Paul Robert Haas

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Letztens war ich auf dem Friedhof. Ich bin ihn ganz, von vorn bis hinten, entlangspaziert. Wenn die Menschen an einem Grab stehen, dann, so erschien es mir, weniger zum Zwecke der Trauer als sich um den Grabesschmuck zu kümmern oder sich über dessen Gestaltung auszutauschen.

Zunächst ist mir dieser Gedanke wichtig: Über den Toten wacht die Natur, gedeiht etwas Neues usw.; jedoch wortwörtlich im Rahmen der Möglichkeiten. Jede Woche kommt und geht der/die Trauernde zur Grabpflege. Es sind die wildesten Pflanzen, die gewagtesten Blumenfarben zu entdecken - immer schön getrimmt. Bis die Natur in diesem Fall die Möglichkeit hat sich frei zu entfalten, braucht es etwas wie das komplette Aussterben einer Familie, eines Namens, einer Generation oder auch einfach das Vergessen und das Egal-Sein. Dann wird niemand mehr zur Grabmalpflege kommen, die Natur kann wuchern. Des Menschens aktives Einwirken hat deren Eingrenzung und eine Form der Erholung begünstigt. Entgrenztheit erfährt die Natur schließlich erst wieder ohne die direkte Einwirkung des Menschen.

Ein ähnlicher Vorgang lässt sich in verlassenen Tagebaugebieten beobachten. Der Mensch geht aus Gründen der Rohstoffknappheit, er muss weiterziehen. Sein aktives Einwirken in die Natur hat deren Erschöpfung bewirkt. Seine Passivität verursacht deren Entgrenzung.


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Grabstein1.jpg Rohstoffhalde.jpg
"Und ist es köstlich gewesen, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. (Psalm 90)
Grabstein2.jpg Amerikanische buche.jpg

Oben Bilder, mit meiner Handykamera gemacht, von zwei Grabmalen. Das Eine feiert die Arbeit oder vielmehr das Bild vom hart Arbeitenden, der nach Hause kommt, stundenlang geackert hat, nichts im Magen, und nun isst. Unabhängig vom Geschmack des Essens selbst steht fest, dass es schmecken wird, weil die Arbeit getan ist. Dem gegenüber, nicht lokal gesehen wohlgemerkt, steht ein Mann, sitzend, einen Hammer schlaff in der Hand haltend. Und das ist gar nicht so paradox wie es zunächst scheint. Der Arbeitende wird im ersten Fall zwar belohnt für seine Arbeit - aber nur spärlich. Sein Glück und seine Zufriedenheit zieht er aus einem Gefühl und schon gar nicht aus seinen Lebensumständen. Er ist anspruchslos. Im zweiten Fall hat der Arbeitende aufgegeben. Sein Körper strotzt auf der einen Seite vor Kraft, doch seine Haltung vermittelt Schwäche und Resignation vor der unendlichen Bürde, die er zu tragen hat. Beide Denkmäler sind also weniger paradox, als dass das eine die Vorstufe für das andere, das zweitere die unmittelbare Folge des ersteren ist. Ich gehe weiter, Gropius' "Denkmal der Märzgefallenen" kommt in Sichtweite. Schichten um Schichten von Arbeiterkörpern unter der Erde liegend, deren Wut die der anderen ist und die vereinte Arbeiterschaft...jajaja! Also etwas dazwischen. Zwischen Trauer und Freude über die Arbeit oder deren Lohn allein. Über das Haben-Bekommen-Verhältnis.


_3 Behlitz; Kiesgrube Zschepplin; Goitzsche

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