

Aktuelle Lehre: Europäische Medienkultur 3
Seminar: Polyglossien. Formen und Medien der Mehrsprachigkeit in Europa (Jun. Prof. Dr. Eva Krivanec)
Es ist paradox: Das gemeinschaftliche Europa hält viel auf seine Vielsprachigkeit und kulturelle Vielfalt, lässt sich diese Charakteristik auch in der konkreten Verwaltung und Gesetzgebung der europäischen Union einiges an Übersetzungs- und Dolmetschdienstleistungen kosten. Und doch hat sich mit der Nationalstaatsbildung im 19. Jahrhundert in Europa ein Paradigma der nationalen Ein- bzw. Normsprachigkeit oder umgekehrt, im Kontext imperialer Vielvölkerstaaten, ein an (eine) Sprache gebundenes nationales Aufbegehren konsituiert.
Bis heute wird die sprachpädagogische Einsicht, dass das möglichst gute, auch schriftliche, Beherrschen der Muttersprache für ein gutes Erlernen der Zweitsprache unerlässlich ist, aus politischen Gründen in Frage gestellt oder schlicht in der schulischen Praxis ignoriert. Individuelle Polyglossie, also Vielsprachigkeit ist im Europa des 21. Jahrhunderts tendenziell eine Eigenschaft marginalisierter Bevölkerungsteile (Mitglieder sprachlicher Minderheiten, Migrant*innen und Kinder von Migrant*innen, Menschen, die - oft prekarisiert - ihre Wohnorte häufig nach sich bietenden Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten wechseln). Für jene privilegierte, hoch qualifizierte Gruppe an international mobilen Ex-Pats oder Beamt*innen, gelten meist ausgezeichnete Kenntnisse der 'lingua franca' Englisch als einzig relevante "Währung" in der beruflichen Karriere und Praxis.
Was kann nun eine medienwissenschaftliche Perspektive auf verschiedene Formen von - im weiten Sinne verstandener - Polyglossie leisten? Zum einen ist die europäische Öffentlichkeit - soferne eine solche entstehen kann und gefördert wird, und da ist das europäische Filmfestival "Crossing Europe" seit über 20 Jahren ein wichtiges Beispiel - eine fundamental vielsprachige Öffentlichkeit. Diese Erfahrung, die Vielfalt europäischer Sprachen nicht nur zu lesen oder geschrieben zu sehen, sondern sie zu hören und von den Figuren enes Films verkörpert zu sehen, ist ein wichtiger Faktor für die Erfahrung einer transnationalen, interkulturellen "Europeanness". Zum anderen gibt es zunehmend, v.a. europäische Filmproduktionen, in denen mehrere Sprachen gesprochen werden, ob dies nun diegetisch eigens thematisiert wird oder nicht. Darüber hinaus interessiert sich die Medienwissenschaft auch und gerade für die Übergänge zwischen Sprache, Ton, Klang, Geräusch - hier wäre das Äquivalent zur Polyglossie etwa die Polyphonie oder die lauten und verworrenen Geräuschkulissen moderner Großstädte, und, andererseits, für Übergänge zwischen Sprache, Schrift, Bild - hier könnte man Graffitis, Kalligraphien oder verschiedene Kombinationen von Schrift/en und Bild/ern im Sinne einer hybriden Schriftbildlichkeit als Polygraphien verstehen.
Seminar: Filmgemeinschaften (Dr. phil. Katja Hettich)
In dem Seminar gehen wir der Frage nach, welche Rolle Medien für die Herausbildung "europäischer Gemeinschaft" spielen und legen dabei den Fokus auf die Frage, wie Gemeinschaften im und durch Film entstehen. Ausgehend von kulturwissenschaftlichen Theorien der Gemeinschaftsbildung werden wir Konzepte wie das der imagined communities (Benedict Anderson) oder des prosthetic memory (Alison Landsberg) heranziehen, um zu analysieren, wie Praktiken europäischer Kinokultur und konkrete Filme Gefühle von Solidarität und Zusammengehörigkeit erzeugen. Dabei setzen wir uns in historischer und aktueller Perspektive mit der Produktion, Distribution und Rezeption von Filmen im europäischen Kontext auseinander.
Wir besprechen, wie transnationale Netzwerke und grenzübergreifende Zusammenarbeit die Kinokultur in Europa von Anfang an prägten und noch immer prägen. Welche Rolle spielen dabei Filmfestivals, Fan-Communities und die Cinephilie als Subkultur? Diesen Fragen gehen wir nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch nach: Eine Exkursion zum Linzer Filmfestival "Crossing Europe", das einen wichtigen Knotenpunkt für das junge europäische Kino bildet, vermittelt der Seminargruppe Festival-Erfahrung und einen Einblick in das aktuelle europäische Kinogeschehen. Überdies bietet sich den Studierenden die Gelegenheit, mit den Leiterinnen des Festivals sowie ausgewählten Akteur:innen der europäischen Filmszene ins Gespräch zu kommen.
Einen besonderen Schwerpunkt des Seminars bilden filmphänomenologisch perspektivierte Fragen nach der Erfahrung von Gemeinschaft, die Filme ihrem Publikum vermitteln. Welche Ideen von Gemeinschaft manifestieren sich in konkreten Filmen, und auf welche Weise wird der Zuschauer an filmisch inszenierten Gemeinschaftsgefühlen beteiligt? Mit welchen narrativen und ästhetischen Mitteln kreieren Filme eine emotionale Verbindung zwischen filmischen Figuren und Publikum, und welche Rolle spielen dabei die von Filmemacher:innen erwarteten oder tatsächlichen Erfahrungen und kulturellen Prägungen empirischer Zuschauer:innen sowie der konkrete Rezeptionskontext? Inwiefern trägt Film das Potenzial in sich, tatsächliche oder imaginierte und gefühlte Gemeinschaften zu schaffen, die Menschen über Landes- und Kulturgrenzen ein Gefühl der Verbundenheit vermitteln? Wo hat dieses Potenzial seine Grenzen oder bedarf einer kritischen Hinterfragung?