Sommersemester 2019

Studienmodul Europäische Medienkultur 3 (B.A.)

Seminar: Theorien und kulturelle Praktiken des Kosmopolitischen in Europa (von der Renaissance bis in die Gegenwart) - (Jun.Prof. Eva Krivanec)

Der Begriff des Kosmopolitischen, der in der griechischen Antike seinen Ursprung hat - von Diogenes ist überliefert, dass er sich als erster als <cosmo-politis>, also nicht als Angehöriger einer bestimmten <polis>, sondern als in
der übergeordneten Ordnung des Kosmos verortet, bezeichnete, und dies auch als Kritik an allen bestehenden Staatsordnungen verstand -, hat gegenwärtig erneut an Sprengkraft gewonnen. In dieser Phase der Re-Nationalisierung, der Schließung von Grenzen, selbst der Infragestellung der Menschenrechte von einigen Seiten, in der sich Europa derzeit befindet, kann die Rückbesinnung auf den Kosmopolitismus als Idee aber vor allem auch als eine Reihe kultureller Praktiken, die in der Geschichte Europas zu vielen Zeiten einen wichtigen, wenn nicht sogar dominanten Bezugspunkt bildeten, interessante Impulse für eine kritische Reflexion der Gegenwart bieten.
Im Seminar werden, ausgehend von einem begriffs- und diskursgeschichtlichen Überblick zum Konzept des Kosmopolitischen, einzelne philosophische Positionen zum Kosmopolitismus (etwa bei Erasmus von Rotterdam, Francisco de Vitoria, António Vieira, Michel de Montaigne, Voltaire, Diderot, Rousseau, Friedrich Melchior Baron von Grimm, Anacharsis Cloots, Gotthold Ephraim Lessing, Christoph Martin Wieland, Immanuel Kant, Friedrich Schlegel, Jean Paul, Rahel Varnhagen, Karl Marx, Friedrich Engels, Bruno Schulz, Hannah Arendt, Elias Canetti, Julia Kristeva, Jacques Derrida etc.) eingehend diskutiert.
In jeder Seminareinheit sollen aber - in Korrespondenz, zum Teil auch in Kontrast zur ideengeschichtlichen Perspektive - die konkreten kulturellen Praktiken, die kosmopolitisches Denken überhaupt erst möglich machen, sich aber auch aus diesem entwickeln, thematisiert werden. Tauschverhältnisse, Gastfreundschaft, Übersetzung, Universalsprachen, Reisen, Migration, berufliche Mobilität, Netzwerke, Festivals, Konferenzen, supranationale

Seminar: Das Filmfestival: Ein Schauplatz Europas - (Marion Biet)

In diesem Seminar geht es darum, Filmfestivals historisch – und in Bezug auf andere große Ereignisse wie Weltausstellung, Festspiele, Olympische Spiele und Weltmeisterschaften – zu kontextualisieren und deren Charakteristika zu erarbeiten. Der Fokus wird besonders auf den Aspekt der Internationalisierung (Globalisierung und Netzwerke) und der (europäische) Identitäts- und Gemeinschaftsbildung gesetzt.

Sowohl mit Hilfe der Theoriekonzepte als auch auf der Exkursion nach Linz soll die Doppelstruktur des Festivals untersucht werden: Festivals sind einerseits auf Kooperationen und internationale Mobilität ihrer Akter_innen angewiesen und anderseits sind sie einzigartige Ereignisse, die Identitäten und Gemeinschaften durch ihre Dauer und ihr Dispositiv performativ inszenieren.

Diese verschiedenen Aspekte von Filmfestivals werden auf dem Filmfestival Crossing Europe (25. bis 28. April 2019) in Linz erforscht. Bei der Exkursion zu diesem Filmfestival werden wir uns neben umfangreichen Filmsichtungen
von aktuellen, europäischen Filmproduktionen mit Fragen beschäftigen wie: Welches Europa wird auf dem Crossing Europe-Festival konstruiert? Wer sind die Akteur_innen des Festivals? Welche Rolle spielt das Festival auf der Mikro- und Makro-Ebene europäische Kulturpolitik? Welche Konsequenzen hat die Immersion in das Festival?

Studienmodul Gegenentwürfe: Bertolt Brecht, Gilles Deleuze

Seminar: Gegen die Unveränderlichkeit. Bertolt Brechts "fröhliche Kritik" in Text, Schauspiel, Bild und Ton - (Jun.Prof. Eva Krivanec)

Bertolt Brecht ist seit den großen Ehrungen anlässlich seines 100. Geburtstags 1998 von einem häufig missverstandenen, aber öffentlich präsenten und auch noch kontrovers diskutierten "Klassiker" zu einem im deutschsprachigen Raum fast gespenstisch Abwesenden geworden, zu einem Autor, dessen Stücke zwar noch
im Repertoire einiger Stadt- und Staatstheater zu finden sind, auch da und dort als Schullektüre präsent sind, dessen weit verzweigtes und vielschichtiges, mit allen Medien und Ausdrucksformen experimentierendes Werk aber zunehmend zur Sache einzelner Kenner_innen und Spezialist_innen wurde.

Dass Brecht nicht seinem Klischee eines "Besserwissers und Moralisten" entspricht, ist selbst schon fast ein Gemeinplatz. Nicht nur deshalb lohnt die intensive Lektüre gerade derjenigen Texte Brechts, die als hyperdidaktisch und ideologisch verschrieen sind, etwa seiner Lehrstücke, vor allem dann, wenn man zu verstehen versucht, wie Brecht mit diesen Stücken und seinen (Laien-)Schauspieler_innen arbeiten wollte.
Brechts Arbeiten, gleich welches Medium sie gebrauchen, ob Theaterproduktion, Ballade, Einakter, Radiostück, Film, Gedicht, publizistischer Text, Tagebuchnotiz oder theoretische Abhandlung, sind immer DENKENDE Arbeiten, und zwar in Inhalt UND Form und es sind Arbeiten, die diesen Denkprozess bewusst ausstellen, an ihm teilhaben lassen wollen und ihn dem Publikum zur Fortsetzung anbieten.
Folgen wir diesem Denken quer durch alle künstlerischen Ausdrucksformen und Genres, so zeigt sich - wie Hans- Thies Lehmann es formuliert - eine "idée fixe", die das Werk durchzieht: "das Wasser, das fließt, die permanente Veränderung, der Wechsel der Dinge". Nichts was ist, muss so bleiben. Und diese Aussage birgt die Verantwortung für eine radikale und "fröhliche" Kritik an den herrschenden Verhältnissen, die immer auch einen Teil (strategischen) Einverständnisses in sich trägt. In Brechts Betonung eines permanenten Werdens und seinem Faible für instabile Subjektivitäten (inklusive sich selbst) liegt ein überraschendes Naheverhältnis zum Denken von Gilles Deleuze, das deren Kopplung in diesem Studienmodul angeregt hat.