Story

Mark Möbius begleitete von 2001 bis 2007 mehr als 100 Gründungsprojekte auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit.
Published: 13 July 2021

»Und dann haben wir es einfach gemacht« - Mark Möbius über die Anfänge der Gründerwerkstatt

2001 hast du gemeinsam mit Matthias Maier begonnen, die Gründerwerkstatt aufzubauen. Bereits im Februar 2002 seid ihr in die Villa in der Helmholtzstraße gezogen. Kannst du dich noch an die Tage des Einzuges erinnern? Wie war die Stimmung?

Die Stimmung war großartig. Aus einem Konzept, das in unseren Köpfen bestand, ist durch den Ort etwas Lebendiges und Echtes geworden. Wir sind mit einer Handvoll Teams eingezogen, das heißt das Haus war zu Beginn nicht komplett gefüllt und es war auf jeden Fall ein bisschen muffig. Es hat irgendwie nach alt gerochen. Ich habe mir sagen lassen, dass das Haus vorher völlig unterschiedliche Nutzungen hatte, zum Teil sogar als Altersheim. Dann stand es wohl auch eine Zeit lang leer, bis wir kamen. Die Stimmung beim Einzug war sehr speziell und wir haben uns total gefreut in so einem Haus zu sein. Es war fantastisch. Zuvor saßen wir mit dem neudeli im Gebäude der Hauptpost am Goetheplatz in der ersten Etage. Dort hat die Geschichte angefangen. Ich wurde damals von mehreren Gründerteams angesprochen, ob sie Projekträume bekommen könnten. Aus diesem Bedarf heraus ist die Idee für die Gründerwerkstatt neudeli entstanden.

Nachdem das Konzept stand, haben wir die Räume in der Helmholtzstraße gefunden. Es war unklar, wem das Gebäude gehört. Damit es aber nicht total verkommt, durften wir einziehen. Die Auflage war allerdings, dass wir sofort wieder ausziehen müssen, falls sich kurzfristig entscheidet, wer der Eigentümer ist. Nach drei oder vier Jahren wurden die Eigentumsverhältnisse geklärt. Ich glaube, es gab eine Eigentümergemeinchaft. Daraufhin hat das Land Thüringen entschieden »Wir kaufen das Gebäude und stellen es der Universität zur Verfügung für die Gründerwerkstatt neudeli.« Interessanterweise wurden wir damals bei den Stadt- und Regionalwahlen im Programm fast jeder politischen Partei namentlich erwähnt – ohne es jedoch zu wissen. Es gab sogar Plakate von den Grünen, die in Weimar hingen mit dem Slogan »neudeli darf nicht sterben! Wählen Sie grün«. Es war total abgefahren. Wir haben eine krasse Aufmerksamkeit bekommen, weil wir eins der ersten Gründerzentren dieser Art an einer Universität in Deutschland waren. Insofern konnten wir positive Fakten schaffen und hatten auch Glück, dass wir das Gebäude tatsächlich weiter nutzen durften. War eine geile Zeit, ein bisschen anarchisch auch.

Was war eigentlich deine Motivation, dich für die Stelle im neudeli zu bewerben?

Ich habe mich nicht für die Stelle beworben. Ich habe das Projekt geschaffen und mitgeholfen, die Mittel zu besorgen. Ich war ich Hiwi an Herrn Maiers Lehrstuhl.

Welche Aufgaben hast du denn während deiner Arbeit im neudeli gern und welche manchmal auch weniger gern gemacht?

Damals habe ich alles gemacht, denn ich habe allein angefangen. Ich habe Glühbirnen gewechselt, Stühle und Tische besorgt und auch mal sauber gemacht. Plötzlich habe ich aber auch Teams beraten, weil die Anfragen kamen. Ich habe gut zugehört, was die Leute sich wünschen und genau geschaut, was wir tun können und was wir nicht tun können. Und dann haben wir es einfach gemacht, wenn es ging. In die Beratung bin ich also reingestolpert ohne jemals einen Businessplan gelesen zu haben. Genau so liefen auch meine ersten Beratungen ab. Als sich die Teams jedoch bedankt haben für die Hilfe und das tolle Gespräch, dachte ich »Großartig, das könnte ein Job für die Zukunft sein. Ich muss eigentlich nur gut zuhören und habe nur 20 Prozent Redeanteil, aber die Leute sind trotzdem zufrieden und freuen sich darüber.«

Außerdem war es meine Aufgabe, das Ding zum Laufen zu bringen und zu bewerben. Ich stand vor der Mensa und habe mit studentischen Hilfskräften und Freunden Flyer verteilt. Wir versuchten in die Vorlesungen zu kommen und über das neudeli zu informieren. Ich habe wahnsinnig viele Professoren und Professorinnen eingeladen, um denen zu erklären, was das neudeli ist und wie es für ihren Lehrbereich interessant werden könnte. Ich habe echt eine große Runde gedreht!

Und natürlich war ich auch die Schulter zum Ausheulen im Haus. Du bist eng mit den Leuten verbunden und da kommen sie nicht nur, wenn die Glühbirne nicht mehr brennt oder das Business scheitert, sondern auch, wenn die Beziehung kaputt ist. Es war sehr familiär damals, es war sehr intensiv und es hat mir total viel Spaß gemacht. Und all das in Kombination war für mich herausragend. Diese ganzen Dinge zu tun und das neudeli mitzugestalten war schon großartig!

Kannst du dich an besondere Meilensteine erinnern in deiner Zeit im neudeli?

Ein wichtiger Meilenstein war, dass Nicole ins Team gekommen ist. Wir konnten diese Stelle neu schaffen. Nicole und ich haben das neudeli die ersten Jahre gemeinsam aufgebaut. Ein weiterer Meilenstein war, als wir das Haus komplett voll hatten: unsere

Villa Kunterbunt der Gründerszene. Es wurde gehämmert, gesägt, genäht, gestritten, gefeiert. Es wurde alles gemacht in diesem Gebäude, es war alles möglich. Wir hatten zum Beispiel ganz viel Sand im Keller, weil ein Team ihn reingekippt hatte, um irgendetwas auszuprobieren. Die Garage war voll, da wurde gehämmert, im Seminarraum unten wurde genäht. Das war unglaublich. Die Atmosphäre war fantastisch. Es war Highlife. Wir hatten eine fette Einweihungsparty und die Nachbarn wollten uns verklagen, weil es so laut war. Es ging hoch her. Der Nachbarschaft waren wir ein bisschen ein Dorn im Auge. Nicht bei allen, aber bei dem Einen oder Anderen. Einmal bin ich rüber gegangen, wollte mit dem Nachbarn sprechen, aber er hat mich gar nicht reingelassen. Der hat oben aus der zweiten Etage das Fenster aufgemacht, irgendetwas runtergerufen und das Fenster wieder zugemacht. Ich wollte ihm wirklich freundlich erklären, wer wir sind, was wir machen und dass er sich keine Sorgen machen muss. Aber da kam leider kein Gespräch zustande. Es gab auch eine Phase am Anfang, in der der Kanzler der Uni Überraschungsbesuche gemacht hat, um sicherzustellen, dass im neudeli nicht alle durchdrehen. Das war nicht der Fall! Es wurde schon gut und viel gearbeitet. Ein anderer Meilenstein war sicherlich auch, dass wir Microsoft als Partner mit an Bord holen konnten und kurz bevor ich gegangen bin, habe ich noch die Kooperation mit Jena angeleiert, die für uns wichtig war, um weitere Mittel zu akquirieren. Diese Finanzmittel haben es ermöglicht, das neudeli am Leben zu erhalten und mit Jena zusammen alles ein bisschen größer zu denken. Ich habe noch einen ganz witzigen Meilenstein: Einer der Gründer, der lange in unserem Umfeld tätig war, hatte so einen uralten 80er-Jahre-Mercedes und der hat fett das neudeli-Logo auf eine Seite des Autos gesprüht und ist damit quer durch Weimar und die ganze Region gefahren.

Nach deiner Zeit im neudeli hast du Weimar in Richtung München verlassen, um dort in der UnternehmerTUM GmbH zu arbeiten. Ist dir der Abschied aus Weimar leichtgefallen?

Ja, ist er. Aber auch nicht so leicht. Leicht in dem Sinne, da ich zehn Jahre in Weimar war, inklusive Studium. Nach einer Zeit verlassen dich alle. Freunde mit denen du studiert hast und die Teams, wenn sie eine gewisse Größe erreicht haben. So war für mich ein natürliches Limit gesetzt. Da kam das Angebot aus München gerade richtig. Auch weil ich es noch geschafft habe, einen guten Nachfolger zu finden. Thomas hWagner habe ich damals eingearbeitet und Martin Vetter ist dann offiziell mein Nachfolger geworden. Ich konnte noch die Finanzierung für weitere vier Jahre sichern. Deswegen bin ich gern gegangen, aber natürlich komme ich immer wahnsinnig gerne zurück. Ich war dieses Jahr kurz wieder für ein Wochenende in Weimar. Ich fahre immer am neudeli vorbei und schaue, ob ich reinkomme und vielleicht ein paar Leute treffe.

Das neudeli scheint deinen ganzen Werdegang sehr geprägt zu haben?

Absolut. Vom Mindset und von der Motivation her zehre ich total von dieser Zeit. Später in München habe ich mich sehr stark professionalisiert in Sachen Modelle und Werkzeuge in der Beratung. Aber mein Herz und meine Seele sind immer noch im neudeli – ganz klar!

Das Thema Gründerteam ist ein Schwerpunkt in deiner beruflichen Praxis. Daher muss ich dir natürlich die folgende Frage stellen: Wie muss das ideale Gründerteam aussehen?

Mein Interesse am Thema Gründerteam ist entstanden, weil ich im neudeli das Glück hatte, viel testen zu können was Teambuilding angeht. Manches ist zum Teil auch dramatisch gescheitert. Wir hatten zum Beispiel zwei Jungs mit einem betriebswirtschaftlichen Hintergrund mit einem Architekten und einem Designer zusammengebracht. Der Architekt und der Designer hatten diese Gründung aufgebaut. Sie brauchten noch jemanden, der sie in Sachen Geschäftsmodell trimmt. Wir dachten, dass sei eine gute Idee. Es war eine absolute Katastrophe. Kompetenzseitig passten die Leute zwar zusammen, aber das heißt nicht, dass die Chemie stimmte und dass sie gut als Team arbeiten konnten. Wir hatten echt Schwierigkeiten, die am Ende vernünftig auseinander zu bringen. Wie das optimale Teamsetting aussieht, kann ich nicht sagen. Ich kann nur jedem Team raten, Leute reinzubekommen, die nicht nur den gleichen Hintergrund und die gleichen Ideen haben. Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Hintergründen sind schon wichtig. Was ich in Weimar noch gelernt habe ist, dass echte Innovation oft an Schnittstellen entsteht. An Schnittstellen zwischen Fachbereichen, aber auch an der Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Persönlichkeiten. Da wo Reibung ist, da wo Gewitter entstehen zwischen einer Kalt- und einer Warmfront, passiert viel Neues. Wenn man den nötigen Respekt hat, zuhören kann und viel Verständnis füreinander aufbringt, kann man große Sachen ableiten.

Abschließend möchte ich gerne wissen, was du den Gründern und Gründerinnen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Studierenden im neudeli mit auf den Weg geben willst?

Hört nicht auf zu spielen! Hört nicht auf auszuprobieren! Es ist wichtig, den Mut zu behalten, zu experimentieren und wilde Sachen auszuprobieren – gerade in einem so sicheren Umfeld wie dem neudeli. Wir sind damals angetreten und haben es nicht Gründerzentrum genannt, sondern Gründerwerkstatt. Wir hätten es auch Spielwiese nennen können, weil wir den Leuten die Möglichkeit geben wollten, zu spinnen und verrückte Sachen zu machen. Sicher, vieles ist auch Mist, aber es entstehen auch tolle Dinge. Das möchte ich allen mitgeben: weiter zu träumen, weiter zu experimentieren, weiter verrückt zu sein und an die großen Sachen zu glauben. So das war’s.