Prof. Dr. Hans-Rudolf Meier
Professur Denkmalpflege und Baugeschichte,
Fakultät Architektur und Urbanistik
Bauhaus-Universität Weimar
Für das historische Bauhaus war die Beschäftigung mit dem Bauerbe kein Thema: weder Architektur- und Kunstgeschichte noch gar Denkmalpflege wurden gelehrt und dies nicht nur, weil bekanntlich in der Weimarer Zeit das Bauhaus noch kein Architekturstudium kannte. Das Bauhaus war eine der ersten Institutionen am Beginn der künstlerischen Avantgarde, für welche die Distanzierung vom Historismus, konstituierend war. Man hatte genug von den – in den Worten zweier früher und prominenter Historismuskritiker – „altehrwürdigen Verkleidung(en)“ und „erborgten Sprache“ mit der man „die neue Weltgeschichtsszene“ aufführte[1] und wollte sich mit aller Kraft vom „Wechsel der Stil-Maskeraden“[2] befreien. Dieser Antihistorismus wiederum ist jene konstituierende Grundposition der Moderne, welche die Architektur der Avantgarde und die Denkmalpflege vereinte. Die Ablehnung jeglicher Nachahmung und, damit einhergehend, die Verpflichtung zur sichtbaren Unterscheidung von Alt und Neu teilte die moderne Denkmalpflege mit den Reinheits- und Absolutheitsgeboten der architektonischen Avantgarde.[3] Auch die moderne Denkmalpflege hatte sich zu Beginn des 20. Jahrhundert aus der Ablehnung des Historismus durchzusetzen begonnen und ihre Grundsätze im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ebenfalls in erklärter Distanzierung von den Praktiken des Historismus formuliert.
Schon diese knappe zeitgeschichtliche Kontextualisierung zeigt, wie unterkomplex das schlichte aber einige Zeit – insbesondere in Architektenkreisen – nicht ganz seltene Argument war, das Bauhaus bzw. die architektonische Avantgarde insgesamt habe weder Denkmalpflege noch historische Fächer gekannt, also brauche es in einer sich auf die Moderne berufenden Architektenausbildung keine Beschäftigung mit dem baulichen Erbe.
Traditionen der Avantgarde
Allerdings kommen, wie die Erinnerungsforscherin Aleida Assmann bemerkt hat, „auch (...) Teil- und Subkulturen nicht ohne Verfahren der rückholenden Übersetzung aus (...) und [können] daher auf eine interne Gedächtnisbildung nicht verzichten“.[4] Die Avantgarde selbst baute auf historische Referenzen: am bekanntesten gewiss die (Architektur-)Geschichtsschreibung durch Sigried Giedion, der als Generalsekretär der Congrès Internationaux d'Architecture Moderne (CIAM) zugleich ihr „embedded historian“ war und schließlich mit „Space, Time and Architecture“ eine Sicht auf die Geschichte der Architektur der Welt vorlegte, welche diese teleologisch als mehr oder weniger linearen Pfad hin zum Höhepunkt Le Corbusier und den Seinen erscheinen ließ.[5] Noch viel offensichtlicher – wenn auch weniger historisch als aus dem Geiste lebensreformerischer Mythologie – knüpfte Gropius mit dem Bauhaus schon terminologisch in der Historie der Architektur an. Zur Vereinigung der beiden Weimarer Vorgängerinstitutionen meinte der erste neue Direktor: „Eine solche Gemeinschaft, bei der mir das Vorbild der mittelalterlichen Bauhütten schon seit langem vorschwebt, könnte ein Zentrum bildnerischer Tätigkeit werden.“[6] Im März 1919 kreierte Gropius dafür den Namen Bauhaus, von dessen Akteuren er forderte, Protagonisten einer neuen „gotischen Weltanschauung“ zu sein.[7]
In dessen Gründungsmanifest visualisierte der Bauhaus-„Meister“ Lyonel Feininger mit der Titelvignette diesen Rekurs durch den expressionistischen Holzschnitt einer gotischen Kathedrale. Die weit zurückliegende und in Bild und Namen verfremdete Referenz sollte nicht nur jeden Historismus-Verdacht abwenden, sondern hatte darüber hinaus den Vorteil, für Interpretationen und Mystifizierungen besonders offen zu sein. Durch den Verzicht auf architekturgeschichtliche Forschung und Lehre kam man auch nicht in die Gefahr, die Projektionen durch verbesserte Kenntnis des mittelalterlichen Baubetriebs in Frage stellen zu müssen.
Der näheren Vergangenheit mochte man weniger abgewinnen. Auch wenn Nikolaus Pevsner bemerkte „Gropius regards himself as a follower of Ruskin and Morris, of van de Velde and of the Werkbund“[8], wissen wir, dass der erste Bauhausdirektor nicht übermäßig glücklich war mit unseren doch noch dem Jugendstil nahen wunderbaren Schulgebäuden.
Das Bauhaus existierte nur sechs Jahre in Weimar, bevor es aus politischen Gründen nach Dessau ausweichen musste. Dieses Faktum und die Kenntnis der dafür verantwortlichen Umstände sind ebenfalls Verpflichtungen für eine sich in Weimar auf das Bauhaus beziehende Institution. Alle hiesigen Nachfolgeinstitutionen standen freilich immer in irgendeiner Beziehung zu diesem überaus starken realen Mythos. Spricht man heute vom Erbe des Bauhauses in Weimar, gilt es selbstverständlich, diese Nachfolgeinstitutionen mit in den Blick zu nehmen: wenn wir uns hier Bauhaus-Universität nennen, dann im Bewusstsein um die Brüche und im Wissen um das ganze widersprüchliche Erbe.
Zum eher erfreulichen Teil dieses Erbes gehört aus der Sicht meiner Profession, dass hier 1949 von Hermann Henselmann die erste deutschsprachige Professur mit Denkmalpflege in der Denomination initiiert und mit Hermann Weidhaas besetzt worden ist.[9] Motiviert dazu hat den ersten Nachkriegsdirektor der Weimarer Bauhochschule wohl die enormen Aufgaben des Wiederaufbaus historischer Städte. Mit der sog. „Formalismusdebatte“ und der Hinwendung zur „Nationalen Tradition“ erfolgten zwar kurz danach politische Weichenstellungen, die einen solchen Entscheid begünstigt haben könnten, doch dürften diese für die Initiative Henselmanns noch keine Rolle gespielt haben. Diese erste Denkmalpflege-Professur ist nur eine Episode, um das eigentlich selbstverständliche Postulat zu illustrieren, dass die Geschichte des Umgangs mit dem baulichen Erbe und der Bedeutung des Bauerbes für die Diskurse an unseren Vorgängerinstitutionen zentrale Forschungsfelder unseres Instituts zu sein haben.
Internationalität des Bauhaus-Erbes
Wenn wir uns heute an der Bauhaus-Universität professionell in Lehre und Forschung mit Fragen des Bauerbes beschäftigen, dann resultiert aus der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Bauhauses aber auch die Verpflichtung zur Internationalität.[10] Die Sorge um und die Arbeit am internationalen Bauerbe des Bauhauses sind die logische Konsequenz der Internationalität der Bauhaus-Architektur. Als Label war diese so erfolgreich, dass der Begriff zum Synonym der auf die klassische Moderne Bezug nehmenden Architektur geworden ist und sich Städte wie die „White City“ Tel Aviv in Marketing und Selbstverständnis als „Bauhaus-Stadt“ bezeichnen, obwohl mit Arieh Sharon zwar ein wichtiger Protagonist aus dem Bauhaus kam, letztlich aber doch nur ein geringer Teil der dort bauenden Modernen Bauhaus-Schüler waren.[11] Dass gerade der Mythos der „White City“ zeigt, wie das Bauhaus-Erbe bis heute politisch instrumentiert wird, sei nur nebenbei bemerkt und gehört selbstverständlich auch zu den Forschungsfeldern eines Bauhaus-Instituts.
Die Gleichsetzung von Bauhaus und architektonischer Moderne gilt nicht nur apologetisch, sondern ebenso für die Moderne-Kritik. Nur ein Beispiel: Das Schweizer Bundesgericht hat 1991 die Urheberrechtsklage eines Architektenteams, dessen Schulhausbau von 1960 mit Satteldach und Wärmedämmung umgebaut werden sollte, mit der Begründung letztinstanzlich abgewiesen, sein Werk sei „durch die Anweisungen des sogenannten Bauhaus-Stils geprägt (...). Entsprechend kann auch nicht von einem hohen Grad an Individualität gesprochen werden, der das Werk in eine ausgeprägte Beziehung zu den Klägern als Urheber stellen würde und unverwechselbarer Ausdruck ihrer Persönlichkeit wäre.“[12] Das Bauhaus erscheint in dieser Begründung des obersten Schweizer Gerichts als Synonym für die scheinbar unindividuelle, gesichtlose (Massen-)Architektur der Moderne.
Für uns resultiert aus der Gleichsetzung von Bauhaus und Moderne, das bauliche Erbe der Moderne insgesamt in den Blick zu nehmen, und zwar ebenfalls inklusive ihrer problematischen und umstrittenen Facetten – von den gebauten Allmachtsphantasien über die „Ost-Moderne“ bis zum sog. Bauwirtschaftsfunktionalismus der Spätmoderne.[13] Dass uns dabei unsere Studierenden mit Engagement und Begeisterung folgen, sei nur am Rande erwähnt. Diese Aufgabe umfasst dabei neben der architekturgeschichtlichen und denkmalkundlichen Erfassung des Bestandes auch die Erarbeitung von Kriterien zu deren Beurteilung und die Erkundung und Diskussion der gesellschaftlich relevanten Werte für die späte Moderne.[14]
Bauhaus-Erbe 2019
In Hinblick auf die Centenarfeier des Bauhauses resultieren aus dem Gesagten drei Aufgabenbereiche:
- Die Erforschung von Rolle und Bedeutung des Bauerbes für die verschiedenen Vorgängerinstitutionen unserer Uni
- Der Lokalbezug der Weimarer Topografie der Moderne in ihrer Janusköpfigkeit
- Forschungen zum internationalen Bauhaus-Erbe und die Unterstützung von entsprechenden Erhaltungsbemühungen.
[1] Karl Marx: Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte (1852). Marx Engels Werke 8, Berlin 1960, S. 115.
[2] Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse, 7. Hauptstück, Nr. 223. Werke in zwei Bänden, bd. 2, München 1967, S. 112.
[3] Dazu Hans-Rudolf Meier / Thomas Will: Dehio 2000! Paradigmenwechsel in der modernen Denkmalpflege?, in: ZeitSchichten. Erkennen und Erhalten – Denkmalpflege in Deutschland, hg. von Ingrid Scheurmann, München /Berlin 2005, 320–329; Bernd Euler-Rolle: „Moderne Denkmalpflege“ und „Moderne Architektur“. Gemeinsame Wurzeln, getrennte Wege?, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 61, 2007, S. 145-161.
[4] Aleida Assmann: Verzögerungen des Vergessens. Über das anwachsende Wissen und die Rolle des Gedächtnisses, in: NZZ Nr. 258, 6.11.2001, B3f.
[5] Sigfried Giedion: Raum, Zeit und Architektur. Die Entstehung einer neuen Tradition, Basel / Boston / Berlin 1976 (engl. Erstausgabe 1941); dazu u.a. Hans-Rudolf Meier: Geschichtlichkeit der Form – Formen der Geschichtlichkeit. Sigfried Giedion und die Zeitgenossenschaft der Architekturgeschichte, in: Die Zeitgenossenschaft der Kunstgeschichte, hg. von Verena Krieger, Köln u.a. 2008, S. 69-80.
[6] Briefe an Ernst Hardt. Eine Auswahl aus den Jahren 1898-1947, hg. von Jochen Meyer und Tilla Götz-Hardt, Marbach 1975, S. 107.
[7] Walter Gropius: Wie kann Weimar zu neuer Blüte gelangen?, in: Die Schatzkammer. Sammelblätter für Kunst, Wissenschaft und Leben, Heft 2/4, 1920, S. 89; dazu: Christoph Wagner: Gotikvisionen im Bauhaus, in: Herbert Schneider (Hg.): Mittelalter und Mittelalterrezeption. Festschrift für Wolf Frobenius, Hildesheim/Zürich/New York 2005, S. 382-406.
[8] Nikolaus Pevsner: Pioneers of the modern movement. From William Morris to Walter Gropius, London 1936, S. 136.
[9] Hermann Wirth: Der erste Lehrstuhl für Denkmalpflege an einer deutschen Universität in Weimar, in: Weimarer Heimat. Natur, Geschichte, Kultur des Kreises Weimar Land 13, 1999, S. 20-22. Eine Studie zu Weidhaas von Simone Bogner ist in Vorbereitung.
[10] Beispielhaft dafür die Zusammenarbeit mit der Uraler Akademie für Bauwesen im Projekt „Bauhaus im Ural“: Bauhaus нa Уpaлe. Zum Erhalt des Erbes, hg. von Ludmila Tokmeninowa und Astrid Volpert, Jekaterinburg 2010.
[11] Dazu Wolfgang Pehnt: Modellwechsel. Das Bauhaus und die Organisation seines Nachruhms, in: Architecture in the Age of Empire. 11. Internationales Bauhauskolloquium, hg. von der Professur Theorie und Geschichte der modernen Architektur, Weimar 2011, S. 143-158.
[12] www.servat.unibe.ch/dfr/bge/c2117466.html; jumpcgi.bger.ch/cgi-bin/JumpCGI; dazu Hans-Rudolf Meier: Vom Aufbruch in die Moderne über die Bausünde zum Denkmal. Allgemeines und Spezifisches zur Spätmoderne in Klein- und Mittelstädten, in: Forum Stadt 40, 2013/4, S. 313–326.
[13] Dazu von unserem Lehrstuhl bisher: Mark Escherich (Hg.): Denkmal Ost-Moderne, Berlin 2011; Birgit Franz / Hans-Rudolf Meier (Hg.): Stadtplanung nach 1945. Zerstörung und Wiederaufbau. Denkmalpflegerische Probleme aus heutiger Sicht. Veröffentlichung des Arbeitskreis Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V. Bd. 20, Holzminden 2011; Eva von Engelberg-Dockal / Kerstin Vogel (Hg.): Sonderfall Weimar? DDR-Architektur in der Klassikerstadt. Forschungen zum baukulturellen Erbe der DDR 1, Weimar 2012.
[14] Dazu seit Februar 2014 das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt „Welche Denkmale welcher Moderne? Erfassen, Bewerten und Kommunizieren des baulichen Erbes der 2. Hälfte des 20. Jh.“; dazu: www.wdwm.info
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