Beschreibung |
Von der Antike bis weit in die Moderne hinein galt (und gilt) die Physiognomik als verbindliche „Lehre von der Menschenkenntnis“. Sie beruht auf der Prämisse einer „Entzifferbarkeit äußerer Zeichen“, d.h. auf der Annahme, dass sich der Charakter und die Wesensart einer Person an ihren körperlichen Merkmalen ablesen lassen. Physiognomisches Wissen entsteht zwischen Bild und Text. Physiognomien spiegeln kulturelle Hierarchien und Wertesysteme wider und generieren symbolische Differenzen und Stereotypen (schön/hässlich, faul/fleißig, tatkräftig/ängstlich, entschlossen/wankelmütig, geistreich/grob, etc). Was und auf welche Weise entziffert werden kann, hängt dabei nicht nur von den jeweiligen Medien der Lesbarmachung und der Beschreibung ab, sondern auch von den kulturellen und historischen Vorannahmen, was der Mensch sei und welche Disziplinen oder Künste für seine Erforschung anerkannt werden (z.B. Philosophie, Anthropologie, Biologie, Ethnologie, Soziologie, Karikatur, Fotografie, Malerei, Literatur oder Film).
Das Seminar gibt einen Überblick über zentrale Positionen der Physiognomik - von der antiken Charakterlehre bis zur modernen Pathognomik und Kultursemiotik - und stellt zur Diskussion, ob und inwiefern die Lesbarkeit des Menschen nicht immer auch mit Prozessen der moralischen, ästhetischen und epistemischen Auslese einhergeht. Dabei stehen die Grenzen zwischen Menschlichem und Animalischem genauso auf dem Spiel, wie die Differenz zwischen dem Normalen und dem Pathologischen. |
engl. Beschreibung/ Kurzkommentar |
Physiognomics I: Knowledge of human nature and its theories
From Antiquity to Modernity, Physiognomy has been considered as a reliable technique of knowledge about human nature. Based on the „readability of exterior signs”, this knowledge is founded on the core assumption, that the character and nature of a person can be directly inferred from her physical appearance. The knowledge of physiognomy is therefore both visual and textual. It is deeply dependend on the media of representation, as well as on cultural and historical assumptions and hierarchies. The seminar gives an overview of the central positions of physiognomic theory (from antique character studies to modern pathognomy) and discusses the interrelatedness of human readability and processes of cultural selection (i.e. moral, aesthetic and epistemological), at times putting at stake the difference between human and animal, normal and pathological. |