Keine Wohnform ist so zahlreich, so populär, so heftig umstritten und zugleich so erfolgreich ignoriert wie das Einfamilienhaus.
Mehr als die Hälfte der Menschen in der Bundesrepublik lebt derzeit in einem der 16 Millionen Einfamilienhäusern. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung wünschen sich aktuell, in einem Einfamilienhaus zu leben.
Stärker denn je steht diese Typologie in der Kritik: für den hohen Material-, Energie- und Flächenverbrauch, die überwiegende Erreichbarkeit per Pkw, ihre Starrheit gegenüber sich verändernden Lebensentwürfen, die Segregation in Einfamilienhausgebieten sowie die mit der Wohnform verbundenen Eigentumskonzepten, Familienidealen und Genderrollen. Doch der viel beschworenen ›Traum vom Eigenheim‹ gründet tief. Diffuse Bilder von ›Freiheit‹, ›Sicherheit‹ und ›Selbstverwirklichung‹ scheinen unerschütterlich.
Erstaunlich, dass der beliebteste und zahlreichste Gebäudebestand im architektonischen Diskurs bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten hat. Auch der BDA lässt bei seinem aktuellen Thema »Sorge um den Bestand« das Einfamilienhaus weitgehend außer Acht.
Im Seminar Sorge um das Einfamilienhaus werden wir die Geschichten von Einfamilienhäusern verschiedener Epochen erforschen, die politischen und ideologischen Hintergründe ihres Entstehungskontextes herausarbeiten und gezielte Interventionen entwerfen, die den Bauten eine unerwartete Perspektive geben. Gemeinsam entwickeln wir dabei einen kritischen Beitrag zur BDA-Ausstellung »Sorge um den Bestand«, die 2024 in Erfurt gezeigt wird.
Dabei machen wir den Begriff der ›Sorge‹ in Bezug auf das Einfamilienhaus produktiv:
Im EFH-Bestand sind beträchtliche materielle Ressourcen gebunden. In Sorge um die Zukunft des Planeten fragen wir: Was sind Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit diesen Ressourcen?
Im patriarchalen, heteronormativen Ein-Familien-Alltag ist Care-Arbeit – die Sorge der ›Hausfrau‹ um den Haushalt – das strukturelle Fundament des Einfamilienhauses. Wie lässt sich der Bestand für vielfältige Lebensentwürfe anpassen?
Dem Begriff der Denkmalpflege ist die Sorge für das Bestehende eingeschrieben. Liegt hier ein Ansatzpunkt für ein zeitgemäßes Selbstverständnis von Architekt*innen, das nicht den Neubau, sondern einen fürsorglichen und sorgfältigen Umgang mit dem Bestand zum Ziel hat? |