Chemnitz

2. Projektmodul
Msc Felix Lackus
Dott. Piero Sassi
12 LP/8 SWS 

Zur vielschichtigen Auseinandersetzung um die Rekonstruktion des einst „modernsten Warenhauses der Welt am Hermannplatz“ 

Der Hermannplatz in Berlin ist Gegenstand gesamtstädtischer Aushandlung geworden, an dem sich  zahlreiche Diskurse und aktuelle Fragestellungen innerstädtischer Stadtentwicklung verdichten. Zentraler Gegenstand der Auseinandersetzung ist eine geplante Rekonstruktion des historischen Karstadt-Warenhauses aus den 1920er Jahren durch die private Eigentümerin des Karstadt-Konzerns Signa Holding.

Der Hermannplatz ist eine räumliche Schnittstelle der migrantisch geprägten Stadtteile Kreuzberg und Neukölln und ist damit ein Symbol des migrantischen Berlins. Die rasant steigenden Wohnungs- und Gewerbemieten der umliegenden Kiezen haben zu Verdrängung vieler Mieter:innen und Kleingewerbe aus ihrem Wohn- bzw. Arbeitsumfeld geführt. Die umliegenden Wohnviertel werden jedoch weiterhin zu großen Teilen von Menschen mit niedrigen Einkommen bewohnt, entsprechend fürchten viele Bewohner:innen die nächste Mieterhöhung oder sogar Kündigung. Der Hermannplatz wird von der Polizei als „besonders kriminalitätsbelastet“[1] eingestuft, ist von sichtbarer Armut geprägt und wird daher vielfach als sozialer Brennpunkt bezeichnet. Die umliegenden Kieze (Nachbarschaften) haben sich in den letzten Jahren zu sogenannten Szenevierteln entwickelt und sind bei Tourist:innen sowie in ganz Berlin und darüber hinaus als Wohn- und Ausgehviertel beliebt. Als Kreuzung von drei Straßenachsen und zwei U-Bahnlinien ist der Hermannplatz zudem ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, der täglich von Menschen aus dem ganzen Stadtgebiet passiert wird.

Zentrales räumliches Element am Hermannplatz ist das Gebäude des Karstadt, das dort 1951 errichtet und 1976 erweitert wurde. Dieses ersetzt ein historisches Karstadt-Warenhaus, dass dort 1929 fertiggestellt, jedoch in den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs von der SS gesprengt wurde. Zur Eröffnung im Jahr 1929 wurde es als „modernstes Warenhaus der Welt“ beworben und bekam mit dem Slogan „Großstadt, Weltstadt, Karstadt“ eine gesamtstädtische Bedeutung verliehen[2]. Das historische Gebäudes sprengte damals sowohl die Maßstäbe der Warenhausarchitektur als auch der umliegenden Bebauung. Mit 32 Metern wurde die typisch Berliner Traufhöhe der umliegenden Bebauung von 22 Metern deutlich übertroffen. Zwei markante Türme erreichten eine Gesamthöhe von 71 Metern und bildeten damit eine weithin sichtbare Landmarke. Das Gebäude orientierte sich stark an Vorstellungen US-Amerikanischen Städtebaus und sollte architektonisch Berlin als eine Weltstadt repräsentierten. 2019 veröffentlichte die Eigentümern Signa Holding die Pläne, das aktuelle Gebäude durch eine Rekonstruktion des historischen Vorbilds aus den 1920er Jahren zu ersetzen. Gegen die Pläne regte sich schnell Widerstand unter anderem eine stadtpolitische Initiative befürchtet negative Auswirkungen auf die Nachbarschaften der umliegenden Wohnviertel und versuchte die Rekonstruktion des Gebäudes zu verhindern. Auch die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln zeigten sich wenig begeistert von dem Bauvorhaben im Gegensatz zum Berliner Senat, der daher 2020 das Planungsverfahren mit Verweis auf eine gesamtstädtische Bedeutung an sich gezogen hat. Die Signa-Holding versucht mit einer privat organisierten Bürgerbeteiligungskampagne die Gunst der Anwohnenden für das Rekonstruktionsvorhaben zu gewinnen und auch der Berliner Senat hat Ende 2021 ein eigenes Beteiligungsverfahren lanciert. Die Berliner Wahlen im September 2021 haben zu einem neuen Kräfteverhältnis im Akteur:innenfeld geführt, doch der Konflikt um die städtebauliche Entwicklung am Hermannplatz ist noch nicht entschieden.

Anhand des gewählten Beispiels beschäftigen wir uns mit aktuellen Fragen innerstädtischer Stadtentwicklung, wie der Rekonstruktion historischer Gebäude, Migration in der Stadtentwicklung, Verdrängung von Mieter:innen und Kleingewerbe, Probleme von Multi-Level Governance oder Bürger:innenpartizipation bei Planungsprozessen. Nach einer gründlichen historischen Annäherung an das Thema werden wir die Genese des Konflikts nachvollziehen, beteiligte Akteur:innen identifizieren sowie ihre jeweiligen Argumente, Instrumente und Methoden untersuchen und kritisch hinterfragen. Die Auseinandersetzung um den Hermannplatz werden wir in eine gesamtstädtische Strategie der Berliner Stadtentwicklung einordnen und diese auf eine gezielte Positionierung von Berlin als Weltstadt prüfen Schließlich werden wir die Notwendigkeit planerischen Handelns offen diskutieren, gemeinsam Stellung zum städtebaulichen Konflikt beziehen und daraus einen eigenen Beitrag zur Debatte um den Hermannplatz entwickeln.  


[1]    Haarbach 2022, Für die Polizei gibt es hier Sonderrechte: Teile von Berlin-Neukölln gelten weiter als „besonders kriminalitätsbelastet“ - Bezirke - Berlin – Tagesspiegel, https://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/fuer-die-polizei-gibt-es-hier-sonderrechte-teile-von-berlin-neukoelln-gelten-weiter-als-besonders-kriminalitaetsbelastet/27950000.html (letzter Zugriff 11.02.2022)

[2]    Bienert 2020, „Eine gigantische Fehlplanung“ - taz.de, https://taz.de/Eine-gigantische-Fehlplanung/!5690517/ (letzter Zugriff 11.02.2022)