Promo-Projekt_Kurzexpose_Wendler

André Wendler: Promotionsprojekt zu Kino, Geschichte und den Filmen von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet

Les yeux ne veulent pas en tout temps se fermer …Kino, Geschichte und die Filme von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet

Die Filme von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet scheinen von einem seltsamen Riss, einem regelrechten Abgrund durchzogen zu sein: auf der einen Seite stehen die beiden Filmemacher und erheben sehr lautstark den Anspruch praktische, politische Filme für den Kampf um die Gegenwart zu produzieren. Auf der anderen Seite liegen die Filme, in denen Erzählungen, Bilder und Töne aus frühester Vergangenheit und unmittelbarster Gegenwart übereinander geschichtet sind und die auf den ersten, zweiten und dritten Blick nicht als politische Parole gelten wollen. Die Filmkritik und Filmgeschichtsschreibung hat wiederum mit extremen Positionen auf diese Filme reagiert: einmal sind sie emphatisch gefeiert, einmal als ästhetizistische leere Formel verworfen worden. Anerkannt wurde von beiden Seiten lediglich, dass die Filme der Form nach Kino im ganz emphatischen Sinne sind, weil sich ihre stärksten Argumente bei der Kollision von Bildern und Tönen formieren.Ihre filmische Beschäftigung mit Sophokles und Corneille, mit Brecht, Kafka und Schönberg, schließlich mit Gasquet, Cézanne und Bach lässt sich als Appell an eine Vielzahl von Historiographien verstehen: Kunst- und Musikgeschichte, Literatur- und Theatergeschichte und letztlich natürlich politische und Filmgeschichte. Ziel des vorliegenden Dissertationsprojektes ist es, diesen Aufrufen zu folgen und in der intensiven Beschäftigung mit den Filmen und ihren Vorlagen folgende Problembereiche zu erschließen: unterstellt man erstens die Möglichkeit des Kinos nicht nur Dokumente der Zeitgeschichte zu produzieren (›der Film als Quelle‹), sondern im starken Sinn historiographisch zu arbeiten, dann muss etwa nach der Art der filmischen historiographischen Zeichen, ihren Signifikationsprozessen und ihrer Materialität gefragt werden. Zweitens soll untersucht werden, was mit dem Rohmaterial des Geschichtskinos geschieht, wenn von Theaterstücken die Bühne, von Erzählungen der Text und von Gemälden die Leinwand abgezogen wird und letztlich nichts als Bilder und Töne vom sonst so oft Bild- und Tonlosen übrig bleiben. Straub und Huillet treiben aus den zu Grunde liegenden Texten Probleme hervor, die dort nur selten explizit formuliert und kaum je gelöst sind. Auch auf filmische Geschichtsschreibung trifft zu, dass sie ihre Gegenstände nie so zurücklässt, wie sie sie vorgefunden hat und es bleibt zu klären, welche Transformationsprozesse Straub-Huillet anstoßen. Schließlich und drittens ergibt sich aus dieser Beschäftigung mit der filmischen Historiographie und ihrem Material eine theoretische Problemstellung für die Filmgeschichtsschreibung: Filmgeschichtsschreibung, die sich mit Filmen wie denen von Straub und Huillet beschäftigt und das heißt vielleicht mit dem modernen Film überhaupt, wäre immer Historiographie über Historiographie und müsste sich um so mehr Zeugnis über ihr eigenes Schreiben ablegen, das unablässig mit der Frage konfrontiert ist, wie es sich in einem Bereich einrichten will, das mit einem Wort Lyotards vielleicht als unendliche Welt des Kommentars bezeichnet werden könnte.