Planen mit dem wilden Tier?

2. Projektmodul

Fährte Luchs, bei Gräfenthal, März 2015, C.R. - Felis Lupus (Silvester Tamàs)

Dr. Julia Gamberini
12 LP/8 SWS 

Es war einmal… die Rückkehr des Wolfes und des Luchses in Thüringen. Seit einigen Jahren hat sich ein besonderer Gast in der räumlichen und politischen Sphäre in Deutschland ohne Einladung wieder eingefunden: der große Beutegreifer. Nachdem er in Mitteleuropa Anfang des 20. Jahrhunderts verschwunden war bzw. vernichtet und vertrieben wurde, kehrte der Luchs (Lynx lynx) 2004 nach Thüringen zurück. 1904 wurde offiziell der letzte Eurasische Wolf (Canis lupus) in Deutschland erschossen. Nach ca. 100 Jahren kam er zurück und mittlerweile hat er sich in sechs Bundesländern fest angesiedelt. 2014 wurde zum ersten Mal in Thüringen die Präsenz einer Wölfin (Ohrdruf) festgestellt. Dies führte 2015 zur Erstellung eines Wolfmanagementplans und zur Veröffentlichung der Richtlinie Wolf/Luchs. 

Sei es gewollt oder unbeabsichtigt, klar ist mittlerweile: diese Kreaturen aus der Vergangenheit können sich in postindustriellen Landschaften Westeuropas gut einleben. Es hat sich zudem in den letzten vierzig Jahren eine kulturelle Änderung in vielen Ländern ergeben. Mit der Berner Konvention (1979) und später der Europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (1992), die u.a. das europäische Netzwerk für Biodiversität Natura 2000 hat entstehen lassen, hat der große Beutegreifer und vor allem der Wolf seinen jahrhundertelangen Status als „Staatsfeind“ gegen jenen als „gefährdete Spezies“ getauscht. 

Obwohl diese Rückkehr als positives Zeichen für Biodiversität gesehen und von Naturschützer*innen gelobt wird, sind die Reaktionen gegenüber dem wilden Tier immer noch zwiespältig, zwischen Faszination, Ängsten der Bevölkerung, Wilderei und systematischer Bekämpfung durch weite Teile der herkömmlichen industrialisierten Landwirtschaft. Daher werden Konflikte wiedererweckt, die die Beziehung zwischen Mensch und Natur in den letzten zweitausend Jahren kontinuierlich begleitet haben.

Diese Feststellungen bringt uns dazu, die traditionelle anthropozentrische Vision der Raumplanung, die Frage der Verteilung der Territorien zwischen Menschen und nicht-humanen Wesen und den Platz des großen Beutegreifers als vollwertigen Akteur des territorialen und kollektiven Handelns zu überdenken. Wölfe und Luchse spielen eine spezifische und wichtige Rolle als Regenschirm-Spezies für ein Ökosystem. In diesem Sinne wird die Vision der sogenannten „Ökosystemdienstleistungen“ hinterfragt, die in der Biodiversität und insbesondere in den großen Beutegreifern (Wolf, Luchs, Bär) bestimmte ökologische und nutzvolle Funktionen sehen und die heutzutage ihr Existenzrecht rechtfertigen. In der öffentlichen Debatte zeigt sich die Notwendigkeit, über eine „wildökologische Raumplanung“ nachzudenken, um Mensch-Tier-Konflikte zu mildern. Es sind die Ansichten einer Problematik, die einerseits dem wilden Tier bestimmte Rollen, Funktionen, sogar Verantwortungen in der Raumplanung zuweisen und andererseits erklären, dass die wilden Tiere ein spezifisches Management in der Kulturlandschaft brauchen. Dennoch stellt sich die Frage, ob wir mit dem wilden Tier tatsächlich „planen“ können. Mit dem Planungsprojekt des ersten Semesters Bachelor Urbanistik wenden wir uns Fragestellungen zu, die erst in den letzten Jahren aufgekommen sind und auf die die räumliche Planung vertretbare Antworten zu finden hat, auch wenn dabei die ausgetretenen Pfade eines hundertjährigen menschzentrierten und wachstumsfixierten Weltverständnisses verlassen werden müssen.