Beschreibung |
Das Erscheinen des Buches „ZWISCHENSTADT: zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land“ von Thomas Sieverts jährt sich 2022 bereits zum 25. Mal. Das Buch ist eine der erfolgreichsten Publikationen über Städtebau, Stadt- und Raumentwicklung der letzten Jahrzehnte. Seinen Erfolg verdankt es sicherlich auch seinem ambivalenten Titel, der viel Raum für Interpretationen lässt. Das Ziel des Buches, die Augen für die Räume jenseits der großen Zentren zu öffnen, hat das Buch, zumindest für kurze Zeit, erreicht. Sieverts hat es geschafft, dem oft verschlossen wirkenden Expertenthema der Raumentwicklung eine größere Bühne zu geben. Die damalige Diskussion hat den Fokus weg vom verkrusteten Streit über das Neue Berlin und hin zu den wirklich anstehenden Problemen der Stadt- und Raumentwicklung geführt. Bewegt hat sie indes leider nichts, nach wie vor schreitet der Grad an Versiegelung und Zersiedelung der Landschaft voran.
Wir wollen das Jubiläum nutzen, uns wieder mit dem Gegenstand der Untersuchung, dem suburbanen Raum auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit den Lehrstühlen von Prof. Mark Michaeli, TU München, Prof. Dr. Benedikt Boucsein, TU München, Prof. Christian Inderbitzin, KIT, Karlsruhe, Prof. Dr. Florian Hertweck, Universität Luxemburg, Prof. Ute Schneider, TU Wien werden wir uns im Entwurfsstudio dem Phänomen der Zwischenstadt widmen.
Unser Ziel ist es, ein möglichst breites Spektrum der Zwischenstadt in Europa zu betrachten. Die Randstad in Holland, das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen, das Mittelland der Schweiz, die nördliche Lombardei – jeder dieser Räume hat seine eigene Geschichte, seine eigene funktionale Logik, ist geprägt von der Kultur der Region, den gesetzlichen Rahmenbedingungen und den jeweiligen wirtschaftlichen Bedingungen.
In der Betrachtung im Nebeneinander suchen wir durch das Erkennen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Urbanisierungsformen ein tieferes Verständnis für die europäische Zwischenstadt von heute zu erlangen.
Im Oktober 2022 wollen wir unsere Analysen und Entwürfe an der TU München ausstellen und unsere gemeinsamen Erkenntnisse mit anderen Expert*innen in einem Kolloquium zur Diskussion stellen.
An der Bauhaus-Universität Weimar wollen wir uns mit dem Raum der nördlichen Lombardei auseinandersetzen. Der urbanisierte Raum, der im Tessin noch klar von den Ausläufern des Alpenhauptkamms gefasst wird, fließt hier scheinbar ungebremst in die flache Ebene. Eine hochentwickelte Landschaft, die an der Grenze zur Schweiz mit dem Lago di Lugano und dem Lago di Como, dem Panorama der Berge im Hintergrund noch lieblich über den Grad an Urbanisierung hinwegtäuscht, weiter südlich hingegen konturlos, beinahe chaotisch zersiedelt wirkt.
Zwischen Frankreich, der Schweiz und Italien ist die Lombardei eines der wichtigsten Wirtschaftszentren Europas. Mit einer immer weiter zunehmenden Dynamik verändern die städtebaulichen Transformationsprozesse diesen suburbanen Raum. Hochspezialisierte Flächen werden nach kurzer Zeit durch neue Funktionen besetzt. Die Landschaft wirkt durch die Schneisen der Infrastruktur wie ein Schnittmuster, an deren Knotenpunkten sich die Zentren der Warenverteilung anlagern. So hat sich der Raum südlich der Alpen zu einer hoch funktionalisierten Kulturlandschaft entwickelt, die unseren heutigen Lebensstandard sichert. Mit seiner hohen Komplexität und Dynamik entzieht sich dieser Raum einem einfachen Verständnis von Ordnung und Schönheit. Wenn wir uns den Problemen der Umweltzerstörung, der Biodiversität und des Klimawandels stellen wollen, müssen wir diese weitgreifenden räumlichen Transformationsprozesse allerdings verstehen lernen. Lernen, wie das komplexe Raumgeflecht funktioniert, wie Zentren und Peripherien miteinander interagieren, um selbst wieder eingreifen zu können.
Nur wenn wir im Entwurf Strategien entwickeln, um dem Phänomen Zwischenstadt zu begegnen, haben wir auch eine Chance, unsere urbanisierte Lebenswelt sozial- und umweltgerechter zu gestalten. |