MODEN:Mnemosyne Decknamenatlas

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DECKNAMENATLAS / Christiane Schlütter

Fast jeder weiß, dass die Staatssicherheit der ehemaligen DDR ihre Mitarbeiter und Vorgänge mit Decknamen verschlüsselt hat. In den Aktenbergen verborgen blieb bisher der abstruse Kosmos, der sich aus diesen Namen ergibt. Denn auch in Thüringen gehörten längst nicht alle zur Kategorie „Müller, Meier, Schulze“. Hunderte haben sich etwas fantasievoller benannt – mit Märchenfiguren, harmlosen Blumennamen oder Berufsbezeichnungen. In diesem Decknamenatlas, basierend auf den Unterlagen der Bezirksverwaltung Erfurt, werden sie erstmals in eine Ordnung gebracht, in eine Taxonomie der Titel. Was den Einzelnen dazu bewog, sich einen bestimmten Namen zuzulegen, kann nicht aufgezeigt werden. Doch sie visualisiert das stereotype Menschenbild der Staatssicherheit, die scheinbare Banalität ihrer Arbeit, den Horizont und das Selbstbild ihrer Mitarbeiter. Der Decknamenatlas ist eine künstlerische Reflexion, ohne objektiv sein zu wollen. Aus den entstandenen Bildern darf jeder die eigenen Schlüsse ziehen.

Zu sehen ist der Decknamenatlas als Dauerleihgabe in der BSTU Außenstelle Erfurt auf dem Petersberg.


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Machart

Aus 305 A4-Seiten mit allen Decknamen von Mitarbeitern, Vorgängen und konspirativen Wohnungen der ehemaligen Bezirksverwaltung Erfurt sind 905 dieser Decknamen manuell herausgefiltert worden. Dabei handelt es sich nicht um typische Namen, sondern vielmehr um Absonderheiten, die anschließend taxonomisch geordnet wurden. Sie wurden räumlich in 64 Übersichts-Stränge organisiert und zu 12 Wortkategorien gruppiert. Die Taxonomie ist in Ansätzen an wissenschaftliche Vorgehensweisen angelehnt, jedoch zum größten Teil künstlerisch interpretiert. Die Neuanordnung, der oft schnell vergebenen Decknamen im alltäglichen Betrieb der Stasi, soll vor allem Zusammenhänge abbilden, Assoziationsketten ermöglichen und zu einem Nachleben dieser Namen führen. Die Gestaltung ist auf zwei wesentliche Inhalte zurück zu führen: Die Decknamen, geschrieben in der meist genutzten Schrift der DDR – der Super Grotesk, geben Aufschluss über die Herkunft der Namen. Die Beschriftungen in der Schriftart Minon, einer klassischen französischen Renaissance-Antiqua, sind an die Anfänge taxonomischer Abbildungen, wie die von Carl von Linné, angelehnt. Jeder der Namen ist mit einer doppelten Kontur eingefasst und erinnert in der Gestaltung an ein Etikett. In der Masse der Etiketten, die im Ursprung dafür bestimmt waren einzeln aufzutreten, bilden sie in der Gesamtheit eine besondere grafische Wirkung. Mit der anschließenden Rahmung in einen schwarz-braunen Holzrahmen ist besonders auf eine "schöne" Darstellung wert gelegt worden. Die Arbeit geht so kritisch auf die künstlich verschönerten Decknamen ein, die auf das Selbstverständnis der ehemaligen Stasi schließen lässt.