrund möchte die Tagung zu Beiträgen einladen, die im Verhältnis von Aktivitätsdiskursen und Arbeitsgeschichte nach wechselseitigen Anschluss- oder Absetzbewegungen suchen: Können im zeitgenössischen Paradigma des Aktivischen Wiederholungen, Fortsetzungen, Modifikationen oder Zurückweisungen bestimmter Arbeitsbegriffe gefunden werden? Gelten bspw. für das Aktivische vergleichbare Produktivitätsunterstellungen wie seit Mitte des 18. Jh. für Arbeitsbegriffe? Welche Wirksamkeits-, Interventions- oder sogar Emanzipationsversprechen gehen mit den jeweiligen Aktivitätsmodellen einher? Und wie ist es dann um mögliche Zerstörungskräfte oder unproduktive Nebenwirkungen aktiver Materien bestellt, die ja im Bereich der Arbeit längst mit weitreichenden Konsequenzen diskutiert werden? Auch wäre zu überlegen, ob und auf welche Weise im Aktivischen ähnlich wie in der Arbeitsgeschichte von Nicht-Arbeit die Rede sein kann (vom Warten und Genießen über das Opfer, die Verausgabung und den Konsum bis zum Streik, zur Desertion und zur Sabotage)? Was bedeuten dann Materialermüdung oder Ruhestand? Kann es eine Ethik tätiger Materien geben und würde sich diese auf bestehende Rechtssysteme auswirken? Zudem stellt sich die Frage, ob im Aktivischen noch die (überkommene) Auseinandersetzung von Arbeit und Kunst bzw. Kunst und Design zu erkennen ist? Wie verhalten sich Aktantenmodelle zur aktuellen Karriere der Kreativitätsdiskurse oder Konzepten der ›Bricolage‹? Mit anderen Worten: Könnte ein Rekurs auf Arbeitstheorien das Aktivische über blinde Flecken, Schattenseiten oder strukturelle Überforderungen aufklären? Gibt es in den Diskursen der neuen Materialismen Ansätze zu neuen Theorien der Arbeit? Und wie ließen sich diese mit feministischen Konzepten des Neomaterialismus verbinden? Führt die Einbeziehung des Nichtmenschlichen zu anderen Einsichten übers Menschliche? Oder noch anders gefragt: Wie verhalten sich gegenwärtige Modelle des Aktivischen zu Prozessen der Ökonomisierung, Deregulierung und Umverteilung, welche die Arbeitstheorien der letzten 150 Jahre wesentlich mitbestimmt haben? Müsste man nicht auch hier über eine ›gouvernementale‹ Kritik‹ des Aktivischen nachdenken? Ließen sich ferner Zusammenhänge zwischen den politischen Implikationen von Arbeitstheorien bes. seit dem 19. Jh. auf der einen und aktuellen Aktivitäts- und Materialitätsdiskurse auf der anderen Seite herstellen? Und welche Rolle spielt die Kategorie des (Über-)Lebens, die für Arbeitstheorien immer schon von zentraler Bedeutung gewesen ist, in den (planetarisch-ökologischen) Rettungsmotiven gegenwärtiger Aktivitätsmodelle? 

Um die Einsendung von Themenvorschlägen inkl. eines Abstracts (max. 2000 Zeichen) und einer Kurzbiographie wird bis zum 26. Mai 2024 gebeten. 

Der Call for Papers richtet sich an Nachwuchswissenschaftler*innen und etablierte Forscher*innen mit fortgeschrittenen Arbeiten oder work-in-progress-Konzeptionen zum Thema. Geplant sind Vorträge von 25 Minuten mit anschließender Diskussion. 

Tagung »Working Matter – Aktivitätsmodelle und Geschichte der Arbeit«
25. bis 26. Oktober 2024

Ort:
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Kunst und Gestaltung
Geschwister-Scholl-Straße 7
99423 Weimar

Organisation und Kontakt:
Gottfried Schnödl: gottfried.schnoedl[at]uni-weimar.de
Christof Windgätter: christof.windgaetter[at]uni-weimar.de