(Un-)Gleichgewichts-Organ – BALANCE

Die Künstlerin Jenny Brockmann bearbeitet das Teilprojekt „(Un-)Gleichgewichts-Organ – BALANCE“. Sie untersucht die Kommunikationsprozesse mit der uns umgebenden Welt, mit lebenden und nichtlebenden Existenzweisen und greift dazu auf die Mittel der künstlerischen Forschung zurück. Das Teilprojekt sieht die Realisierung eines Distributed Experiment vor, das durch gefühlte Kommunikation und verkörpertes Wissen ein kollektiv austariertes, kritisches Gleichgewicht erprobt und dadurch den Raum für die Bildung einer neuen Subjektivität eröffnet.

Dieses Teilprojekt benutzt avancierte Computertechnik, um Nicht-Menschliches und Menschliches, Natürliches und Künstliches so weit in Kommunikation zu versetzen, dass sich die gewohnten Verhältnisse von Objekt und Subjekt zeitweise verkehren. Angeregt durch das „Internet of Things“ (Ashton 2009) stehen dabei folgende Forschungsfragen im Zentrum: Wie verändert der Animismus die etablierten (Un-)Gleichgewichte zwischen Objekthaftem und Subjekthaftem? Können Gleichgewichtsempfindungen auf westliche und nicht-westliche Lokalitäten verteilt stattfinden? Ist es möglich, durch eine dateninformierte (Un-)Gleichgewichts-Prothese einen „kollektiven Cyborg“ zu etablieren, der im Posthumanismus kollektive normative Prozesse ermöglicht?

Zur Beantwortung dieser Fragen wird ein datenabhängiges physikalisches Raumsystems konstruiert, das die sich darin befindenden Menschen über deren Raumsinn bzw. (Un-)Gleich- gewichts-Sinn anspricht und die es ihnen zugleich ermöglicht, im kollektiven Diskurs neue Nor- men für ihr Leben zu erarbeiten. Grundlage für diese maschinische Anordnung sind bereits realisierte Projekte wie die (Un-)Gleichgewichts-Skulptur Sitz#16 für kollektive Diskurse sowie Nature of Knowledge – The Uncertain Structure, ein auf zwei verschiedene Orte verteiltes datenbasiertes Real-Zeit-Experiment.

Das Konzept des neuen Projekts besteht darin, das Prinzip der Installation Sitz#16 qua Internet auf mehrere Orte in westlichen und nicht-westlichen Regionen zu verteilen. Die Grundidee von Sitz#16 besteht in der physikalischen Verbindung zwischen Einzelnen, bei der jede/r den/die andere/n durch Bewegungen und Vibrationen spürt. Dadurch entsteht eine Gleichgewichtssituation, bei der jede/r auf die andere Person Acht geben muss, durch den/die andere stabilisiert, aber auch „verunsichert” wird, wodurch insgesamt eine „gefühlte“ Kommunikation entsteht. Diese Situation wird in der geplanten maschinischen Anordnung technisch-räumlich umgebaut, geographisch verteilt und dann über das Internet wieder miteinander verbunden. Diese neue Maschine wird es ermöglichen, dass Personen an verschiedenen Orten auf der Welt sich „spüren“ können und in einem Gleichgewichtssystem miteinander verbunden sind.

Dieses distributed experiment verlagert den Forschungsprozess des Projekts „Animismus/Maschinismus. Konfigurationen der Kritik zwischen Wissenschaft, Kunst und Technik“ und die in ihm erzeugten Daten, Bilder, Texte und Materialien in den Kunstraum hinein, um sie dort neu zu konfigurieren und experimentell zu überprüfen – in ständigem Austausch mit den beteiligten Wissenschaftler*innen, externen Expert*innen aus anderen Disziplinen, einem lokalen Publikum und der internationalen digitalen Öffentlichkeit. Im Vordergrund steht dabei der Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst, aber auch die Medizin, die Religion und das Recht sollen zu Wort kommen. Die so entstehenden Erfahrungsräume werden im Sinne der künstlerischen Forschung genauer erkundet. Die Beobachtungen aller Beteiligten zum (Un-)Gleichgewichts-Sinn werden dabei als „embodied knowledge“ aufgefasst, d. h. als sinnliches, körperliches und gefühltes Wissen.

Inhaltliche Schwerpunkte bilden ethnische Diversität, biologische Vielfalt sowie die technische Erweiterung des Menschen in Robotik und KI und hier insbesondere die von Donna Haraway gestellte Frage, wie bei der Erschaffung „neuer Wesen“ oder technologischer Neuerungen normative Prozesse neu gedacht werden können. Dabei soll auch überprüft werden, ob und wie das vielzitierte „Eigenleben der Technik“ so verändert und gestaltet werden kann, dass mit ihm ein ästhetischer Neuanfang möglich wird, in dem eine kritisch ausbalancierende Kommunikation zwischen Gleichem und gleichzeitig Diversem (im Sinne Hannah Arendts) erzeugt wird.