| Beschreibung |
In diesem Seminar untersuchen wir ein Kino, das normalerweise eher abseits akademischer Disziplinen existiert und von der Filmgeschichtsschreibung lange Zeit und zu einem großen Teil immer noch nahezu unbeachtet – obgleich kommerziell oft sehr erfolgreich – geblieben ist. Es geht um ein Kino der Erregung, des Exzesses, der Schaulust, der Attraktion, aber auch des Unbehagens. Wir wollen uns Filme anschauen, die sich durch explizite oder verstörende Darstellungen von Sexualität, Gewalt, Körpern und auch moralischen Grenzüberschreitungen auszeichnen. Dazu gehören Filmgattungen, wie sie Linda Williams in ihrem wichtigen Aufsatz "Film Bodies: Gender, Genre, and Excess" beschreibt. Solche Filme operieren oft nicht so sehr auf der Ebene des Erzählens, sondern zielen auf körperliche Reaktionen: Schweiß, Tränen, Schreie, Erregung, Ekel. Neben Linda Williams bildet einen zweiten theoretischen Background des Seminars Laura Mulveys Text "Visual Pleasure and Narrative Cinema" (1975), in dem sie eine signifikante Spannung zwischen Narration und visueller Lust im Kino markiert. Das verstörende Kino, dem wir uns im Seminar widmen, treibt diese Spannung auf die Spitze: Es entkoppelt Lust und Narration, setzt Bilder des Körpers (häufig weibliche Körper) ohne traditionelle narrative Einbettung ein oder zerstört die Handlung bewusst, um den Blick der Zuschauer*innen anzuziehen oder zu verstören. Tom Gunning schließlich hatte 1986 in einem Aufsatz das dritte für das Seminar wichtige Schlagwort vom Cinema of attractions („Kino der Attraktionen”) geprägt. Wenn auch Gunning das frühe Kino in Augenschein nahm, so hat er doch einen Aspekt erfasst, der das Kino immer begleitet hat, insbesondere in solchen Filmen, wie wir sie im Seminar anschauen wollen. Mit Gunning, Mulvey und Williams – und anderen Texten, die im Seminar eigenständig recherchiert werden sollen – wollen wir einen akademischen Zugang zu solchen verstörenden Filmen finden, indem wir anhand von acht Beispielen ihren Entstehung- und Rezeptionskontext erforschen und analysieren, wie diese Filme unsere Sehgewohnheiten irritieren, überfordern oder auch entlarven. Fragen des Seminars: - Was verstört uns an den verstörenden Filmen? - Wie erzeugen "Body Genres" körperliche Reaktionen – und warum gelten sie als „niedrig” oder „exzessiv”? - Wie hängen narrative Struktur und visuelle Lust zusammen – oder lösen sich voneinander? - Welche Gender- und andere Politiken sind in der Darstellung von Sex und Gewalt eingeschrieben? - Was sehen wir, wenn wir nicht mehr wegblicken? Teilnahmevoraussetzung: Bereitschaft zur Sichtung von verstörenden Filmen aus den Genrebereichen Gewalt, Sex, Exzess und Horror. Interesse an theoretischer Reflexion und der Auseinandersetzung mit explizitem audiovisuellem Material. Es ist ein Seminar in Kooperation der Bauhaus-Universität Weimar und der Universität Erfurt! Bemerkung: Bei der dauerhaften Teilnahme am Kurs ist die Anmeldung im zugehörigen Moodle notwendig. |
| Literatur |
Gunning, Tom (1986). ”The Cinema of Attractions: Early Film, Its Spectator and the Avant-Garde.” In: Wide Angle, Vol. 8, Nr. 3–4 (1986), S. 63–70. Dt. Übersetzung: Ders. (1996 [1986]). Das Kino der Attraktionen. Der frühe Film, seine Zuschauer und die Avantgarde.” In: Meteor. Texte zum Laufbild, Nr. 4, S. 25–34. Mulvey, L. (1975). "Visual pleasure and narrative cinema. Screen, 16(3), 6–18. https://doi.org/10.1093/screen/16.3.6. Dt. Übersetzung: Dies. (1980 [1975]). "Visuelle Lust und narratives Kino". In: Gislind Nabakowski, Helke Sander, Peter Gorsen (Hrsg.), Frauen in der Kunst. Band 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1980, S. 30–46 Williams, Linda (1991). "Film Bodies: Gender, Genre, and Excess.", Film Quarterly, vol. 44, no. 4, 1991, pp. 2–13. JSTOR, https://doi.org/10.2307/1212758. Dt. Übersetzung: Dies. (2009 [1991]). "Filmkörper: Gender, Genre und Exzess.", montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, Jg. 18, Nr. 2, S. 9–30. DOI: 10.25969/mediarep/323 |
| Voraussetzungen |
Die Lehrveranstaltung wird von der Bauhaus-Universität Weimar und der Universität Erfurt gemeinsam angeboten und findet an 4 geblockten Präsenzterminen (je 2 in Weimar und Erfurt) und je einem einführenden bzw. abschließendem Plenumstreffen als Videokonferenz statt. Die Teilnehmer:innenzahl ist auf 8 Personen pro Standort beschränkt. Die Kontextualisierung eines Films durch Referate erfolgt idealerweise in Tandems aus Studierenden beider Hochschulen. Das Thema des Seminars verlangt die Auseinandersetzung mit filmischem Material, das evtl. die persönlichen Wahrnehmungsgewohnheiten herausfordert. Mit ihrer Anmeldung erklären die Teilnehmer:innen, dass sie gewillt und in der Lage sind, sich diesen Herausforderungen zu stellen, auch wenn die gezeigten Bilder und visuellen Botschaften aus heutiger Sicht verstörend wirken können. Teilnahmevoraussetzung ist daher die Bereitschaft zur Sichtung von verstörenden Filmen aus den Genrebereichen Gewalt, Sex, Exzess und Horror. Interesse an theoretischer Reflexion und der Auseinandersetzung mit explizitem audiovisuellem Material. |