An der Fakultät Bau und Umwelt wirken viele Menschen. Ob Studium, Forschung, Lehre oder Verwaltung - jede*r von ihnen hat eine eigene Geschichte, die ihn oder sie mit Weimar verbindet. In unserer neuen Artikelserie porträtieren wir ihre Gedanken und Ideen in Form eines persönlichen Interviews. Den Anfang macht Juniorprofessorin Luise Göbel, welche die neu eingerichtete Professur Werkstoffmechanik leitet.
KURZ-VITA: Luise Göbel studierte Baustoffingenieurwissenschaft sowohl im Bachelor als auch im Master an der Bauhaus-Universität Weimar. Nach ihrem Studienabschluss promovierte sie erfolgreich im Rahmen des DFG-geförderten Graduiertenkollegs 1462 (»Modellqualitäten«) an der Bauhaus-Universität Weimar und forschte währenddessen auch mehrere Monate am Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen an der Technischen Universität Wien. Anschließend widmete sie sich als Postdoktorandin und Forschungskoordinatorin an der Materialforschungs- und -prüfanstalt Weimar verstärkt Themen in den Bereichen nachhaltiges Bauen und innovative experimentelle Methoden zur Charakterisierung von Baustoffen. Im Rahmen dieser Tätigkeit kooperierte sie dabei mit den Universitäten in Brüssel, Ghent und Leuven zu Forschungsfragen in Bezug zu zementfreien Betonen. Zum 01. April 2023 nahm sie einen Ruf als Juniorprofessorin (W1 mit Tenure Track) auf dem Gebiet »Werkstoffmechanik« an. Luise Göbel hat zwei kleine Kinder.
Von der Studentin zur Juniorprofessorin - Warum haben Sie sich für Ihre »Alma Mater« in Weimar entschieden? Worüber freuen Sie sich besonders?
Ich habe mich für die Bauhaus-Universität entschieden, weil sie zum einen einen sehr guten Ruf über die Landesgrenzen hinaus genießt und die Fakultät Bau- und Umweltingenieurwissenschaften aufgrund ihrer Größe, der hervorragenden technischen Ausstattung und der zukunftsträchtigen Visionen ein toller Ort der Lehre und Forschung ist.
Zum anderen hatte ich in den vergangenen 15 Jahren die Gelegenheit, die Uni aus verschiedenen Blickwinkeln kennen- und schätzen zu lernen: Angefangen bei einem Schülerpraktikum im F. A. Finger-Institut über das Studium der Baustoffingenieurwissenschaft, welches meine Mitstudierenden und ich erstmalig als eigenständigen Bachelorstudiengang wählen konnten, bis zu meiner Zeit als Doktorandin am Graduiertenkolleg habe ich viele Facetten der Universität erlebt. Ich freue mich nun, diese verschiedenen Perspektiven in meine Arbeit einzubringen.
»Baustoffingenieurwissenschaft« bzw. das Thema »Baustoffe und Sanierung« hat in Weimar eine lange Tradition: Was begeistert Sie an diesem Themengebiet?
Ich finde es spannend, dass man Absolvent*innen dieser Studienrichtung in den unterschiedlichsten technischen Unternehmen, Behörden und Forschungseinrichtungen antrifft. Das faszinierte mich bereits zu Studienbeginn, als wir Erstsemester wöchentliche Exkursionen zu baustoffherstellenden Betrieben gemacht haben und jedes Mal in eine andere Welt eingetaucht sind.
Heute begeistert mich vor allem, dass wir mit Blick auf die enormen Mengen an Baustoffen, die tagtäglich produziert und verbaut werden, an einem großen Hebel in die Richtung zu mehr Nachhaltigkeit sitzen. Zudem stößt man bei fast jedem Stadtspaziergang auf die Notwendigkeit für die Baustoffforschung. Sanierungsbedürftige Bauwerke, innovative Bauformen oder automatisierte Fertigungstechniken aufgrund des Fachkräftemangels, wir haben verschiedene Anknüpfungspunkte, für die Lösungen gebraucht werden. Außerdem ist es doch ein schöner Gedanke zu wissen, dass man Teil einer jahrzehntelangen, erfolgreichen Ausbildungs- und Forschungstradition ist.
Wo liegt Ihr Schwerpunkt in Forschung und Lehre?
In der Lehre geht es mir darum, den Studierenden zu vermitteln, dass die Eigenschaften der Werkstoffe, die wir sehen, berühren oder mechanisch charakterisieren können, durch ihren inneren Aufbau, ihre Mikrostruktur, bestimmt werden. Das umfassende Verständnis dieser Struktur-Eigenschafts-Beziehung bildet die Grundlage für die Entwicklung von neuen Materialien mit gewünschten Eigenschaften. Daher steht neben der theoretischen Wissensvermittlung für mich auch die praktische Untersuchung von Werkstoffen im Vordergrund. In der Forschung äußert sich dieser Schwerpunkt in einer skalenübergreifenden Abbildung, Charakterisierung und Modellierung der Werkstoffe. Das bedeutet beispielsweise, dass wir Beton nicht zuvorderst als grauen Klotz betrachten, sondern durch hochauflösende Messverfahren immer weiter in das Innere schauen und die kleinsten Bestandteile hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften charakterisieren möchten. Dies ermöglicht es dann im weiteren Verlauf, aus einer geplanten Mischungsrezeptur Vorhersagen über die gesamte Lebensdauer des Materials abzuleiten. Dabei kommen sogenannte Multiskalenmethoden zum Einsatz, die ich in der Lehre vorstellen und deren Anwendungen ich in der Forschung erweitern möchte.
Sie haben selbst an der Bauhaus-Universität Weimar studiert und promoviert: Was möchten Sie den Studierenden mitgeben? Was macht für Sie gute Lehre aus?
Ich möchte den Studierenden zum einen die Begeisterung für die Werkstoffmechanik mitgeben, deren Themen oft als trocken abgetan werden. Ich hoffe, dass mir das durch den Einsatz unterschiedlicher Lehrformate und digitaler Lehrmethoden gelingt. Zum anderen möchte ich die Inhalte der Lehre lebendig gestalten und neue Erkenntnisse aus unseren Forschungsaktivitäten einbinden oder Forschungskolleg*innen zu Vorstellungen und Diskussionen ihrer Arbeit einladen. Dadurch kann ich hoffentlich aufzeigen, dass die Studierenden in ihrem späteren Berufsleben an unterschiedlichen Stellen wirksam sein und auch Brücken zwischen verschiedenen Disziplinen bauen können. Es macht enorm viel Spaß, sich sowohl mit Experimenten und handwerklicher Arbeit zu beschäftigen als auch die theoretischen Aspekte von Werkstoffen computerbasiert abzubilden. Ich möchte den Studierenden beide Seiten näherbringen.
Was sind aus Ihrer Perspektive die größten Herausforderungen für das Bauwesen aktuell und in naher Zukunft?
Das größte Thema ist die Nachhaltigkeit, die die Schlagzeilen nicht nur in Fachzeitschriften bestimmt. Wegen des absehbaren Endes industrieller Prozesse stehen der Baubranche auf Dauer nicht mehr alle notwendigen Ausgangsmaterialien zur Verfügung. Hier gilt es, langfristig verfügbare alternative Ressourcen aufzutun. In der Baustoffindustrie betrifft dies zum Beispiel die Steinkohlenflugasche, den Hüttensand oder den REA-Gips, die aufgrund des Ausstiegs Deutschlands aus der Kohleverstromung oder der Umstellung der Stahlherstellung in wenigen Jahren nicht oder nur in geringen Mengen verfügbar sein werden. Bei alternativen Materialien werden oft Schwankungen in der Zusammensetzung und Qualität festgestellt, was sich in den Eigenschaften des Produktes äußern kann. Hier müssen in den nächsten Jahren auch Berechnungsvorschriften und Normen angepasst werden, um den geänderten Bedingungen Rechnung zu tragen.
Als junge Frau mit Familie sind Sie Vorbild für viele Nachwuchswissenschaftlerinnen: Was braucht es, um mehr Frauen für eine Karriere im Ingenieurwesen zu begeistern?
Es braucht zum einen sichtbare Vorbilder von Frauen in entsprechenden Führungspositionen, die zeigen, dass die Vereinbarkeit von Spitzenforschung und Familie möglich ist. Ich bin froh, dass ich mit Prof. Andrea Osburg seit vielen Jahren eine Mentorin an meiner Seite habe, die mir aus ihrer Sicht viele nützliche Hinweise geben und Erfahrungen schildern kann, die ihre Kollegen so wahrscheinlich gar nicht kennen. Ich hoffe, dass ich diese Rolle für Studentinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Zukunft auch einnehmen kann.
Natürlich müssen vor allem die Rahmenbedingungen stimmen. Dies betrifft zum einen das private Umfeld, das eine wichtige Säule dabei darstellt. Ebenso wichtig ist jedoch, dass sich Arbeitsbedingungen auch an persönliche Situationen anpassen können. Wir müssen weg von der Präsenzkultur, weg von dem Gedanken kommen, dass eine möglichst lange tägliche Verweildauer am Arbeitsplatz mit Qualität und Produktivität einhergeht. Junge Eltern sind es oft gewohnt, viele Dinge in kurzer Zeit effektiv zu erledigen. Auch Möglichkeiten der Teilzeit- und Telearbeit sind wichtig, um am Familienleben teilnehmen und flexibel auf unterschiedliche Betreuungssituationen reagieren zu können.
Und zusätzlich finde ich es nach wie vor wichtig, dass es explizite Förder- und Vernetzungsprogramme für Frauen im Ingenieurwesen gibt. Gerade in Branchen, die über Jahrzehnte männlich dominiert waren, bieten solche Möglichkeiten jungen Frauen Anreize, ihren Weg weiterzuverfolgen, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Es zeigt, dass sie gesehen und gebraucht werden.
Vielen Dank für das Interview!
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