Workshopreihe 2018/2019

Wohnungsforschung aus vier Jahrzehnten im Dialog – Bericht zum Workshop am 7. + 8. Juni 2018

Seit vielen Jahrzehnten wird der soziale Wohnungsbau als Instrument der Wohnungspolitik politisch heiß diskutiert. Seit ebenso langer Zeit setzt sich die Wissenschaft kritisch mit der sozialen Wohnraumversorgung in Deutschland auseinander. Diese wissenschaftliche Auseinandersetzung und ihre (fehlende) Einflussnahme auf die tatsächliche Ausgestaltung von Wohnungspolitik war der Ausgangspunkt des zweiten Workshops der Reihe "Wohnungsfrage(n) ohne Ende". Kontinuitäten und Brüche in der Wohnungsforschung seit den 1980er Jahren wurden von neun Referent/innen und Kommentator/innen untersucht, um eine aktuelle Perspektiven auf die Transformation des sozialen Wohnungsbaus als wohnungs- und stadtentwicklungspolitisches Instrument zu entwickeln.

Einen Überblick über diese Geschichte boten Barbara Schönig und Sebastian Schipper in einer abendlichen Lesung im Rahmen eines Wohnungssalon, der in Kooperation mit dem Projekt Drei Zimmer, Küche, Diele, Bad durchgeführt wurde. Die vorgetragenen Originalzitate zeitgenössischer Forschung aus vier Jahrzehnten und ihre Einordnung aus heutiger Sicht verdeutlichten, wie sehr sich die Fragen der Wohnungswissenschaftler_innen durch die Zeit gleichen – und sie führten zugleich vor Augen, wie wenig Einfluss ihre kritische Forschung faktisch auf Wohnungspolitik nahm. Das erklärten Schipper und Schönig bezugnehmend auf selbstreflexive Perspektiven der 1980er mit einem grundlegenden Konflikt zwischen einer in Ableitungsmarxismus und Anti-Reformismus verfangenen Wohnungsforschung, die sich im Laufe der 1980er Jahre in elaborierte begriffliche Debatten verstrickten, anstatt die konkrete neoliberale Transformation der Wohnungspolitik zu thematisieren. Nicht zuletzt dieser eigenverantwortlichen politischen Irrelevanz mag es zuzuschreiben sein, dass die theoretisch fundierte Wohnungsforschung, die soziale Fragen in das Zentrum stellte, in den 1990er Jahren weitgehend abriss. Aus dieser Analyse leiteten Schönig und Schipper den Bedarf einer kontinuierlichen und institutionell verankerten Wohnungsforschung ab, die verschiedene disziplinäre Zugriffe auf die Wohnungsfrage vereint.

Zu Beginn des Workshoptages skizzierte Barbara Schönig die Grundsätze einer solchen Wohnungsforschung in ihrem einführenden Vortrag. Es gilt den sozialen Wohnungsbau als Teil der Wohlfahrtsstaatsforschung zu etablieren und im Kontext der Transformation des Wohlfahrtsstaats zu betrachten. Dabei muss der soziale Wohnungsbau sowohl in seiner gesellschaftlichen Funktion und seiner institutionellen als auch in seiner baulich-räumlichen Form betrachtet werden.Tilman Harlander lieferte anschließend einen Überblick über die historische Entwicklung der sozialen Wohnraumversorgung – des sozialen Wohnungsbaus und der sozialorientierten kommunalen Wohnungspolitik – in Deutschland seit den 1920er Jahren. Nach dem Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau in den 1970er Jahren in der BRD, "rekommunalisierte" sich die Wohnungspolitik. Statt großer Stadterweiterungsprojekte stand der innovative Umgang der Kommunen mit Instrumenten der Bestandpolitik im Mittelpunkt. Mit diesen wohnungspolitischen Steuerungsinstrumenten waren die Kommunen gegen die neoliberale Ökonomisierung der Stadtentwicklungspolitik und dem zunehmenden finanzmarktgetriebenen Immobilienboom in den 2000er Jahren aber nur schlecht gewappnet. Moritz Rinn betonte in seiner Kommentierung, dass der soziale Wohnungsbau selten der Versorgung der untersten Einkommensschichten gedient habe und plädierte für eine Betrachtung der spezifischen, in Wohnungsbauförderung eingeschriebenen Ausschließungsmechanismen und eine Forschung, die sich diese Gruppen und ihre Wohnstrategien in den Blick nimmt.

Björn Egner fokussierte in seinem Vortrag ebenfalls die Rolle der kommunalen Wohnungspolitik bei der Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus. Er zeigte auf, wie die systematische Dethematisierung der Wohnungsfrage ab den späten 1980er Jahren in der Benennung von Bundesministerien, in Ausschüssen und den Sprecher/innenrollen der Parteien den Tod der Wohnungspolitik in Deutschland herbeiführte. Wohnungspolitische Impulse gehen daher nur noch von den Kommunen aus. Egner warf die Frage auf, ob es am fehlenden Willen oder an mangelnden Finanzen liegt, dass auch die Kommunen den jüngsten Mietsteigerungen nicht entgegen steuern können. Sebastian Schipper wies in seiner Kommentierung darauf hin, dass kommunale wohnungspolitische Innovationen in den meisten Fällen nicht von der Verwaltung ausgehe, sondern in städtischen sozialen Bewegungen entwickelt werden und, dass der Bund und die Länder trotz des "Tods der Wohnungspolitik" nicht aus der Verantwortung entlassen werden dürfen.

Arnt von Bodelschwingh beschrieb dagegen aktuell eine Wiederbelebung der sozialen Wohnraumförderung auch auf Bundesebene. Die Förderung von Eigentumsbildung diskutierte er dabei kritisch. Bodelschwingh analysierte außerdem, dass es – entgegen der Argumentation vieler privater Bauherren und auch mancher Politiker/innen – durchaus rentierlich sei, sozialen Wohnungsbau zu erstellen, wenn auch weniger Rendite als durch frei finanzierten Wohnungsbau erzielt werden könne. Durch eine zielgenaue Förderung und eine effektive Einbindung der Kommunen, könnten Mitnahmeeffekte und Fehlallokationen vermieden werden. Lisa Vollmer wies in ihrer Kommentierung darauf hin, dass eine Möglichkeit den sozialen Wohnungsbau durch Private anzukurbeln wäre, die angesprochene höhere Attraktivität des freifinanzierten Wohnungsbaus zu verringern. Der Flickenteppich der kommunalen Steuerungsexperimente ergebe noch keine soziale Wohnungspolitik, sondern müsste durch eine zentralisierte Steuerung wie die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit begleitet werden.

Im letzten Vortrag nahm Daniela Zupan schließlich die städtebauliche Perspektive ein und berichtete über die Wechselwirkungen zwischen städtebaulichem Leitbildwechsel und wohnungspolitischem Wandel am Beispiel des sozialen Wohnungsbaus. Im Vergleich zwischen West-Deutschland und Österreich konnte sie zeigen, dass sich der Leitbildwechsel von der Siedlung der Moderne zum kompakten mischgenutzten Quartier in beiden Ländern ähnlich vollzog, obwohl sich die wohnungspolitischen Ansätze im gleichen Zeitraum auseinanderentwickelten. Die Kritik am fordistischen Massenwohnungsbau und der daraus resultierende Leitbildwechsel müssen als politische Aushandlungsprozesse verstanden werden, in denen übergeordnete gesellschaftliche Konflikte ausgetragen wurden. Eine massive Abwertung des modernen Städtebaus und die Stigmatisierung, die "Großwohnsiedlungen" in Deutschland erfahren haben, sind in Österreich nicht zu beobachten. Dort bezieht man sich auch heute noch positiv auf die Moderne und hat weniger Scheu, große Stadterweiterungsgebiete zu realisieren. Arvid Krüger wies in seiner Kommentierung darauf hin, dass die Abwertung von Wohnsiedlungen der Moderne in West-Deutschland nach der Wiedervereinigung u.a. den Boden bereitet habe für eine Wohnungspolitik in den ostdeutschen Bundesländern, die vor allem zum Abriss der Großwohnsiedlungen führte.

In der abschließenden Diskussion waren sich die Teilnehmenden weitgehend einig, dass es dringend einer institutionell verankerten, interdisziplinären, historisch fundierten und international vergleichenden Wohnungsforschung in Deutschland bedarf, die sowohl eine gesellschaftstheoretische Fundierung hat, als auch reiche empirische Studien durchführen kann.

Bericht: Lisa Vollmer