Prof. Dr. Harald Bodenschatz
Professur für Architektur- und Planungssoziologie (bis 2011)
Technische Universität Berlin
Vortrag am 25.06.2013 auf der Veranstaltung „Das Weimarer Bauhaus und die Bauhaus-Universität Weimar“, durchgeführt durch das Bauhaus-Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Planung
Die Bauhaus-Universität, das ist meine Ausgangsthese, vermittelt ein sehr eingeschränktes Bild ihrer selbst. Auf den allerersten Blick scheint sie, trotz ihres geschichtsträchtigen Namens, eine geschichtslose Universität zu sein, eine Universität, die sich ihrer eigenen Geschichte nicht bemächtigt hat.
In der immer Zeitschrift Bauhaus Journal 2011/2012, immerhin „Jahresmagazin der Bauhaus-Universität Weimar“ genannt und vom Rektor der Bauhaus-Universität herausgegeben, ist unter der Überschrift „Wo Geschichte lebendig ist“ zu lesen: „Viele Gebäude der Bauhaus-Universität Weimar sind einzigartig und haben eine lange, bewegte Geschichte – etwa das Kunstschulenensemble Henry van de Veldes. Es […] gehört heute zum UNESCO-Weltkulturerbe.“ (S. 25) Viel mehr findet man nicht zur Geschichte der Bauhaus-Universität oder besser: zum Geschichtsverständnis, wie es sich im Jahresmagazin darstellt. Lebendige Geschichte? Eher Fehlanzeige.
Betrachtet man (2013) die offizielle Website der Bauhaus-Universität, fällt auf den ersten Blick auf, dass es keine Rubrik „Geschichte“ gibt. Unter der Rubrik Profil entdeckt man aber eine Unterrubrik Weltkulturerbe. Dort heißt es: „Die heutige Universität steht auf dem Boden bedeutender Traditionen. Wichtige Kapitel der Kunst- und Baugeschichte wurden hier geschrieben.“ Wer hier weiter nachhaken will, erreicht eine Seite, in der das „Haus am Horn“ gezeigt wird, allerdings ohne Angabe der Erbauungszeit und des Architekten. Dort steht geschrieben: „Das Staatliche Bauhaus Weimar markiert eine wichtige Epoche in der fast 150-jährigen Geschichte der Bauhaus-Universität Weimar und ist zugleich ein unverzichtbarer Teil des kulturellen Erbes der Menschheit.“ Es folgt eine Aufzählung der Weimarer Bauhausstätten und ein längeres Zitat aus der „offiziellen Begründung der UNESCO“. Wer dann noch die Website Bauhaus-2019 besucht, kann dort folgende aufmunternde Worte lesen: „In Thüringen haben das Bauhaus und seine Künstler viele Spuren hinterlassen […]. Freuen Sie sich jetzt schon auf 2019, wenn Thüringen ‚100 Jahre Bauhaus’ feiert!“ Viel mehr ist auf den Websites zum historischen Selbstverständnis der Bauhau-Universität nicht zu finden. Die beiden sehr verdienstvollen, von Frank Simon-Ritz, Klaus-Jürgen Winkler und Gerd Zimmermann 2010 und 2012 herausgegebenen Bände zur Geschichte „von der Großherzoglichen Kunstschule zur Bauhaus-Universität Weimar“ haben offensichtlich noch nicht die notwendige Rezeption gefunden.
Wenn man den Website-Auftritt der Bauhaus-Universität analysiert, fallen zumindest zwei wichtige Botschaften auf. Die erste Botschaft ist: Die Geschichte der eigenen Universität wird veräußert und versteinert, die zweite Botschaft heißt: Die Geschichte der eigenen Universität wird vereinfacht und zeitlich reduziert.
Zur ersten Botschaft: Das Verständnis der eigenen Geschichte der Bauhaus-Universität wird der UNESCO-Kommission überlassen, also im eigentlichen Sinne veräußert, nach außen delegiert. Denn die Universität versteckt sich hinter der außerhalb definierten Geschichte. Durch dieses Vorgehen schrumpft die Geschichte auf die Gebäude, die Bestandteil des Weltkulturerbes sind. Sie schrumpft vor allem auf zwei Bauten: das von Henry van de Velde entworfene Hauptgebäude und das von Georg Muche entworfene Haus am Horn. Da die gestalterisch-erzieherischen Aktivitäten im Hauptgebäude aber kein Thema sind, wird eine seltsam versteinerte Geschichte vermittelt.
Die zweite wichtige Botschaft ist: Die Geschichte der Bauhaus-Universität wird reduziert auf die Zeit des Staatlichen Bauhauses, also auf einige wenige Jahre, auf die Jahre 1919 bis 1925. Das sind sechs Jahre von 94 Jahren, wenn wir die neuere Geschichte der Hochschule betrachten, oder sechs Jahre von über 150 Jahren, wenn wir die längere Geschichte berücksichtigen. Der mögliche Einwand ist: In diesen Jahren hatte die Institution überregionale Bedeutung. Das ist sicher richtig. Aber hatte sie nur in diesen sechs Jahren überregionale Bedeutung? Ist ein Scheinwerfer, der ausschließlich diese Jahre erhellt, die anderen aber im Dunkeln lässt, angemessen?
Zunächst ist aber zu fragen: Was macht die Zeit des Staatlichen Bauhauses Weimar so bedeutend? Meine Antwort wäre: Das war vor allem der Umstand, dass die Jahre in Weimar die eigentlich wirksamen Jahre des Bauhauses vorbereitet haben, die Jahre des Bauhauses in Dessau. Das klingt wenig, ist es aber nicht. Denn die Jahr 1919-1925 waren die entscheidenden Suchjahre des Bauhauses, die Suche nach einer neuen gestalterischen Orientierung nach dem säkularen Bruch des Ersten Weltkrieges. In diesen Jahren gelang es Gropius aber nicht, sein Vorhaben einer neuen Architektur, einer Baulehre, in der Ausbildung zu verankern. Folgerichtig ist das bauliche Erbe bescheiden, aber den Verhältnissen entsprechend: ein Versuchshaus, das Haus am Horn, nach Plänen von Georg Muche in nur vier Monaten 1923 erbaut. Dieses Musterhaus ist ein Manifest, wenngleich ein höchst ambivalentes. Es zeugt auch von Botschaften, die zu Recht umstritten waren und es heute noch sind: von der Hinwendung zum suburbanen Wohnen, dem radikalen Bruch mit Tradition, der wenig reflexiven Orientierung auf neue Techniken und auf Trennung der Funktionen, der Zusammenarbeit mit der Immobilienwirtschaft, dem Alleinvertretungsanspruch auf gestalterische Kompetenz. Was hier nicht sichtbar wird, ist die sozialpolitische Orientierung.
Was sind aber die Folgerungen einer solchen Argumentation? Die Bauhaus-Universität ist kein Museum traditioneller Art, sondern eine lebendige Ausbildungsstätte. Für die Universität kann das Staatliche Bauhaus kein goldenes Kalb sein, sondern Gegenstand einer Auseinandersetzung, einer durchaus respektvollen Auseinandersetzung.
Doch die Fixierung allein auf das Staatliche Bauhaus ist zu wenig. Das wäre mein nächster Punkt. Die Bauhaus-Universität kann auf eine weitaus komplexere, einzigartige Geschichte während des 20. Jahrhunderts zurückblicken – während des kurzen 20. Jahrhunderts, wie manche Historiker sagen, also während der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion. In dieser Zeit war die gestalterische Hochschule vor allem mit Diktaturen konfrontiert. Nicht einmal 15 Jahre dauerten die Jahre der Weimarer Republik, und diese kurze Zeit war in den letzten Jahren auch noch durch nationalsozialistische Landesregierungen geprägt. Selbst wenn man diese drei Jahre ausblendet und noch die Jahre nach dem Fall der Mauer hinzurechnet, ist mit Blick auf die Hochschule das Verhältnis der Jahre der Diktatur zu den Jahren der Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg eindeutig, nämlich 66 zu 25.
Die Zeiträume der Diktaturen dürfen daher nicht im Schatten bleiben, sie gilt es ebenfalls zu erinnern. Natürlich sind die beiden hier angesprochenen Diktaturen äußerst unterschiedlich, und diese Unterschiede müssen herausgearbeitet werden. Die Zeit der Diktaturen war aber immer auch eine Auseinandersetzung mit dem historischen Bauhaus. Und sie brachte ebenfalls Direktoren hervor, die eine überregionale Bedeutung hatten: Paul Schultze-Naumburg (1930-32, 1932-40) in der nationalsozialistischen Zeit und Hermann Henselmann (1945-49) in der Zeit der Sowjetischen Besatzung unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die überregionale Bedeutung dieser Personen kann hier nicht vertieft werden, sie ist aber zweifellos bekannt. Die Ära dieser beiden Personen spiegelt nicht nur die politischen Verhältnisse dieser Zeit wider, sondern auch die gestalterischen Verhältnisse, die alles andere als eindeutig und widerspruchsfrei waren, und die bis heute einer angemessenen wissenschaftlichen Verarbeitung harren.
Bei der Betrachtung der Zeiten von Walter Gropius, Paul Schultze-Naumburg und Hermann Henselmann zeigt sich schnell, dass alle drei Direktoren von politischen Instanzen eingesetzt wurden, also unmittelbar und unverblümt das Verhältnis von Politik und Gestaltung aufrufen. Im Rahmen heutiger Kooptationsprozeduren wäre sicher keiner der drei Direktoren berufen worden. Es fällt weiter auf, dass zusammen mit der Berufung dieser drei Direktoren jeweils das überkommene Hochschulpersonal mehr oder minder stark ausgetauscht, verdrängt und ersetzt wurde. Das geschah erneut nach dem Fall der Mauer. Vor diesem Hintergrund ist eine Verkürzung auf das Staatliche Bauhaus fehl am Platze. Sie würde der besonderen Geschichte der Bauhaus-Universität von nationaler, ja europäischer Bedeutung nicht gerecht, einer Geschichte, welche die gesamten harten Widersprüche des 20. Jahrhunderts brennglasartig bündelt. Eine Institution wie die Bauhaus-Universität kann und darf die selbstbewusste Auseinandersetzung mit dieser einzigartigen Geschichte nicht scheuen, die sich mit den Namen Walter Gropius, Paul Schultze-Naumburg und Hermann Henselmann verbindet.
Die Geschichte der Hochschule erschöpft sich sicher nicht in den Perioden der drei schillernden berühmten Direktoren. Dazu gehören ebenfalls die vorbereitenden Jahre der Ära van de Velde, aber auch die zwei Jahrzehnte der Hochschule für Architektur und Bauwesen, die u.a. von Bauingenieuren geprägt wurden. Doch die Suche nach einer Hochschulidentität, und das ist mein letzter Punkt, ist nicht vornehmlich ein Vergangenheitsprojekt, es ist vor allem ein Zukunftsprojekt. Als solches ist es mit fundamentalen Herausforderungen konfrontiert, die sich auch aus der Verarbeitung der Geschichte ergeben. Eine solches Zukunftsprojekt impliziert folgende Aufgaben:
- die respektvolle reflexive Auseinandersetzung mit dem historischen Bauhaus jenseits jeder Hagiographie und Musealisierung,
- die kritische Auseinandersetzung mit dem „diktatorischen“ Erbe,
- vor allem die Auseinandersetzung mit den Perioden unter Walter Gropius, Paul Schultze-Naumburg und Hermann Henselmann,
- die Reflexion über das Verhältnis von Politik und Gestaltung,
- das Ringen um eine gesellschaftlich verantwortliche Gestaltung heute, das Ringen also um eine Gestaltung, die nicht nur sozial und ökologisch, sondern auch hinsichtlich ihrer Form nachhaltig ist.
Ziel wäre, so mein Vorschlag, die Entwicklung einer spezifischen Weimarer Perspektive, in der das Staatliche Bauhaus in den Kontext dieser besonderen Stadt und Hochschule von europäischer Bedeutung gestellt wird, mit all den Widersprüchen, die dieses schwierige Erbe aus dem kurzen XX. Jahrhundert auszeichnet.
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