Stadt des sozialistischen Klassizismus, Stadt der Moderne, Stadt des industriellen Wohnungsbaus. Wie kaum eine andere Stadtanlage der DDR steht Eisenhüttenstadt für den Wandel der städtebaulichen Leitbilder seit den 1950er Jahren. In der ab 1950 für das hier angesiedelte Eisenhüttenkombinat errichteten Planstadt lassen sich neben den stadtplanerischen Figuren und dem einstigen Zukunftsversprechen der sozialistischen Aufbaustädte an besonders wichtigen Industriestandorten auch deren Transformationsprozesse ab 1990 beleuchten.
Aus dem Gegensatz zwischen einem zentralistisch geplanten Aufbau der Stadtanlage in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und einem eher ungeplanten Rück- und Umbau heute, der sich u.a. in Flächenabriss von Wohngebieten, Nutzungsverfall von Industrieanlagen, Neubau von Einkaufzentren vor der Stadt als neue ‚zentrale‘ Orte und einer damit einhergehenden Schwächung der Innenstadt ausdrückt, resultiert die Wahrnehmung einer „perforierten Stadt”, deren weitere Entwicklung Fragen aufwirft. Dabei steht ein anerkanntes bauliches Erbe der Anfangsjahre der Stadt in den 1950er Jahren einem problematischen Verhältnis zur jüngeren Architekturgeschichte der Wohnkomplexe gegenüber. Wie lässt sich aus dieser Ausgangslage der Bestand bewerten und aus dem Bild der perforierten Stadt eine positive Umdeutung entwickeln?
Im Seminar untersuchen wir die Stadtanlage und ihre heutige Transformation und entwickeln Szenarien für eine zukünftige Entwicklung. Wir interessieren uns dabei vor allem für die Frage, welche neuartigen, räumlich dispersen Formen von Zentralität diese Transformationsprozesse hervorgebracht haben und wie diese zu Ausgangspunkten eines Umdenkens, einer positiven Werteverschiebung und einer zukunftsfähigen Weiterentwicklung werden können. Damit sind Studierende aufgefordert, gängige Konzepte von Urbanität und Zentralität zu hinterfragen und alternative Vorstellungen zu entwickeln.
Das Seminar nimmt damit nicht nur eine historisch bewertende Position ein, sondern möchte als Blick voraus auch einen Gegenentwurf zur Lethargie und Melancholie der schrumpfenden Stadtinszenieren. Dabei sind kurzfristige Aktionspläne ebenso denkbar wie langfristige Entwicklungsstrategien, die Szenarien offen: Überlegungen zur geordneten Schrumpfung sind genauso vorstellbar wie ein schrittweises Wachstum.
Das Seminar findet in Kooperation und mit Unterstützung des Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt im Rahmenprogramm der Jahresausstellung „Ohne Ende Anfang. Zur Transformation der sozialistischen Stadt” zum 70-jährigen Stadtjubiläum statt. Zum Abschluss des Seminars ist ein Beitrag in Form einer Ausstellung, Konferenz o.ä. vor Ort vorgesehen. |