Forschung

Die rasante Entwicklung im Bereich der generativen KI seit der Lancierung von GPT-3 (2020) und ChatGPT (2022) und die zahlreichen literarischen Kollaborationen mit solchen large language models zeigen: Geschichtenerzählen kann nicht länger als etwas betrachtet werden, das ausschließlich dem Menschen vorbehalten ist. Mit Blick auf die ökologischen Krisen unserer Gegenwart – wie Klimawandel, Artensterben und Ökozid – wird es gleichzeitig immer wichtiger, eine Sensibilität für die vielfältigen Geschichten zu entwickeln, die von Gesteinsschichten, Baumringen und Tierherden und -schwärmen erzählt werden.

Das von der DFG geförderte wissenschaftliche Netzwerk »PRANA: Posthuman Research and Narration« widmet sich der Vernetzung beider Themenbereiche, die in der Forschung häufig noch getrennt voneinander untersucht werden. Wie reagieren menschliche Erzählweisen auf diese unterschiedlichen Arten von Erzählungen? Welche Ansätze finden sie, um nicht-menschlichen Ausdrucksformen Raum zu geben? Und wie verändern neue Formen der Zusammenarbeit mit nicht-menschlichen Erzähler:innen die kreative Arbeit? 

Zeitlich fokussiert sich das Netzwerk auf gegenwärtige Entwicklungen, die bereits Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts in beiden genannten Teilbereichen einsetzen. So gehen den heutigen erzählerischen Experimenten mit large language models zahlreiche in den 1950er- und 60er-Jahren stattfindende literarische Experimente mit Großrechenanlagen wie der ZUSE Z22 sowie mit frühen, zwischen Menschen und Maschinen vermittelnden Quellcodesprachen wie ALGOL voraus. Ebenso setzt – teilweise von denselben Akteuren (OULIPO) – zu dieser Zeit ein literarisches und erzählerisches Interesse an den Sprachen- und Zeichenwelten von Tieren und Pflanzen ein, insbesondere im Bereich der literarischen Science Fiction. Dies steht im Zusammenhang mit einem aufkommenden Bewusstsein für eine sich zu Wort meldende Natur, die als Reaktion auf die menschengemachten irreversiblen Eingriffe in die sie umgebenden Ökologien eine eigene narrative agency ausbildet. 

Dabei dient uns posthumanistische Theoriebildung nicht bloß als methodische Heuristik, um die beschreibenden literatur- und erzählgeschichtlichen Tendenzen gemeinsam zu adressieren – vielmehr begreifen wir diese Diskurse als Teil jener seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts einsetzenden Entwicklung. Die gegenwärtige Rede von den posthumanities bzw. einer „post-humanistic perspective“, die bereits 1985 in Luhmanns Vorwort zur englischsprachigen Übersetzung von Liebe als Passion in den Blick gerät, hat ebenfalls historische Vorläufer. Sie knüpft an die allgemeine Systemtheorie, Kybernetik und Informationstheorie an (die sich bezeichnenderweise bereits 1956 mit der Idee einer artificial intelligence auseinandersetzt) sowie an die sich in der Medienwissenschaft konsolidierende „Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften“ (Kittler), die sich als Effekt der und Reaktion auf die technologische Entwicklung dieser Zeit verstehen lässt. Gleichzeitig erstarkt das Interesse für die ethnografische Erforschung indigener Kulturen und Philosophien, die Natur als erzählmächtig begreifen. Das aufkommende Bewusstsein für die krisenhaften Zustände menschlicher Umwelten, die maßgeblich von technologischen Innovationen verursacht sind, motiviert die Suche nach einer anderen Sensibilität für nicht-menschliche Bedürfnisse und Ausdrucksformen. Der Blick auf präskripturale Kulturen und Modellierungen des Erzählens weist auf die mediale Verortung der Narratologie in der typographischen Kultur hin, die sich im (post)digitalen Dispositiv der Gegenwart reorganisiert und eine Neumodellierung des Erzählens ermöglicht.

Das Netzwerk setzt sich aus Forscher*innen verschiedener geisteswissenschaftlicher Disziplinen zusammen, die sich mit nicht- und mehr-als-menschlichen Formen des Erzählens befassen. Es fördert die Kommunikation sowie den Wissenstransfer zwischen posthumanistischen Diskursen und narratologischer, künstlerischer und didaktischer Forschung. Visualisiert wird dieser Ansatz in Form einer Abschlusspräsentation des Netzwerks: einer interaktiven und multimedialen Ausstellung in der Universitätsbibliothek der TU Berlin und der UdK Berlin. Diese Präsentation schließt an vier vorausgehende Workshops zu den Themen 1. Anthropomorphismus, 2. Künstlerische Praxis, 3. Erzählte und erzählende Ökologien sowie 4. Didaktische Praxis an.