Lutz Robbers

„Neues Leben und Überfluß”: Mies, Montage und die Frage der architektonischen Bildlichkeit 1923/24

Im September 1923, nach seinem Besuch der von Walter Gropius organisierten Ausstellung „Internationale Architektur“ in Weimar, zeigt Ludwig Mies van der Rohe sich in einem Brief erschrocken über den „wüsten konstruktivistischen Formalismus“ und den „künstlerischer Nebel“ der dort gezeigten Exponate. Mies fordert beim nächsten Treffen der „G-Leute“, jener losen Vereinigung von Künstlern und Intellektuellen, die sich um die Zeitschrift G – Material zur elementaren Gestaltung gruppierten, „eine klare Trennung der Geister herbeizuführen“.
Die Klärung erfolgt erst in der dritten Ausgabe und zwar in Form eines Bildes: das berühmte Titelbildes mit seiner diaphanen Superposition eines zur Seite gekippten roten Großbuchstabens „G“ und dem dunklen Aufriss des Glashochhauses. Die Überblendung von sprachlichem Zeichen und Architektur, verbunden mit der simultanen Paradoxie eines durch Neigung bzw. Maßstab zum durchscheinenden Objekt transmutierenden Buchstabens und eines als dunkler opaker Block erscheinenden Glasturms, verwandeln die dialektische Sinnproduktion gegensätzlicher Elemente in ein kontingentes Spiel unterschiedlicher, sich durch die Montage immer wieder neu konstituierender Medien.


Ziel meines Beitrags ist es, ausgehend vom G Cover, jene architektonische Bildlichkeit, die sich in Mies‘ Entwürfen der ersten Hälfte der 1920er Jahre manifestierte, jenseits der dominierenden phänomenologischer Leseweisen (Drexler, Evans, Müller) oder idealistischer Interpretationen (Johnson, Neumeyer) zu fassen. Stattdessen soll das Diaphane als transmediale Montage von animierenden Eigenschaften des Materials – die Mies durch seine Experimente mit Glas und dessen „reiches Spiel von Lichtreflexen“ erforschte – und ihren bildlichen Manifestationen in unterschiedlichen Medien verstanden werden. Mies‘ bislang nur unzureichend erforschten Verbindungen zu Viking Eggeling und Erich Buchholz (der inen abstrakten Bildraum entwirft, der als Laboratorium für Experimente mit körperlicher Wahrnehmung durch Lichtbrechungen und -überlagerungen diente) bilden die archivarische Basis meines Vortrags. Benjamins sprachphilosophische und bildwissenschaftliche Thesen sowie Bergsons lebensphilosophische Theorien bilden den (Mies vertrauten) theoretischen Hintergrund für die Konturierung des medienphilosophischen Umfeldes in 1923/24.