Der Autor dieses bescheidenen Essays empfiehlt dringendst die hier besprochene Kurzgeschichte Rückkehr aus der Nacht von Julio Cortázar zu lesen, bevor sich seinem Text gewidmet wird. Dies nicht zu tun könnte, mit Pablo Neruda gesprochen, schreckliche gesundheitliche Folgen nach sich ziehen. In der Hoffnung das schlimmste bei denjenigen verhindern zu können, die sich gegen die Lektüre entscheiden, hat sich der Autor dazu entschlossen eine kurze Zusammenfassung an den Anfang seiner Ausführungen zu stellen. Sie entspricht einem Spoiler.


„Man schläft ein; das ist alles.“

Eine der häufigsten Metaphern für den Tod ist das Einschlafen. Die Augen schließen sich und der Atem wird ruhiger. Bis das letzte tiefe Ausatmen den Übergang signalisiert; die Seele verlässt den Körper. Im Anschluss beschreiben die Angehörigen diesen Übergang als ein friedliches Einschlafen. Die Toten sind nun für immer am Träumen. In Rückkehr aus der Nacht webt Julio Cortázar die Metapher in eine Geschichte und kehrt sie in ihr Gegenteil; den Albtraum.

Gabriel schlief ein und träumte einen Todeskampf; Schweiß, Angst, Fiber, Durst. Nach einem Hahnenschrei wurden seine Gedanken klar. Er setzte sich auf, ging zum Schrankspiegel und bemerkte, dass sich sein Körper dort nicht widerspiegelte. Als er den Schrank öffnete, sah er seinen toten Körper auf dem Bett liegen; eine Hand hing auf den Boden herab und das Gesicht war bleich. Ihm wurde klar, dass der Traum ein wirklicher Todeskampf gewesen sein musste. Seine Großmutter brachte ihm jeden Morgen Frühstück. Seine größte Sorge war es, dass sie den schmerzverzerrten Leichnam entdecken könnte. Deshalb begann er seinen Körper umzupositionieren; umzugestalten. Den Arm zurück ins Bett, die Decke sanft über den Körper, das Gesicht bekam den Ausdruck eines Heiligen und die Lider wurden geschlossen. Er war fest entschlossen seiner Großmutter von seinem Tod zu berichten, um sie auf den Leichnam vorzubereiten. In ihrem Zimmer bezweifelte er plötzlich diesen Gedanken; er würde die Ereignisse und Aufregung nur beschleunigen. Also entschied er sich dagegen es ihr zu sagen. Doch es war zu spät, sie war bereits erwacht und erkundigte sich nach ihm. Er musste lügen und sagte, dass alles gut sei. Zurück bei seiner eigenen Leiche durchströmte ihn ein Weinkrampf und er stürmte nach draußen auf die Straße. Er lief einige Häuserreihen entlang und stellte eine Theorie auf. Sein Aufwachen musste zu plötzlich geschehen sein, wodurch sich seine Traumgestalt vom Körper lösen konnte und jetzt umherstreift. Jetzt stand er wieder vor seiner Haustür und es begann der Tag. Ohne zu wissen wieso rannte er in sein Zimmer zu seinem Leichnam und presste sich auf sich selbst. Ein Kampf zurück in seinen Körper, bis seine Augen nicht mehr sehen konnten. Dann öffnete er die Augen seines Körpers und die Sonne schien auf sein Gesicht. Er tat es als ein Albtraum ab, bis ihm die offene Schranktür und die Blutflecke auf dem Kopfkissen auffielen. Dann kam auch schon die Großmutter mit dem Frühstück und tadelte ihn, dass er in der Nacht aufgestanden war.

Medienphilosophie geht davon aus, dass es nichts Ursprüngliches geben kann, das nicht bereits medial vermittelt ist.[1] Auf die unbeschriebene tabula rasa namens Materie zu blicken, sie ontologisch zu bestimmen, scheint nicht möglich[2], weil jede Materie bereits in irgendeiner Weise vermittelt, geformt, gesehen, phänomenologisch bestimmbar ist. So erscheint auch der Mensch als Materie unter anderen Materien hochgradig heterogen, medial verstrickt und performativ vollziehend. Julio Cortázar treibt den menschlichen Existenzvollzug an die fantastischen Grenzen des Traums. Der Traum, als Todeserfahrung klingt albtraumhaft, ist aber eine Umkehrung der Schlaf-Metapher. Die verstorbene Person sei friedlich eingeschlafen, ist ein klassischer Erklärungsversuch. Davon kann bei Rückkehr aus der Nacht nicht die Rede sein. Gabriel schmerzt die Brust, ist bedeckt mit kaltem Schweiß und zittert schrecklich. Der Albtraum kehrt die friedliche Metapher in einen Todeskampf. Dabei spricht Gabriel selbst nie von einem Albtraum; sondern höchstens von einem Alpdruck.[3] Die beiden Wörter könnten als Synonyme füreinander verstanden werden, doch bricht der Alp-druck in gewisser Hinsicht die Grenze zwischen Tod und Leben; Existenz und nicht mehr Existenz einer Person. Der Druck ist allgegenwärtig; nicht nur als Schmerz und Todeskampf, sondern als schwelende Verpflichtung seiner Großmutter gegenüber, ihr den Abschied so angenehm wie möglich zu gestalten. Gabriel beginnt damit seinen Körper zu modellieren; zu inszenieren. Alle Anzeichen von Schmerz und Kampf werden verschleiert, um den Anschein eines friedlichen Einschlafens zu suggerieren.

„Währenddessen erledigte ich meine Arbeit. Ich zog die Betttücher zurecht, glättete die Steppdecke; meine Finger kämmten mich derb, bändigten das Haar und strichen es nach hinten. Und dann, ah, dann wurde ich mutig, ich modellierte die Lippen in meinem verkrampften Gesicht, bis ich mit unendlicher Geduld erreichte, daß sie lächelten…“[4]

Rückkehr aus der Nacht, Julio Cortázar

Der Druck wird zum Arbeitszwang. Gabriel wird zum Leichenpräparator, indem er seinen eigenen Tod inszeniert; verschleiert. Von der Vergegenwärtigung vor dem Schrankspiegel schlägt die Szene in ein Drapieren seiner Leiche um; ein Ekelaffekt schwingt mit. In den Werken von Teresa Margolles spielen Leichen eine entscheidende Rolle, auch wenn sie in der Regel nicht zu sehen sind. Die Künstlerin arrangiert beispielsweise Räume mit Seifenblasen oder Nebel, den Besucher*innen durchschreiten können. Das verwendete Wasser stammt allerdings von den Waschungen von Leichen.[5] Im Gegensatz zur Szene von Gabriel, sind die Leichen hier nur indexikalisch anwesend. Beide Szenen verbindet ein gewisses Maß an Ekel, der gewiss bei Margolles durch den direkten Körperkontakt mit Leichenwasser ein anderer ist. Kirstin Marek beschreibt das, was Margolles dabei erzeugt als „Antireliquien“, als solche Reliquien, die nicht unbedingt zur Verehrung dienen, sondern im Gegenteil zum Ekeln.[6] Die Inszenierung von Gabriels eigener Leiche changiert auf einer ähnlichen Ebene. Gabriel verwandelt den Ekel und den Schrecken seiner schmerzverzerrten Leiche in eine ehrwürdige Reliquie seiner selbst; eine Antireliquie in eine Reliquie. Er eliminiert dafür die indexikalischen Zeichen des Todeskampfes, um aus der ekelerregenden Leiche einen friedlichen Überrest zu gestalten. Bis sein Gesicht schließlich „den Ausdruck eines jungen Heiligen annahm, der sein Martyrium genossen hat.“[7]

Der Alp-druck hat aber noch einen anderen Hintergrund. Der Präfix Alp geht auf die Sagengestalt des Nachtalb zurück, die sich in der Nacht auf Menschen setzt, um ihnen Grauen, also Albträume zu bescheren. Das unangenehme Druckgefühl dabei nennt sich dann Albdruck. Illustrationen dazu kennt man zum Beispiel von Nikolaj Abraham Abildgaard oder Johann Heinrich Füssli. Der Druck wird durch die Sinne erfühlt. Der Unterschied zwischen Leben und Tod ist gewiss die Ahnung, dass nach dem Tod nichts mehr zu fühlen sei. Der Alp-druck ist eine Vergegenwärtigung des Körpers; er ist noch anwesend; er lebt noch. Druck kann nur als solcher wahrgenommen werden, wenn er dem Körper noch vermittelbar ist. Solange also ein Nachtalb, die Ruhe Gabriels stört, lebt er weiter. Der Nachtalb, der mit keiner Silbe erwähnt wird, ist das Medium zur Existenz Gabriels. Er ist anthropomedial verstrickt. Gabriel als Leichenpräparator wird allerdings durch den Druck, den er zum Beispiel auf seine Gesichtsmuskeln ausübt im gewissen Sinne zu seinem eigenen Nachtalb; er konfrontiert sich laufend mit dem Grauen seines eigenen Tods, mit dem Ekelaffekt aufgrund seiner eigenen Leiche und damit auch mit der albtraumhaften Vorstellung der eigenen Großmutter, die seinen verkrampften Leichnam finden könnte. Er schließt mit dem Gedanken ab, tot zu sein und ergibt sich seiner neuen Existenzweise; dem eines Nachtalbs und Leichenpräparators. Anthropos und Medium sind unzertrennlich miteinander verschränkt; das Phänomen ins anthropomedial.

Seine Existenzweise kann für diese Nacht zurecht als prekär eingestuft werden; wortwörtlich zwischen Leben und Tod. Seine „Traumgestalt“[8] bleibt medial verstrickt. Der Spiegel nimmt dabei eine prominente Rolle ein.[9] Er sieht nicht „sich selbst“, sondern seinen Leichnam auf dem Bett; ein raumzeitliches ineinander-Fallen zweier Existenzmodi. Einmal das gestorbene Ich und einmal das noch existierende Geist-Ich, dass sich seiner selbst nur noch mithilfe der Großmutter rückversichern kann. Der Spiegel verweist ihn nicht mehr auf sich selbst, sondern spaltet ihn ab von seinem physischen Körper; er besitzt onto-epistemologische Relevanz. Er führt Gabriel zur Erkenntnis, dass er gestorben sei und gleichzeitig ermöglicht er den neuen Existenzmodi der Traumgestalt. Lacan beschreibt das Spiegelstadium selbst „als eine Identifikation“.

„[…] als eine beim Subjekt durch Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwandlung.“[10]

Schriften I, Jacques Lacan

Gabriel bildet sich seine Traumgestalt, durch die fehlgeschlagene Rückkopplung und damit verbundene Operation der Sichtbarkeit. Sein Leib wird zum onto-epistemischen Medium und der Spiegel zum Erkenntnisagenten.

„Und dann sah ich mich, aber nicht mich selbst. Das heißt, ich sah mich nicht vor dem Spiegel stehen. Vor dem Spiegel war nichts. Von der Nachttischlampe war das Bett grell erleuchtet, und mein Körper lag darauf, ein nackter Arm hing auf den Boden herab und das Gesicht war ganz weiß, blutleer.“[11]

Rückkehr aus der Nacht, Julio Cortázar

Die hier getroffene Darstellung seines Selbst, kann als anthropomediale Szene verstanden werden. Eine Szene ist laut Christiane Voss „eine Art Ordnungsbegriff für die dramaturgische Gestaltung und Taktung von Zeit und zeitlichen Ereignissen“.[12] Die Situation ist deutlich gegliedert. Der tote Körper liegt auf dem Bett, die Traumgestalt steht vor dem Spiegel, der Spiegel koppelt den Toten Körper an seine eigene Traumgestalt zurück. Das besondere zeitliche Arrangement besteht hierbei nicht aus einer Handlungsfolge, sondern der Gleichzeitigkeit der zukünftigen toten Existenz und der noch erkennenden und nachdenkenden lebenden Existenz von Gabriel. Wie er in einem Einschub selbst bemerkt, hätte er die ganze Sache auch auf seine Herzkrankheit zurückführen können. Es handelt sich folglich, um die Gleichzeitigkeit von Leben und Tod in der Form eines reellen Traums, als Folge seiner existierenden Herzkrankheit. Der Traum ist real, weil all diejenigen Spuren, die Gabriel losgelöst von seinem Körper hinterlässt – die offene Schranktür, das Gespräch mit der Großmutter, etc. – bestehen bleiben, auch nachdem er wieder erwacht. Seine Traumgestalt ist ontisch, ein prekäres Sein, das nur in der Nacht existieren kann, denn ohne den Traum, keine Traumgestalt. Die Traumgestalt muss erträumt werden, damit sie existiert. Der Traum ist damit die anthropomediale Szene der situationsbedingten Existenzweise der Traumgestalt. Aus der Nacht zurückzukehren bedeutet in diesem Sinne nicht nur aufzuwachen, sondern Figur und Bühnenbild wieder zu verschmelzen; den Körper als Requisite wieder zum Leben zu erwecken, indem die Figuration des Traums stirbt.


ANMERKUNGEN

[1] Cortázar, Julio (2010), Vgl. S. 137

[2] Vgl. Serres, Michel (1992), S. 158

[3] Cortázar, Julio (2010), S. 109

[4] Ebd. S. 113

[5] Marek, Kirstin (2015), S. 110f.

[6] Ebd. S. 124

[7] Cortázar, Julio (2010), S. 113

[8] Ebd. S. 116

[9] Ebd. Vgl. S. 110

[10] Lacan, Jacques (1975), S. 64

[11] Cortázar, Julio (2010), S. 110

[12] Voss, Christiane (2019), S. 163


LITERATUR

  • Cortázar, Julio (2010): Rückkehr aus der Nacht. Erzählungen, Berlin: Suhrkamp, 109-119
  • Lacan, Jacques (1975): Schriften I, Olten: Walter-Verlag; Suhrkamp
  • Marek, Kirstin (2015): Affekt und Reflexion im Werk von Teresa Margolles, in: Voss, Christiane / Engell, Lorenz (Hg.): Mediale Anthropologie, Paderborn: Wilhelm Fink, S. 107 – 124
  • Serres, Michel (1992): Interferenz. Hermes II, Berlin: Merve Verlag
  • Scholz, Leander (2015): Szenen der Menschwerdung. Von der Technik-zur Medienphilosophie, in: Voss, Christiane / Engell, Lorenz (Hg.): Mediale Anthropologie, Paderborn: Wilhelm Fink, S. 125 – 137