Linie

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" [Die Linie] ist die Spur des sich bewegenden Punktes, also sein Erzeugnis. Sie ist aus der Bewegung entstanden – und zwar durch Vernichtung der höchsten in sich geschlossenen Ruhe des Punktes. Hier wird der Sprung aus dem Statischen in das Dynamische gemacht." - Kandinsky 1926


Linienerscheinungen

  • Virtuelle (gedachte) Linie zwischen Bezugspunkten
  • gezogene Linie
  • Außenbegrenzung einer Form
  • Linien mit Schnitt- und Stoßpunkten
  • Raster
  • Schraffur
  • Muster
  • Rahmen
  • Textzeilen
 Übung GC27: 
 Punkte setzen - 
 danach Linien durch die Punkte ziehen
 
Übung GC27//Carsten Lerch
 
Übung GC27//Carsten Lerch


Linienformen

Linienformen:

  • horizontal & vertikal: Quadrat, Kreuz: - | +
  • diagonal: Dreieck, Kreuz: / \ x
  • circulär: Kreis, Kurve, Welle: c o ~

Die Horizontale und die Vertikale:

  • Die Horizontale entspricht der menschlichen Wahrnehmung (Auge, Fortbewegung, Horizont), die Vertikale wirkt höher. Die Horizontale entspricht einer passiven Ruhe, während die Vertikale eine (aufgrund der Erdanziehung) geschehende Bewegung darstellt, also mit der Aktiven verbunden ist. Vergleiche Horizont, ruhender Mensch usw... - ggü. Blitz, Regen, Sonnenstrahlen, Pflanzenwachstum usw…
  • Kandinsky nennt die Horizontale die kalte Form
  • Kandinsky nennt die Vertikale die warme Form

"Die Horizontale ist gegeben, die Vertikale zu machen" Adrian Frutiger

Die Schräge:

  • kippt oder fällt, hebt oder senkt sich
  • steigt auf oder fällt ab
  • das Verhältnis zu einem 45°-Winkel
  • Uhrzeiger
  • Kandinsky nennt die Diagonale die kalt-warme Form
  • Gleichgewichtslose ("freie") Diagonalen: weder horizontal, noch vertikal
 Übung KY63: 
 2 Kompositionen:
 - Zentrale freie Geraden
 - Azentrale freie Geraden
 Analyse nach Spannungen und Richtungen (s.u.)

Die Kurve:

  • Zeichen des Wassers in Bilderschriften (z.B. Mesopotamisch, Ägyptisch, Chinesisch), vgl. Adrian Frutiger, Zeichen und Symbole, II.2 (ff)
  • das Himmelsgewölbe
  • Hinweis auf das Zentrum (Konstruierte Kurve)
  • Spontane Bewegung (ohne Zentrum)
 Übung JI28: Linien (Kreis bzw. Welle, Quadrat bzw. Ecken, Dreieck bzw. Zacken)
 Übung JI28: Linienkombinatorik (Formkontrast, geordnet/ungeordnet)
 
Übung JI28: Linien/ Linienkombinatorik: Katharina Knobel
 
Übung JI28: Linien/ Linienkombinatorik: Katharina Knobel


Spannung und Richtung

Linien sind "animierte Punkte". Dynamik und Rhythmus entstehen nicht nur durch Nähe und Abstand, sondern auch durch Formkontraste.

Kandinsky unterscheidet:

  • Spannung (klarerer Begriff für Bewegung)
  • Richtung

Stellungen und Richtungen anhand eines Pfeils:

  • waagrecht, rechts: dynamisch, geht heraus (Leserichtung!)
  • waagrecht, links: dynamisch, kommt herein
  • senkrecht, oben: kraftvoll, aufstrebend
  • senkrecht, unten: kraftlos, herunterfallend
  • diagonal, rechts oben: aufsteigend, positiver Verlauf (Leserichtung!)
  • diagonal, links oben: aufsteigend, positiver Verlauf (ungewohnt)
  • diagonal, rechts unten: fallend, negativer Varlauf (Leserichtung!)
  • diagonal, links unten: fallend, negativer Verlauf (ungewohnt)

Die Richtung zweier Linien (Winkel) richtet sich i.d.R. nach der Schreibrichtung.

 Übung AF30+40: Linienrhythmik
 dynamische Folge kurzer, gerader, vertikaler Linien (Nähe, Abstand, Zwischenraum)
 
Übung JI28: Linienrhythmik: Katharina Knobel


  • Linien erzeugen Dynamik und Rhythmus.
  • Parallele Linien in gleichen Abständen bewirken eine Blickrichtung quer zur Linienrichtung.
  • Parallele waagrechte Linien wirken höher
  • Parallele senkrechte Linien wirken breiter


Linienstärken

 
Übung AF78//Carsten Lerch

Eine Linie ist kein Rechteck, wenn die Hälfte einer Dimension kleiner ist als die kürzere Seite - oder solange eine Querteilung in der Mitte keine zwei Quadrate entstehen lässt.

  • Faden
  • Stange (Stengel, Stab)
  • Balken
  • Stamm
  • Masse

Der Übergang zur Form ist ab der Balken-Stärke gegeben (vom Umriss zum Negativ).

 Übung JI88: Breitenskala, JI90: Linienklang breit-schmal
 Übung AF78: Linienstärken


  • Senkrechte Linien wirken im Vergleich dünner als gleich dicke waagrechte Linien
  • Längere Linien wirken im Vergleich dünner als kürzere Linien

(GC25)


Linienbeziehungen

  • Nähe - Abstand
  • Verbindung (Kreuzung, Winkel, Schnitt, Stoss)
  • Assymmetrie - Symmetrie
  • Parallelität - Gegenläufigkeit
 Übung AF34/AFT22:
 Morphologische Tafel 1 aus 7x7 Feldern, 
 ausgehend von 3 Vertikalen und 3 Horizontalen: 
 in der Mitte das Kreuz, rechts unten ein Kreuz im Quadrat, links oben ein Winkel. 
 Alle 49 Möglichkeiten sollen gefunden werden
 (jeweils mit mind. 2 der 6 möglichen Linien).

Anschließend Analyse der Zeichen vorangegangener Übung:

  • links-rechts & oben-unten Empfinden wie z.B. hängend, stehend;
  • Bewegungsrichtungen wie z.B. ziehend, drückend;
  • Symbolik.

"Eine Linie büßt ihren aktiven Charakter ein, wenn sie die Umrisse einer Flächenform umschreibt.
Sie wird medial." - Paul Klee


 Übung GC28: 
     4 schwarze Linien gleicher Länge und gleicher Stärke 
     in 9 Quadraten anordnen
 Übung GC28: 
     7 schwarze Linien gleicher Länge und gleicher Stärke 
     in 9 Quadraten anordnen
 Übung GC29:
     4 oder mehr gebogene Linien gleicher Länge 
     und gleicher Stärke in 9 Quadraten anordnen

Siehe auch:


Liniencharaktere

 
Übung AF79//Carsten Lerch
  • gerade - gebogen
  • lang - kurz
  • breit - schmal
  • kontinuierlich - unterbrochen
  • anschwellend - abschwellend
  • zunehmend - abnehmend
  • geordnet - ungeordnet
  • ruhig - bewegt
  • hell - dunkel
  • simultan ("gedachte Linien")
  • farbig
  • formal (horizontal, vertikal, circulär)


 Übung AF79,80: An- und Abschwellende Linien / JI91: Linienkontraste
 
Übung JI59/81//Carsten Lerch

Die Temperamente (nach Itten) sind:

  • Expressiv = empfindend (Trieb)
  • Impressiv = sehend (Sinn)
  • Konstruktiv = denkend (Gehirn)

"Jedes der drei Temperamente bietet etwas Besonderes: Das impressive Temperament ist gründlich, weitschweifig, detaillierend, unübersichtlich, chaotisch, aber gut beobachtend, geduldig und liebevoll, sehr empfindlich gegen Tadel.

Das konstruktive Temperament neigt zu synthetisch einfacher, klarer, konstruktiv geometrischer, deutlich geordneter, leicht kalter und liebloser Arbeitsweise. Es theoretisiert und diskutiert gerne.

Das expressive Temperament ist das dynamisch-impulsive, leicht phantastisch religiöse. Es ist das leicht begeisterte und auch leicht deprimierte Führertemperament.

Es ist selbstverständlich, dass jeder Mensch alle drei Temperamente in sich vereinigt, aber das eine der drei ist immer die Basis oder die Grundlage." Johannes Itten, Elemente der Bildenden Kunst, 2002.


 Übung JI59/81: Expressive Linienkombinatorik

Parallelen haben eine beruhigende, "harmonische" Wirkung. Die Aufhebung von Parallelen erzeugt Spannung. Abstands- und Formkontraste können mit Größen- und Stärkenkontrasten kombiniert werden.



Sprache

Linie, die:

  • Ethymologisch: < 11 Jh., Mittelhochdeutsch linie, althochdeutsch linna, entlehnt aus lat. linea ('Leine', 'Schnur'); also gerade wie eine ausgespannte Schnur, zu lat 'linum', Faden, Schnur, eigentlich Flachs
  • Englisch: line
  • Französisch: ligne

Wortsammlung:

auf Linie bringen durchgehende Linie elastische Linie Frontlinie gekrümmte Linie
geodätische Linie Germersheimer Linie gestrichelte Linie gezogene Linie hinter der Linie
in einer Linie mit in erster Linie Linie 1 (ff.) Linie F Linienbreite
Linienbus Linienflucht Linienflug Linienführung Linienmanager
Linienrichter Linienschiff Linienschreiber Linienstärke Linienverkehr
linieren liniert punktierte Linie Speyerer Linie stürzende Linien
U-Bahn-Linie



Schrift

 
Schrift als Grauwert - Übung von Claudia Heinze

Text erscheint als Linie

Neben vielen unterschiedlichen Beispielen der Geschichte, haben sich vor allem die Blumenorden in der Gestaltung von Gedichten hervorgetan, die als lineale Repräsentation oder formale Anordnung der Buchstaben und Wörter einen Bezug der äußeren zur inneren Form herstellte.

Vor allem Brotschriften wirken in der Darstellung als Linien.



 Übung JI26/GC30: Text als grafische Repräsentation von Linien


Analyse

 Übung JI74: Palme - eine Analyse

Darstellungsmöglichkeiten von Palmblättern:

  • Parallelität
  • Drehung
  • Drehung und Verkleinerung
  • Symmetrie
  • Überschneidung (Räumlichkeit)
  • Gitter
  • Fächer



Von der Linie zur Form

 Übung JI87+94: Mehrdimensionale Linienbänder


Diskussion

"Schon das Bei-sich-tragen einer geraden Linie müßte, zumindest moralisch, verboten werden. Das Lineal ist das Symbol des neuen Analphabetismus. Das Lineal ist das Symptom der neuen Krankheit des Zerfalls. Wir leben in einem Chaos der geraden Linien, in einem Dschungel der geraden Linien. Wer dies nicht glaubt, der gebe sich einmal die Mühe und zähle die geraden Linien, die ihn umgeben, und er wird begreifen; denn er wird niemals zu einem Ende gelangen.

Auf einer Rasierklinge habe ich 546 gerade Linien gezählt. Durch die lineare und imaginäre Verbindung zu einer zweiten Rasierklinge derselben Produktion, die sicher haargenau so aussieht, ergeben sich 1090 gerade Linien, und wenn man die Verpackung dazuzählt, an die 3000 gerade Linien derselben Rasierklinge.

Vor nicht allzulanger Zeit war der Besitz der geraden Linie ein Privileg der Könige, der Begüterten und der Gescheiten. Heute besitzt jeder Depp Millionen von geraden Linien in der Hosentasche.

Dieser Urwald der geraden Linien, der uns immer mehr wie Gefangene in einem Gefängnis umstrickt, muß gerodet werden. Der Mensch hat bisher immer noch die Dschungel gerodet, in denen er sich befand, und sich befreit. Allerdings muß er sich erst dessen bewußt werden, daß er sich in einem Dschungel befindet, denn dieser Dschungel hat sich schleicherisch gebildet, ohne daß die Bevölkerung davon etwas weiß. Und diesmal ist es ein Dschungel der geraden Linien.

(…) Um Gerechtigkeit zu üben, müßte man jetzt die Gebilde von Mies van der Rohe, Neutra, Bauhaus, Gropius, Johnson, Le Corbusier usw. auch abreißen, da sie seit einer Generation veraltet und moralisch unerträglich geworden sind."

Friedensreich Hundertwasser - Verschimmelungsmanifest




Diese Seite ist Teil der Werkmodule Bauhaus-Vorkurs, Grundlagen der Mediengestaltung und Generative Bauhaus von Michael Markert für Interface Design an der Bauhaus-Universität Weimar.