Workshopreihe 2018/2019

Wohnungsfrage(n) ohne Ende – Bericht zum interdisziplinären Doktorand/innenkolloquium am 5. + 6. Juli 2018

Die Wohnungsfrage ist wieder ein beliebter Gegenstand der Forschung. Diesen Eindruck konnte man zumindest auf dem interdisziplinären Doktorand/innenkolloquium in Weimar gewinnen. 15 Nachwuchswissenschaftler/innen aus verschiedenen institutionellen Kontexten und mit unterschiedlichen disziplinären Ausrichtungen stellten ihre Promotionsprojekte aus dem Feld der Wohnungsforschung vor. Sechs Kommentator/innen und die Gruppe der Promovierenden diskutierten die präsentierten Forschungsfragen, Zugänge und Ergebnisse.

Die Kommentator/innen repräsentierten dabei den von der Weimarer Wohnungsforschung angestrebten interdisziplinären Zugang: Ingrid Breckner (HCU Hamburg) vertrat die Perspektive der Wohnsoziologie und der Stadtforschung; Monika Grubbauer (HCU Hamburg) die der Architektur und Planung; Andrej Holm (HU Berlin) brachte sozialwissenschaftliche Sichtweisen ein; Justin Kadi (TU Wien) diejenigen der interdisziplinären urban studies; Sebastian Schipper (Goethe-Universität Frankfurt/Main) vertrat die geographische Perspektive; und Barbara Schönig (Bauhaus-Universität Weimar) schließlich die Planungswissenschaften. So entspann sich eine lebhafte und konstruktive Debatte über die einzelnen Forschungsvorhaben und die Wohnungsforschung im Allgemeinen.

In vier lose thematisch geordneten Paneln präsentierten jeweils drei bis vier Promovierende ihre Projekte. Im Panel „Gemeinschaftlicher Wohnungsbau“ fragte Carsten Praum nach der Rolle unterschiedlicher Träger des gemeinschaftlichen Wohnungsbaus im Rahmen der sozialen Wohnraumversorgung. Joscha Metzger problematisierte am Beispiel von Bestandsgenossenschaften das Spannungsfeld von sozialem Wohnen und unternehmerischer Stadt. Und Isabelle Willnauer stellte ihr Vorhaben zu gemeinwohlorientierten Wohnbaustrategien vor, in dem Kooperationen zwischen Kommunen und zivilgesellschaftlichen Akteuren reflektiert werden sollen. Im Panel „Wohnen und Wohlfahrtstaat“ stellte Cilia Lichtenberg das Erbbaurecht als Instrument der sozialgerechten Wohnraumversorgung vor. Saskia Gränitz präsentierte ihre qualitative Untersuchung der Umgangsstrategien und Deutungsmuster von Wohnungslosigkeit Bedrohter. Und Sabine Lutz stellte ihre Vorhaben zur Diskussion, die wohnungspolitischen Instrumente Wiens, Berlins und Amsterdams zu vergleichen.

Am nächsten Tag brachte das Panel „Soziale Bewegungen und Partizipation“ vier Forscher/innen zusammen. Inga Jensen referierte über Möglichkeiten der Rekommunalisierung der Wohnraumversorgung. Eike Bülow stellte sein Projekt zur Fragestellung vor, wie stadtpolitische Bewegungen Einfluss auf institutionelle Wohnungspolitik im postpolitischen Kontexts Leipzigs nehmen können. Swenja Hoschek präsentierte ihre historische Arbeit zur politischen Partizipation in der Entwicklung von Großwohnsiedlungen in den 1970er Jahren. Michael Steier gab Einblick in seine Erhebung zum Einfluss von Bürgerinitiativen auf die Wohnraumversorgung in NRW. Im Panel „Wohnungsunternehmen“ stellte Yuca Meubrink ihre Analyse zu ungleichen Geographien von Wohnungsunternehmen vor. Niloufar Tajeri beleuchtete das Wohnen im Pallasseum in Berlin, Schöneberg. Ausgehend vom Theorem der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation diskutierte Eva Kuschinski, wie die Wohnung als Ort der Reproduktion als doppelt vergesellschaftet und das Grundbedürfnis Wohnen als überausbeutbar gedacht werden können. Nicht anwesend sein konnte leider Antonia Krahl, um ihre Promotion zur Beteiligung privater Wohnungsunternehmen an der Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums vorzustellen.

In der Zusammenschau ergaben sich nicht nur 15 spannende Einzelprojekte, sondern auch viele geteilte Forschungsinteressen und -perspektiven. So fiel auf, dass viele der Promotionen ihre Motivation aus den aktuell zu beobachtenden Verdrängungsprozessen in Städten, aus den Auswirkungen der privat betriebenen Stadtentwicklung ziehen und teilweise an konkreten Lösungsstrategien der daraus folgenden Probleme interessiert sind. Methodisch griffen viele der Arbeiten auf Vergleiche oder Fallstudien zurück, viele waren von einer historischen Perspektive informiert. Zugleich fiel auf, dass die verschütteten Debatten der Wohnungsforschung vergangener Jahrzehnte kaum bekannt sind, und dass Theoriebildung erst wieder erarbeitet werden muss (vgl. Bericht Workshop 2). Es fehlt an gemeinsam geteilten Systematisierungen, zum Beispiel wohnungspolitischer Instrumente, einer Zeitphaseneinteilung der Wohnungspolitik, wohlfahrtstaatlich geprägter Wohnungsregime im internationalen Vergleich oder theoretischer Zugänge. Internationale, theoretische Debatten werden kaum wahrgenommen und der Spagat zwischen Theoriebildung und Anwendungsbezug ist eine ernstzunehmende Herausforderung.

Aus diesem Grund hat das Kolloquium beschlossen, die Vernetzung der deutschsprachigen Wohnungsforschung weiter voranzutreiben und erste Pläne dazu geschmiedet – von der Erstellung einer interdisziplinären Must-Read-Liste über Sommerschulen bis zu einer Mailingliste. Wer Interesse hat, Teil dieses Netzwerkes zu werden, kann sich an lisa.vollmer[at]uni-weimar.de wenden.

Bericht: Lisa Vollmer