Das Rhizom: Ästhetiken der Makrowelten Eine interdisziplinäre Erkundung mikroskopischer Ökologien mit TouchDesigner Seminarüberblick Dieses Seminar erforscht mikroskopische biologische Systeme als dynamische ästhetische Territorien – vernetzt, generativ und voller emergenter Möglichkeiten. Mithilfe von Mikroskopie als visueller Linse und TouchDesigner als Hauptplattform für die visuelle Komposition entstehen immersive, multisensorische Installationen, die die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Beobachtung, künstlerischer Ausdrucksform und philosophischer Reflexion aufheben. Inspiriert durch Deleuze und Guattaris Konzept des Rhizoms verstehen wir diese mikroskopischen Welten nicht als feste oder hierarchische Strukturen, sondern als nichtlineare, miteinander verbundene Netzwerke – als Felder der Intensität, in denen Materie, Form und Wahrnehmung gemeinsam entstehen. Das Mikroskop wird zum filmischen Gerät, die Wissenschaftlerin zur visuellen Performerin, und die Projektion des Mikrokosmos entfaltet sich als eine Form des Expanded Cinema, verteilt über Raum, Licht, Klang und Code. Das Seminar mündet in großformatige Installationen und Live-Performances im Lernraum Bauhaus und Digital Bauhaus Lab, in Kooperation mit den Kursen von Dr. Marcin Pietruszewski und Isabella Lee Arturo. Zusätzlich erhalten wir direkte wissenschaftliche Perspektiven durch den Biologen Dr. Klaus Herbst-Fritze. ⸻ Rhizomatische Ästhetiken Wie Rhizome entstehen unsere Installationen als nicht-hierarchische Konstellationen aus Bild, Klang und Interaktion. Es gibt keine zentrale Erzählung, sondern Verbindungen – zwischen Disziplinen, zwischen Sinnen, zwischen Wissensformen. Visuelle und klangliche Materialien verzweigen sich, loopen, vervielfachen sich und bilden modulare, prozessbasierte Umgebungen, die Bewegung und Interpretation einladen. ⸻ Dialektik des Naturschönen Wir untersuchen kritisch die Ästhetisierung von Natur im Spannungsfeld zwischen philosophischem Denken (Adorno, Hegel) und zeitgenössischen Technologien (z. B. KI-generierte „natürliche” Bilder). Die Mikrowelt entzieht sich dem Kitsch: Sie kann nicht durch generative Tools allein erzeugt werden, da sie aus materieller Beobachtung hervorgeht, nicht aus Simulation. Wir stellen das Bedürfnis infrage, Natur zu idealisieren oder zu kontrollieren, und inszenieren sie stattdessen als lebendige Komplexität, die die Dichotomie von Natur und Kultur in Frage stellt. ⸻ Installative und sonifikatorische Möglichkeiten Die Teilnehmenden entwickeln und realisieren installative Szenarien, etwa: • Immersive Projektionsräume, in denen mikroskopische Aufnahmen auf unregelmäßige Flächen und architektonische Strukturen räumlich gemappt werden • Mehrkanal-Klanglandschaften, erzeugt durch Sonifikation biologischer Daten (z. B. Zellbewegung, Frequenzen, Partikelverhalten) • Reaktive Umgebungen, in denen die Präsenz der Besucher*innen (z. B. durch Sensoren oder Motion Tracking) das mikroskopische Bildmaterial in Echtzeit verändert Dialektik des Naturschönen Ausgehend von Adornos und Hegels Reflexionen zum Naturschönen denken wir Natur nicht als Projektionsfläche romantischer Ideale, noch als Objekt technischer Kontrolle. Wir hinterfragen auch aktuelle Tendenzen generativer Ästhetik (z. B. DeepDream, KI): denn eine KI kann keine reale Makrowelt erzeugen – sie spekuliert mit Symbolen, nicht mit Materie. Das Mikroskop-Bild hingegen bleibt verkörpert, real, situiert – und somit politisch wie ästhetisch bedeutungsvoll. ⸻ Installative und klangliche Möglichkeiten Im Zentrum steht die Entwicklung von immersiven Installationen, u.a.: • Raumgreifende Projektionen mikroskopischer Aufnahmen auf Oberflächen, Objekte oder in Nebelstrukturen • Sonifikation biologischer Daten (z. B. Zellbewegung, Wachstumsprozesse, visuelle Muster), umgesetzt als Klanglandschaften oder interaktive Audioobjekte • Sensorische Rückkopplung: Installationen, die auf Bewegung, Temperatur oder Luftfeuchtigkeit reagieren • Live-Performances, bei denen TouchDesigner mit Live-Elektronik, modularer Synthese oder algorithmischem Klang verbunden wird • Beobachtungsstationen im Gelände (z. B. Teich am Campus), die mikroskopische Live-Bilder performativ in Szene setzen Klang ist dabei kein Zusatz, sondern ein zentrales ästhetisches Medium: Sonifikation wird als Form des Hörbarmachens biologischer, visueller oder ökologischer Prozesse verstanden – als neue epistemische Dimension. ⸻ Aufbau und Ziele Das Seminar verbindet künstlerische Praxis mit wissenschaftlichem Denken und theoretischer Reflexion. Es baut auf bestehenden Beobachtungen im Ökosystem rund um den Campus auf und erweitert sie um neue ästhetische, technische und konzeptionelle Zugänge. Die Teilnehmenden: • entwickeln eigene audiovisuelle Installationen mit mikroskopischen Bilddaten • lernen Grundlagen der Sonifikation und der Synchronisation von Bild und Ton • setzen sich kritisch mit Texten von Deleuze, Guattari, Adorno, Haraway, Latour u.a. auseinander • arbeiten in interdisziplinären Gruppen mit Klangkünstler*innen zusammen • präsentieren ihre Arbeiten in einer öffentlichen Expanded Cinema Performance mit Dr. Marcin Pietruszewski ⸻ Kooperation & Lernraum Das Seminar findet in Kooperation mit dem Hybriden Lernatelier statt – ein Raum für experimentelle Medienpraxis, kollaboratives Denken und offene Formate. Die Studierenden sind eingeladen, Grenzen zwischen Disziplinen zu überschreiten, neue Formen des Forschens zu erproben – und dabei ästhetische Strategien für eine vernetzte, ökologische Gegenwart zu entwickeln. |