Wintersemester 2002/03

Das Unheimliche der Medien. Scheintod, falsches Leben, lebende Leichen, “Neomorts” in Literatur, Photographie und Film (B. Siegert)

Mittwochs, 11.00-13.00 Bauhausstraße 11, Raum 13

Die gegenwärtige Konjunktur der Lebenswissenschaften, die Karriere biologischer, bio-ethischer und biopolitischer Diskurse in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft totalisiert eine Krise der Unterscheidbarkeit von Leben und Tod, die im 18. Jahrhundert eingesetzt hat: seitdem der Tod eine Sache der Medizin geworden ist. Die Medien des Elektrischen sowie die Bildmedien Photographie und Film sind historisch in diesem Dispositiv, das alle Spielarten der Verunsicherung der Unterscheidung von Leben und Tod in sich schließt, sowohl dargestellt als auch wahrgenommen und interpretiert worden. Das Seminar wird anhand von literarischen Texten, Photographien und Filmen (von Caligari bis Frankenstein) alle möglichen (d.h. medizinische, physiologische, literarische und filmische) Spielarten des scheinbaren Todes und lebender Leichen, von kataleptischen Körpern und animierten Bildern etc. thematisieren. Es wird ihre jeweilige historische Rationalität rekonstruieren und auf diesem Wege das “Unheimliche” als Bereich der Entdifferenzierung von Leben und Tod als die “ursprüngliche” Domäne technischer Medien aufdecken.

Zur Vorbereitung: Tankred Rüdiger Koch, Lebendig begraben. Geschichte und Geschichten vom Scheintod. Leipzig 1990.

Der manipulierte Blick – Zur Geschichte optischer Instrumente (T. Nanz)

Seminar (2SWS)

“We are not afraid of Zeiss” – so ähnlich soll einmal eine englische Firma in einer Publikation den Jenaer Konkurrenten in seine Schranken verwiesen haben. Auch wir legen alle unsere Ängste ab und erforschen im Seminar optische Instrumente unter Berücksichtigung der Bestände des Carl-Zeiss Archivs in Jena: In einem ersten Schritt werden wir uns Grundlegendes über optische Medien erarbeiten, indem wir nicht nur exemplarisch einige Geräte (etwa Projektionsinstrumente, astronomische und geodätische Instrumente, etc.) betrachten, sondern ebenfalls medientheoretische und wissenschaftshistorische Überlegungen diskutieren. Ausgehend davon wollen wir zweitens Forschungen im Carl-Zeiss Archiv vornehmen, um die Ergebnisse in das EU-Projekt Licht><bild. p="" lassen.<="" zu="" einfließen="" aegina-akademie="" die=""> </bild.>

Das Seminar findet in Kooperation mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Lehrstuhl für Geschichte und Ästhetik der Medien statt. Es ist Bestandteil des EU-Projektes Licht><bild. präsentieren.<="" wanderausstellung="" einer="" in="" materialsammlungen="" geplant,="" ist="" es="" befasst.="" medien="" optisch-akustischer="" und="" optischer="" wirkung="" erscheinung="" entwicklung,="" der="" mit="" u.a.="" sich="" das="" aegina-akademie,="" p="" zu="" die=""> </bild.>

Die Veranstaltung findet als Blockseminar (Freitag) an der FSU Jena statt.

Einführung in die Medienkultur (B. Siegert, T. Nanz, H. Wagner)

Studienprojekt (8 SWS) Dienstags, 15.00-19.00

 

Das Projekt wird allen Erstsemestern dringend zur Teilnahme empfohlen. Es
erarbeitet einen kompakten Überblick über die wichtigsten Gegenstände
und Fragestellungen, die theoretischen Grundlagen und Positionen der
Medien- und Kulturwissenschaft, ihre historische Entwicklung und ihre
analytischen Stärken. Es führt in die wichtigsten Vorgehensweisen
(Methoden) der Medienkulturwissenschaft ein und vermittelt Techniken zur
Bloßlegung relevanter medienkultureller Problemstellungen in Bildern,
Texten und Phänomenen des alltäglichen Lebens. Es führt schließlich
exemplarisch vor, wie und wo bestimmte Theorien methodisch fruchtbar
gemacht werden können. Die versuchsweise praktische Erprobung zuvor
erarbeiteter theoretischer Erkenntnisse und Analysetechniken gehört
folglich mit zum Programm des Projekts. Das Projekt setzt sich zusammen
aus dem vierstündigen Projektplenum (Siegert/Nanz), dem textanalytischen
Seminar “Franz Kafka – frühe Texte, frühe Medien” (Siegert) und dem
Proseminar “Einführung in die Filmanalyse” (Wagner).

Empire. Die neue Weltordnung (B. Siegert)

Mittwochs, gerade Woche, 16.00-18.00
Bauhausstraße 11, Raum 15

Im Zentrum steht die Lektüre und Diskussion von Michael Hardt/Antonio Negri: Empire. Ergänzend hinzugezogen werden ausgewählte Texte von Deleuze, Foucault und aus dem Bereich der Postcolonial Studies. Dazwischen bleibt Raum für die Vorstellung von Diplomarbeiten. Das Kolloquium ist offen auch für interessierte Studierende im Hauptstudium. Teilnahme nach persönlicher Anmeldung.

Zur Vorbereitung: Michael Hardt/Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt/M.-New York 2002.

Franz Kafka – frühe Texte, frühe Medien (B. Siegert)

Donnerstags, 11.00-13.00 Bauhausstraße 11, Raum 13

 

Im Rahmen des Studienprojekts “Einführung in die Medienkultur” führt das Proseminar in elementare Methoden und Techniken der Lektüre und der Interpretation von Texten ein. Es schafft damit die Voraussetzungen, unserem literarischen Gedächtnis die seriösen Informationen über die kulturelle und kulturtechnische Konstruktion von Subjektivität entnehmen zu können, die wir benötigen, um medienkulturelle Problemlagen der Gegenwart angemessen beschreiben zu können. Anhand einer intensiven Lektüre früher Erzählungen, Romananfänge und Briefe von Franz Kafka soll herausgearbeitet werden, wie sich die Grundproblematik der literarischen Produktion und der Autorschaft bei Kafka im Kontext familialer Disziplinierung, (sub)kultureller Codes und der Medientechnik artikuliert. Darauf aufbauend erarbeitet das Proseminar grundlegende Begriffe der kulturellen Kommunikation.

Texte von Franz Kafka: Beschreibung eines Kampfes. Die zwei Fassungen. Parallelausgabe nach den Handschriften. Hg. Max Brod, Textedition Ludwig Dietz. Frankfurt/M 1969 (wird bereitgestellt); Betrachtung. In: Sämtliche Erzählungen (Fischer TB 1078); Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande. (Fischer TB 2067); Das Urteil. In: Sämtliche Erzählungen (Fischer TB 1078); Der Heizer (ebd.); Die Verwandlung (ebd.); Briefe an Felice (Fischer TB 1697). Ausserdem: Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson: Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien. Bern u. a. 1985 (u.ö.).

Weltprojekte um 1900 (M. Krajewski)

Dienstags (gerade Woche), 13.00-16.00 s.t. Bauhausstraße 11, Raum 13

 

Thema des Seminars ist die Welt, und zwar als Präfix. In beinahe inflationärer Verwendung zeigt sie sich um die vorletzte Jahrhundertwende so unterschiedlichen Projekten vorangestellt wie der Durchsetzung einer Welt-Sprache, der Verbreitung und Zirkulation von Welt-Geld oder der Standardisierung unserer Zeit zur Welt-Zeit. Bei der technischen Entwicklung von frühen (Mobil)Funksystemen (das world system des Medienmagiers Nikola Tesla) findet sich diese anspruchsvolle Vorsilbe ebenso wie bei der geplanten Zusammenführung des gesamten Wissens der Menschheit in einem Welt-Gehirn.

Die Globalisierung, inzwischen ein guter Kandidat für das Unwort des Jahres 2002, beginnt also bereits im 19. Jahrhundert, spätestens mit der Verlegung der Telegraphenkabel im Atlantischen Ozean. Ausgehend von diesem, sich allmählich etablierenden sog. Weltverkehr möchte das Seminar einige jener Projekte untersuchen und diskutieren, deren Ziel darin besteht, mit einer einfachen Idee gleich die ganze Welt zu erreichen.

Nach der begrifflichen Klärung von Welt und einer historischen Herleitung der Figur des Projektmachers sollen dabei u.a. die oben erwähnten Unternehmungen in den Fokus geraten, nicht ohne Seitenblicke auf vergleichbare Erscheinungen wie die Weltausstellungen seit 1851 oder das Weltbürgertum zu werfen. Zu fragen ist dabei stets nach den charakteristischen Bedingungen und Situationen, den Kontexten und Entwicklungen, welche die Verfechter zu ihren mitunter waghalsigen Projekten ermutigen.

Seminarplan

22.10.02
Einführung und Problemstellung

29.10.02
Was sind Weltprojekte?

12.11.02
Etymologien und historische Herleitung:
Was heißt eigentlich Welt? Was ist ein Projekt oder ein Projektmacher?

26.11.02
(Ver-)Sammlungen: Weltausstellung und -museum:
Geschichte der Weltausstellungen von 1851 bis zum Ersten Weltkrieg

Vortrag von Britta Lange (Berlin):
Das “Weltmuseum” des Hamburger Wachsfigurenherstellers Umlauff.

10.12.02
Neue Koordinaten: Der Weltverkehr in -raum und in -zeit:
Voraussetzungen der Globalisierung um 1900, Übersee-Telegraphie und Dampfschiffahrt; die Standardisierung der Zeit zur Weltzeit

07.01.03
Projektionen I: Das Gehirn der Welt
Formatierung des Weltgehirns: Das Institut International de Bibliographie, Die Brücke, und andere Bibliographie-Bewegungen um 1900. Mit Paul Otlet, Wilhelm Ostwald, Julius Hanauer, Hermann Beck und als Stargast: Franz Maria Feldhaus

21.01.03
Projektionen II: Ein Staudamm für die Welt
Geopolitik im Großprojekt: “Welt bauen” mit Herman Sörgel und der Idee, das Mittelmeer trocken zu legen, um damit Europa und Afrika zu Atlantropa zu vereinigen

28.01.03
Standardisierung der Sprache
Die Organisation der Wissenschaft, der Völker und die Vielsprachigkeit der Welthilfssprachen. Esperanto oder Ido? Wede oder Volapük? Und was ist Weltliteratur?

04.02.03
Effizienzdenken
Weltwirtschaft und eine Währung für die Welt
Die Entstehung eines Weltmarkts und -handels, die gleichzeitige Monopolisierung und (verschwiegene) Aufteilung in weltweite Kartelle

12.02.03
Die Weltenwende. Der Krieg 1914 als Zäsur. Bilanz und Schlußdiskussion
Die Organisation der Ökonomie: Umstellung der Wirtschaft auf Kriegsproduktion; Walther Rathenau in der Kriegsrohstoffabteilung

Literaturliste (Auswahl)

Blaise, Clark, 2001, Die Zähmung der Zeit. Sir Sandford Fleming und die Erfindung der Weltzeit, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

Brücke, Die. Internationales Institut zur Organisierung der geistigen Arbeit, 1911, Was “Die Brücke” will, Selbstverlag der Brücke, München.

Bührer, Karl Wilhelm, 1912, Raumnot und Weltformat, Fr. Seybold’s Buchhandlung, Ansbach.

Defoe, Daniel, 1697/1999, An Essay upon Projects. Edited by Joyce D. Kennedy et al., Bd. 30 von AMS Studies in the Eighteenth Century, AMS Press, Inc., New York, the Stoke Newington Daniel Defoe Edition.

Engelmann, Julius, L. Bobrik und Carl Böttger (Hg.), 1868, Der Weltverkehr und seine Mittel. Rundschau über Schiffahrt und Welthandel; die internationale Industrie-Ausstellung im Jahre 1867, Bd. Ergänzungsband von Das neue Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien, Spamer, Leipzig, 5. Aufl. (Pracht-Ausgabe)

Fuchs, Eckhardt, 1999, Das Deutsche Reich auf den Weltausstellungen vor dem Ersten Weltkrieg, Comparativ, Bd. 9, Nr. 5/6, S. 61–88.

Geistbeck, Michael, 1895/1986, Weltverkehr – Die Entwicklung von Schiffahrt, Eisenbahn, Post und Telegraphie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Gerstenberg-Verlag, Hildesheim, 2., neu bearbeitete Aufl., Reprographischer Nachdruck der Ausgabe Freiburg/Brsg, 1895.

Institut International de Bibliographie, 1914, Das Internationale Institut für Bibliographie in Brüssel. Organisation – Methoden – Sammlungen – Arbeiten – Veröffentlichungen – Kataloge, Bd. 124 von Publication, Internationales Institut f¨ur Bibliographie, Brüssel.

Nicolson, Marjorie H. und Nora M. Mohler, 1937/1956, The Scientific Background of Swift’s “Voyage to Laputa”, in: Marjorie H. Nicolson, Science and Imagination, Great Seal Books, Cornell University Press, Ithaca, New York, S. 110–154.

Ostwald, Wilhelm, 1911, Die Forderung des Tages, Akademische Verlagsgesellschaft, Leipzig, 2., verbesserte Aufl.

Peus, Heinrich, 1909, Notwendigkeit, Möglichkeit und Tatsächlichkeit einer Welthilfssprache, Selbstverlag des Verfassers, Dessau.

Pohl, Hans, 1989, Aufbruch der Weltwirtschaft. Geschichte der Weltwirtschaft von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, Bd. 24 von Wissenschaftliche Paperbacks Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Franz Steiner Verlag, Stuttgart.

Roscher, Max, 1911, Die Kabel des Weltverkehrs hauptsächlich in volkswirtschaftlicher Hinsicht, Puttkammer & Mühlbrecht, Berlin.

Serres, Michel, 1980/1987, Der Parasit, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main.

Stanitzek, Georg, 1987, Der Projektmacher. Projektionen auf eine “unmögliche” moderne Kategorie, Ästhetik & Kommunikation, Bd. 17, Nr. 65/66, S. 135–146.

Stocking, George W. und Myron W. Watkins, 1947, Cartels in Action. Case Studies in International Business Diplomacy, The Twentieth Century Fund, New York, Reprint Dec. 1946

Swift, Jonathan, 1726/1995, Travels into Several Remote Nations of the World. By Lemuel Gulliver, first a Surgeon, and then a Captain of Several Ships, Könemann, Köln.

Voigt, Wolfgang, 1998, Atlantropa. Weltbauen am Mittelmeer. Ein Architektentraum der Moderne, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg.

Sartorius von Waltershausen, August, 1931, Die Entstehung der Weltwirtschaft. Geschichte des zwischenstaatlichen Wirtschaftslebens vom letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts bis 1914, Jena.

Zweig, Stefan, 1927/1998, Sternstunden der Menschheit. Vierzehn historische Miniaturen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main.

Material (elektronische Texte)

Wilhelm Ostwald, “Die internationale Hilfssprache”, in: ders., Die Forderung des Tages, Akademische Verlagsgesellschaft, Leipzig, 1911, 2., verbesserte Auflage, S. 437–512 (Text als pdf-Datei).

Gustav Meyer, “Weltsprache und Weltsprachen”, in: ders., Essays und Studien zur Sprachgeschichte und Volkskunde, Straßburg, 1893, S. 23–46 (Text als pdf-Datei)