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Published: 12 December 2022

Animismus | Maschinismus

DFG fördert transdisziplinäres Forschungsprojekt an der Professur für Medientheorie und Wissenschaftsgeschichte

Prof. Dr. Henning Schmidgen, Inhaber der Professur für Medientheorie und Wissenschaftsgeschichte, erhält für das gemeinsam mit dem Philosophen Dr. Mathias Schönher und der Künstlerin Jenny Brockmann geplante Forschungsprojekt „Animismus/Maschinismus. Konfigurationen der Kritik zwischen Wissenschaft, Kunst und Technik“ von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Förderung in der Höhe von 546.000 Euro.

Thematisch ist das Forschungsprojekt an der Schnittstelle von Leben, Intelligenz und Technologie angesiedelt. Es setzt sich mit der Erfahrung „lebendiger Maschinen“ auseinander, die durch die Verbreitung von Smartphones, Navigationssysteme und Sprachassistenten (Alexa, Siri usw.) immer alltäglicher wird. Dabei kombiniert da Projekt wissenschafts- und technikhistorische Methoden mit philosophisch-kritischen Ansätzen und künstlerisch-experimentellen Aspekten. Ziel ist es, nicht nur die wissenschaftliche, philosophische und künstlerische Auseinandersetzung mit den neuen Technologien zu forcieren. Zugleich soll die internationale Debatte um einen neu gefassten Animismus in der deutschsprachigen Medienwissenschaften verankert werden.

Unsere westliche Welt erscheint immer öfter als eine animistische Welt. Sprachassistenten wie Apples Siri oder Amazons Alexa, selbstfahrende Autos und weitgehend eigenständig agierende Haushaltsgeräte erzeugen den Eindruck, dass wir es immer häufiger mit animistischen Apparaten zu tun haben, mit lebendigen und beseelten Geräten, mit denen wir kommunizieren und interagieren können, als ob es sich um vernunftbegabte handelt. Parallel dazu zeigen immer mehr Erkenntnisse aus den Lebenswissenschaften, dass Intelligenz und Kommunikation nicht allein beim Menschen und einigen wenigen Tierarten vorkommen. So erfährt in jüngster Zeit die Untersuchung der Kognition bei Pflanzen starke Aufmerksamkeit, genauso wie etwa die Erforschung der Beziehungsgeflechte von Pilzen. Bäume sind, wie wir heute wissen, durch ein von Pilzen hergestelltes „Wood Wide Web“ miteinander verbunden, dank dessen sie Informationen und Nährstoffe untereinander austauschen können.

Diese Entwicklungen und Einsichten bilden den Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt „Animismus/Maschinismus. Konfigurationen der Kritik zwischen Wissenschaft, Kunst und Technik“. Es wird ab Januar 2023 von Prof. Dr. Henning Schmidgen, Professur für Medientheorie und Wissenschaftsgeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar, gemeinsam mit dem Philosophen Dr. Mathias Schönher (Projektleitung) und der Künstlerin Jenny Brockmann durchgeführt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert dieses Projekt, dessen Laufzeit vorerst drei Jahre beträgt, mit insgesamt 546 000 Euro.

Den zweiten Ausgangspunkt bildet die steigende Bedeutung einer animistischen Weltsicht in den Geistes- und Kulturwissenschaften. Als Reaktionen auf die ökologische Krise des Anthropozäns mehren sich die Forderungen nach einem neu gefassten, kritischen Animismus, die vor allem ausgehend von der Akteur-Netzwerk-Theorie und dem Neuen Materialismus vorgebracht werden. Dieser neue Animismus soll mit dem vorherrschenden Verständnis, das die Ethnologie des 19. Jahrhunderts mit ihrem westlich-kolonialen Blick prägte, brechen und als Paradigma für die Überwindung der für die westliche Moderne grundlegenden Dichotomie von menschlicher Kultur und nichtmenschlicher Natur dienen (Donna Haraway, Jane Bennett). Das Forschungsprojekt führt die aktuelle Debatte um einen neuen Animismus auf einen ihrer wichtigsten Entstehungsherde zurück, nämlich auf die von Félix Guattari und Gilles Deleuze entwickelte Philosophie des Maschinismus, die unter anderem an die vitalistischen Technikphilosophien von Gilbert Simondon, Georges Canguilhem oder etwa Anne Sauvagnargues anknüpft

Die zentralen Fragen, die das Forschungsprojekt behandelt, betreffen erstens die Bedeutung eines neu gefassten Animismus für die medienwissenschaftliche Forschung und in diesem Zusammenhang des oft beschworenen Eigenlebens der Technik. Sie betreffen zweitens die von einer animistischen Weltsicht begründete Überwindung der Dichotomie von Natur und Kultur sowie die daraus resultierende Möglichkeit einer Neuformierung der Kritik an unserer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Und drittens betreffen sie das Potential, einen konstruktiven Dialog zwischen (Medien-)Wissenschaft und (Medien-)Kunst zu stiften, indem die Auseinandersetzung den animistischen Positionen entsprechend auf ästhetische Praxis und künstlerische Forschung ausgeweitet wird.

Tatsächlich fördert die DFG explizit den künstlerischen Teil dieses Projekts.

In Übereinstimmung mit diesen zentralen Fragen setzt sich das Forschungsprojekt aus drei Teilprojekten zusammen. Prof. Dr. Henning Schmidgen, der innerhalb des Projekts den Standpunkt der Wissenschafts- und Technikgeschichte vertritt, bearbeitet das erste Teilprojekt „Maschinenwesen. Gilbert Simondon und das Problem der Technik“. Es verfolgt in erster Linie eine kritische Auseinandersetzung mit Simondons Argument, dass technische Objekte als Individuen mit eigenen Existenzweisen angesehen werden müssen.

Dr. Mathias Schönher, der den Standpunkt der Philosophie einnimmt, bearbeitet das zweite Teilprojekt „Kritik der Kommunikation. Gilles Deleuze und Félix Guattaris Naturphilosophie im Zeitalter der Computertechnologie“. Das Ziel dieses Teilprojekts besteht darin, ausgehend von der Spätphilosophie von Deleuze und Guattari eine Naturphilosophie zu entwerfen, die eine Technikphilosophie als integralen Bestandteil umfasst. Dabei rückt es die Kognitions- und Kommunikationsprozesse, die eine Kontinuität über natürliche und künstliche Akteure hinweg herstellen, ins Zentrum.

Die Künstlerin Jenny Brockman bearbeitet das dritte Teilprojekt „(Un-)Gleichgewicht/BALANCE. Auf der Suche nach einer neuen Mitte“. Sie greift zur Untersuchung der Kommunikationsprozesse mit der uns umgebenden Welt, mit lebenden und nichtlebenden Existenzweisen auf die Mittel der künstlerischen Forschung zurück. Das Teilprojekt sieht die Realisierung eines Distributed Experiment vor, das durch gefühlte Kommunikation und verkörpertes Wissen ein kollektiv austariertes, kritisches Gleichgewicht erprobt und dadurch den Raum für die Bildung einer neuen Subjektivität eröffnet.

Das Forschungsprojekt „Animismus/Maschinismus“ zeichnet sich durch die Kombination von Herangehensweisen der neueren Wissenschafts- und Technikgeschichte, der philosophischen Analyse und Kritik sowie der künstlerischen Forschung aus, die sich aus der Konzeption der Teilprojekte und der Wahl der beteiligten Forscher*innen ergibt. In den von der DFG in Auftrag gegebenen Gutachten wird der Umstand, dass „historisch, theoretisch und ästhetisch reflektiert gearbeitet wird“, als hochgradig innovative methodische Entscheidung hervorgehoben. In diesem Zusammenhang erfährt insbesondere der Aspekt, dass die Verbindung zur (Medien-)Kunst „als gleichwertiges Teilprojekt angelegt ist“, eine äußerst positive Beurteilung. Die experimentelle Ausrichtung, die das Projekt durch dieses Teilprojekt erhält, könnte eine neue Weise des transdisziplinären Forschens begründen und verspricht, über eine „rein akademische Beschäftigung“ hinauszugehen und gerade dadurch eine inner- und außeruniversitäre Öffentlichkeit außerordentlich stark in den Forschungsprozesse einzubeziehen.

 

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Forschungsprojekts.