„Standardformen, die nicht ununterbrochen überprüft und erneuert werden, veralten.“
― Walter Gropius.
So verhält es sich auch mit Formen des Lehrens und Lernens. Doch, welchen individuellen und gesellschaftlichen Anspruch verknüpfen wir mit dem Lernen ?
Für jede Demokratie ist Bildung das Fundament, durch das sie gewährleistet wird. In einer Zeit der Krisen mit politischen, gesundheitlichen, wirtschaftlichen und die Umwelt betreffenden Bedrohungen bleibt die Ausbildung zu vernunftbegabten, allseitig gebildeten, kreativen und handlungsbereiten Menschen eine unabdingbare Grundlage. Sie stellt kein Fernziel dar, sondern eine täglich, unmittelbar anzustrebende Aufgabe.
In dem fachdidaktischen, fakultätsübergreifenden „Architektur und Schule“-Seminar geht es um die Interaktion mit geformten sowie metaphorischen Räumen im Hinblick auf Lernprozesse. Wie können Räume (in der Öffentlichkeit) zu lehrreichen und spannenden Raumstationen werden, in denen ein vielseitiger Erkenntnisprozess, sowohl physisch als auch sinnlich erlebbar, angelegt ist?
Unser Versuchsraum wird das abstrakt nachempfundene Direktorenzimmer des historischen Bauhauses sein – der Gropius-Zimmer-Pavillon. In Gestalt einer offenen Raumplastik hat er bereits mehrfach auf bedeutenden Stadtplätzen den öffentlichen Raum interveniert.
Anfang des Wintersemesters wird der Pavillon von Trier (derzeit auf dem Domfreihof) nach Zamosc/PL überführt (Exkursion optional). Nach der letzten Station in Finnland kehrt er von seiner Europareise zurück nach Weimar.
Pünktlich zum Jubiläum 100 Jahre „Great Bauhaus Exhibition“ soll er vor dem Bauhaus- Museum für die Öffentlichkeit eine Raumstation sein, die zwischen der Avantgarde der Vergangenheit und der Zukunft vermittelt.
Unter Berücksichtigung Eurer verschiedensten Expertisen und Vorstellungen wollen wir im regen Austausch durch das Entwerfen von Räumen für den öffentlichen Raum visionäre Lehr- und Lernszenarien entwickeln: Orientierung liefert der Gropius-Zimmer-Pavillon.
Das Seminar ist prozesshaft und ergebnisoffen konzipiert.
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(lang)
Als 1919 das Staatliche Bauhaus in Weimar gegründet wurde, entstand ein neuer Typus Kunstschule. Die neuartige Lehre definierte in einer Synthese aus Praxis-und Theorielernen „eine Art technisch-künstlerisches Laboratorium“. Kunst in den Alltag integriert sollte zu einem ganzheitlichen Verständnis von Gesellschaft und Leben führen und deren Gestaltung zum Gemeinschaftsakt erheben. Das vornehmliche Ziel des Gründungsdirektors war der allseitig gebildete Mensch, dem die Zusammenhänge aller Lebensbereiche wichtiger sind, als seine formalen Einzelteile.
Das Staatliche Bauhaus war von seinem Gründer Walter Gropius als eine Gemeinschaft aller am Bau Tätigen gedacht. Anliegen war es, politische Forderungen nach Überwindung gesellschaftlicher Unterschiede in neue ästhetische Formen zu übersetzen. Auch die schrittweise Verankerung eines neuartigen Bildungsansatzes sollte die regionalen Beschränkungen in Kunst und Handwerk zu Gunsten einer internationalisierten Sicht auflösen, um zu neuen, allgemein verbindlichen Formen zu gelangen.
Die Installation des Gropius-Zimmer-Pavillons wird fortlaufend auf bedeutenden öffentlichen Plätzen der Partnerstädte Weimars als ein Bauhaus- und Weimarbotschafter errichtet. Er bildet die Grundlinien des Direktorenzimmers nach und extrahiert den ursprünglich geschützten Innenraum zur Metapher von Direktorenamt und Ideenkapsel. Eine öffentliche Raumfigur, freizugänglich im jeweiligen Stadtraum.
Anliegen dieser luftigen Rauminstallation ist das Gewahrwerden der eigenen Rolle in einer demokratischen Gesellschaft: im Recht der Mitgestaltung liegt auch die Aufgabe der Mitverantwortung; sie geht uns alle an. In einer Demokratie sind wir keine Zaungäste, sondern Handelnde, jeder in seinem Bereich. Aus solchen Individualstrukturen heraus verantwortet jeder das Gesamtprojekt Gesellschaft.
Die avantgardistische Tradition des Bauhauses aufgreifend, fragen wir: Neuerungen stehen immer an, aber mit welchen zeitgemäßen Methoden begegnen wir ihnen? Wie kann Bildung über den Kanon von Bildungseinrichtungen hinaus mit so viel unterschiedlichen Gruppeninteressen wie möglich interagieren? Wie können Räume des Cyberspace mit denen des urbanen Alltags ineinandergreifen und so die verrücktesten Konstellationen an Begegnungen und Zusammenspiel erzeugen, um inspiriert, neugierig und mutig gesellschaftliche Umbrüche kreativ zu meistern.
Im Seminar wollen wir mit Euch, Studierende unterschiedlichster Fakultäten und Euren jeweiligen Expertisen, entweder den GZ-Pavillon oder andere Raum-Installationen als Bildungsräume im öffentlichen Raum durch Verwendung analoger, hybrider und digitaler Methoden bereichern und sie als Space-Maschine zum 100jährigen Jubiläum der „Great Bauhaus Exhibition“ erproben.
Lehrpersonen
Dipl.-Ing. Julia Heinemann - Fakultät Architektur & Urbanistik (verantwortlich)
Lehrbeauftragte Bettina Güldner, Kuratorin und Kunstvermittlerin (verantwortlich)
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