bild_gedächtnis_bauormenlehre

bild_gedächtnis

Die Bildfolgen der Semesterprojekte und Exkursionen vermitteln das Selbstverständnis der Lehre an der Professur, die über eine Suche analoger Referenzmuster in Exkursionen, den Entwurf in abstrakten Modellen und zu prototypischen Realisierung und Evaluierung führt.

Bildgedächtnis und Begriffs-Apparat ergänzen sich darin zum gegenseitigen Vorteil:

Schläft ein Lied in allen Dingen 

Die da träumen fort und fort

Und die Welt hebt an zu singen

Triffst du nur das Zauberwort.

...zugegeben eine eher romantische, romantisierenden Sicht auf die Welt, die sich in dem Vierzeiler „Wünschelrute“ des Romantikers EICHENDORFF, vermittelt. Die Zeilen könnten aber über ihre philosophische Tiefe und zeitgeschichtlichen literarischen Wert hinaus auch als Metapher für das Verhältnis zwischen Tun und Reflexion, zwischen Abstraktion und Assoziation zwischen Erkennen und Benennen auf dem Weg des Entwerfens von Gestalten dienen.

Bild und Wort als Korrelate, das Bild durch das Wort anschaulich beschrieben und verfügbar gemacht, das treffende Wort ruft im Idealfall das adäquate Bild in uns wach. Hier zeigt sich auch der Anspruch der sprachlichen (menschlichen) Abstraktion zur Beschreibung von Bildern, Ideen, Gedanken, Dingen, ...was beschreibbar ist, ist vorstellbar, was vorstellbar ist, ist machbar...

die magische Welt der Bilder von der theoretischen Welt der Sprache entmystifiziert, wesentlicher Schritt auf dem Weg des Gestaltenlernens. Diese uns heute so vertraute Beziehung wurde mit der Erfindung der Schrift vor etwa 6000 Jahren eingeleitet. Flusser konstatiert, dass die heute alles beherrschende menschliche Geste, das FÄDELN uns so geläufig geworden ist, dass wir sie kaum noch bemerken. Das FÄDELN begann mit den einfachen Zählen kleiner Objekte, die Objekte wurden zu Symbolen, deren Gestalt bedeutete nun die Art der zu zählenden Dinge, die ersten Zahlenreihen entstanden aus direkter Linie eingeritzter, Dinge bedeutender Symbole, wie die ersten Texte aus direkter Linie der das Wort einer Sache bedeutenden Symbole entstanden sind. Für den Bildner ist heute die Welt eine Serie von Szenen, für den Textler eine Serie von Prozessen. Für das von Bildern strukturierte Bewusstsein ist die Wirklichkeit ein Sachverhalt, die Frage ist, wie sich Dinge zueinander verhalten, das ist (laut Flusser) magisches Bewusstsein. Für das von Texten strukturierte Bewusstsein ist Wirklichkeit ein werden, die Frage ist, wie die Dinge sich ereignen, das ist historisches Bewusstsein. Mit der Erfindung der Schrift beginnt Geschichte.

Die Welt ist, was der Fall ist, sagt der Architekt/Philosoph WITTGENSTEIN lakonisch – die Welt besteht nicht aus Sachen, sondern aus Sachverhalten und bringt damit beide Bewusstseinsformen auf einen Nenner. Die Geschichte der Zivilisation ist von der Dialektik Bild-Wort gekennzeichnet. Die Imagination, als die Fähigkeit Bilder zu entziffern/entwerfen und die Konzeption, als die Fähigkeit Texte zu entziffern/schreiben durchdringen sich zunehmend.

Die Konzeption wird immer imaginativer und die Imagination immer konzeptueller. Imagination und Konzeption brauchen einander als Korrektive und sollen in unserem Programm folglich auch gleichberechtigt sein.

Welche Probleme diese Dialektik bereithält wird deutlich, wenn man Bilder oder Begriffe auf ihre Wandlung befragt: Der Begriff der Idee als Schlüsselbegriff des Entwerfens von Gestalten und ewiges Grundmuster der dinglichen Welt bei den alten Griechen konvertiert zum Muster der Überwindung und experimentellen Infragestellung von Grundmustern und ewigen Motiven – das fortschreitende, fortschrittliche Experimentieren (in Frage stellen) von Bestehendem ist das universelle Handlungsschema der sogenannten Moderne.

Md – dem mittelhochdeutschen Wortstamm der moderne liegt des Verb messen in der Konnotation von Werten nahe. Die Bauformenlehre vermittelt in ihren Entwurfsprogrammen die Korrelation von vermeintlich ewigen Grundmustern und dem Experiment zur Erweiterung und Fortschreiben dieser Muster. Der Grad an Angemessenheit oder Vermessenheit entlang des Fortschreitens ist jeweils neu zu bestimmen. Das Entwurfsprogramm sucht das Werten auch in der Konfrontation mit dem nahezu vergessenen und heute kaum noch vertrauten Handlungsschema „beschauliches Schauen“ oder besonnenes, vergleichendes Betrachten innerhalb des Gestaltungsprozesses zu strukturieren.