Wintersemester 2016/17

Studienmodul Europäische Medienkultur I - Dokumentationen des Selbst: Vom Tagebuch zum Langzeitdokumentarfilm (B.A.)

Seminar: Das europäische Tagebuch (Marie Czarnikow)

Galt das Tagebuch jahrhundertelang als Medium des Bürgertums zur Selbstreflexion in der Welt, soll im Seminar dessen Popularisierung und mediale Vervielfältigung im 20. Jahrhundert in den Blick genommen und darüber das Tagebuch als Medium an sich untersucht werden. So wird spätestens mit dem Beginn des 1. Weltkriegs deutlich, dass ab jetzt jede und jeder Tagebuch schreiben darf und soll – sei es als Familienchronik, sei es als persönlicher Beitrag zu einer erfolgreichen Nationalgeschichtsschreibung im Krieg.

Anhand verschiedener historischer Etappen (Kriegstagebücher aus dem 1. Weltkrieg, Tagebuch der Anne Frank als Beispiel des Holocausttagebuchs, Brigadetagebücher aus der DDR im Vergleich mit anderen kommunistischen Ländern) wird das Tagebuch anhand medienwissenschaftlicher Fragestellungen (etwa zur „Schreibszene“ des Tagebuchs, zu dessen vermeintlicher Unmittelbarkeit, zur Verwendung als historischer Quelle und deren Problematisierung in der Geschichtswissenschaft, zur Forderung nach Authentizität) auf seine medialen Besonderheiten befragt. Im zweiten Teil des Seminars wird die Verwendung, insbesondere die Archivierung sowie die Inszenierung von Tagebüchern analysiert. Hierbei geht es vor allem um das Tagebuch als Museumsobjekt, die Entstehung von Tagebucharchiven sowie um die neuere Tendenz der Tagebuchinszenierung im Fernsehen. Somit soll auf der einen Seite die „Geschichte des Mediums“ im 20. Jahrhundert in den Blick genommen werden, zum anderen aber auch die Geschichte, die durch das Medium Tagebuch geformt wird, als eine spezifische, inszenierte erkannt werden.

Seminar: Der europäische Langzeitdokumentarfilm (Nicole Kandioler)

Im Zentrum des Studienmoduls stehen mit dem Tagebuch und dem Langzeitdokumentarfilm zwei spezifische Genres bzw. Formate der Selbstdokumentation. Während jedoch beim Tagebuch Subjekt der Untersuchung (AutorIn) und beschriebenes Untersuchungsobjekt kongruent sind, findet beim Langzeitdokumentarfilm die Dokumentation durch die Perspektivierung eines/einer RegisseurIn statt. Die Gegenüberstellung von Tagebuch und Lanzeitdokumentation ermöglicht es uns, über folgende Fragen nachzudenken: 

- Was bedeutet Autorschaft (in Bezug auf den Text und auf den Film)?
- Welche literarischen und filmtechnnischen Mittel können wir als dokumentarische Strategien/Techniken verstehen?
- Welches ,Selbst’ dokumentieren Tagebuch und Langzeitdokumentation?
- Wie ist das Verhältnis zwischen AutorIn, ZuschauerIn/LeserIn und ,Untersuchungsobjekt’?
- Was ist das medienspezifische der Selbstdokumentationen?

Anhand eines Korpus international ausgezeichneter europäischer Langzeitdokumentarfilme sollen in der Lehrveranstaltung Status und Funktionen des dokumentarischen Bildes diskutiert und Schlaglichter auf paradigmatisch wichtige Episteme und Theoreme des Dokumentarfilms (und speziell des Langzeitdokumentarfilms) geworfen werden.

Studienmodul Diversity 1: Medien der Normalisierung

Seminare: Medien der Normalisierung I und II (Nicole Kandioler)

„Im Sinne des Psychoanalyse ist also auch das ausschließliche Interesse des Mannes für das Weib ein der Aufklärung bedürftiges Problem und keine Selbstverständlichkeit.” (S. Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, 1915)

Die von den Cultural Studies beeinflussten Gender Studies untersuchten das subversive Potential queerer Subkulturen. Im Kontext der Filmwissenschaften entstanden Untersuchungen wie „Die schwule Traumfabrik: Homosexualität im Film” (Russo 1990) oder „Now you see it: studies on lesbian and gay film” (Dyer, 1990), die darauf abzielten, scheinbar ,deviante‘ Identitäten sichtbar zu machen und zu affirmieren. Neuere Forschungen im Kontext der Queer Studies machen hingegen die Unsichtbarkeit normierender Kategorien zum Untersuchungsgegenstand und betonen die Konstruktion und die historische Gewachsenheit dieser Normen. Heterosexualität, weiße Hautfarbe, Männlichkeit, Westlichkeit kommen als kontingente, aber keineswegs unschuldige, hegemoniale Praktiken/Technologien in den Blick, die sich verschiedener Medien bedienen, um ihre Macht zu sichern.

In dem Modul Medien der Normalisierung werden diese Kategorien als „der Aufklärung bedürftige Probleme” begriffen und anhand verschiedener Gegenstände (vom Pamphlet über den Experimentalfilm über den Grabstein zur Statistik) soll darüber nachgedacht werden, wie etwas „normal” wird und welche weitreichenden Konsequenzen diese Kategorisierung hat.