Buchenwald in Weimar

Verflechtungen des Konzentrationslagers mit Weimar und Umgebung

Kartierung M 1:20.000
Kartierung M 1:15.000
Kartierung M 1:50.000

Zwischen dem Konzentrationslager Buchenwald und Institutionen, Firmen und Privatpersonen im etwa sieben Kilometer entfernten Weimar existierten seit dem Aufbau des Lagers ab Sommer 1937 bis zur Befreiung im April 1945 vielfältige Be­ziehungen. Im April 1938 wurde das Lager nach Weimar eingemeindet und somit zu einem Stadtteil. Bislang war noch wenig über die baulich-räumlichen Auswirkungen dieser Beziehungen auf die "Klassikerstadt" und das Weimarer Land bekannt.
Neben der "SS-Führersiedlung II", die ab 1938 in vier Kilometer Entfernung vom Lager für SS-Angehörige und deren Familien entstand, reichten vor allem Bauwerke und Anlagen der Wasser- und Stromversorgung, Straßen und Gleisanlagen weit ins Umland und sind heute teils noch vorhanden. Auch Außenlager Buchenwalds, die sich unter anderem in Weimar, Berlstedt, Kranichfeld und bei Tonndorf befanden, sind heute zumindest in Spuren noch nachweisbar.
Ab 1941 wurden Gefangene des KZ Buchenwald an Weimarer Behörden und Fir­men "vermietet". In Rahmen dessen arbeiteten sie beim Aufbau von Straßen, errich­teten Gebäude für den Staat sowie die Stadtgemeinde und waren an der Entstehung ganzer Siedlungen und Baukomplexe, wie beispielsweise dem Gauforum, beteiligt. Auch der Aufbau der "Buchenwaldbahn", deren Trasse vom Weimarer Norden über einige Dörfer bis nach Buchenwald verlief, musste maßgeblich von KZ-Gefangenen geleistet werden. Sie wurden zudem in Weimarer Unternehmen, wie beispielsweise dem Rüstungskonzern Gustloffwerke eingesetzt und an der Errichtung der dortigen Werkhallen beteiligt.
Ein weiterer Aspekt sind Gebäude, Bauteile und Materialien, die ab 1950 in Buchen­wald abgetragen und in Weimar und Umgebung wiederaufgebaut wurden, wie etwa translozierte Baracken oder Trümmersteine, die unter anderem bei der Errichtung von Kirchen verwendet wurden. Zur 'Nachgeschichte' des Themas gehören zudem die zahlreichen Zeichen der Erinnerung, die seit 1945 errichtet wurden.
Die Spuren des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald und an sie erinnernde Stätten in Weimar und Umgebung wurden bisher keineswegs systematisch erfasst. Folglich war die Frage, ob und wie die Stadt Weimar und ihre Umgebung durch Objekte im Kontext des ehemaligen Lagers eine räumlich-gegenständliche und/oder erinnerungskulturelle Prägung erfahren hat, noch nicht beantwortet. Ziel des Se­mesterprojektes war es, einen Beitrag zur wissenschaftlichen Erforschung zu liefern sowie erste Ansätze für die Nutzung der Ergebnisse im Rahmen von Denkmalpflege, Geschichtsvermittlung, Pädagogik und künstlerischer Praxis aufzuzeigen.
Besonderer Dank gilt an dieser Stelle der Künstlerin und Denkmalpflegerin Anke Binnewerg, welche die Aufgabenstellung - aufbauend auf ihrer umfassenden Kennt­nis der Baugeschichte des KZ Buchenwald - maßgeblich erarbeitet und sich in der Projektdurchführung intensiv beteiligt hat. Unter anderem hat sie die in der Litera­tur und vor allem in Archivalien sehr verstreut vorhandenen Hinweise auf projek­trelevante Objekte zusammengetragen sowie Verbindungen zu den Partner-Institu­tionen, zu Wissenschaftler*innen und Heimatforscher*innen hergestellt.

Aufgabe und Bearbeitung

Die Aufgabenstellung war zweistufig angelegt. In der ersten - zeitlich deutlich do­minierenden - Arbeitsphase sollten die baulichen Anlagen, Gebäude, Bauteile und Orte, die im Zusammenhang mit dem KZ Buchenwald stehen, recherchiert und dokumentiert werden. Als Einführung in die Thematik dienten zwei Seminartage in der Gedenkstätte Buchenwald sowie eine zweitägige Exkursion. In Oranienburg informierten sich die Studierenden über die städtischen Verflechtungen des ehema­ligen Konzentrationslagers Sachsenhausen, wobei sie von dem Historiker Frederic Bonnesoeur begleitet wurden. Der zweite Exkursionstag diente der Einführung in die Methode der Historischen Bauforschung. Am Standort des ehemaligen Au­ßenlagers Falkensee des KZ Sachsenhausen erhielten die Studierenden durch die Bauforscherin Barbara Schulz Einblick in die Zeithistorische Bauforschung, deren Spezifik in der Auswertung verschiedener schriftlicher sowie bildlicher Quellen und deren Abgleich mit dem erhaltenen Baubestand besteht. Anschließend folgte eine Übung in der Kartierung von Barackengrundrissen - eine Methode, die teilweise auf die Untersuchungsobjekte des Projektes übertragen werden konnte.
Die so gewonnenen Erkenntnisse wurden kombiniert mit den Ergebnissen der Aus­wertung schriftlicher, bildlicher und mündlicher Quellen. Dies wiederum erforderte grundlegende Unterweisungen der Studierenden über geschichtswissenschaftliche Arbeiten sowie dessen mögliche Zielstellungen und Methoden. Im Rahmen dieses Projekts eigneten sich die Teilnehmer*innen entscheidende Kompetenzen in der Archivarbeit und im Umgang mit Aktenmaterial sowie historischem Bildmaterial an. Besonders wichtig für die mühsame Spurensuche waren das Archiv der Gedenk­stätte Buchenwald, das Stadtarchiv Weimar und das Thüringer Hauptstaatsarchiv Weimar, deren Mitarbeiter*innen diese Recherche dankenswerterweise außeror­dentlich engagiert unterstützten. Zudem erschlossen die Studierenden eigenständig weitere Informationsquellen in Vereinen, Kirchgemeinden und städtischen Versor­gungsbetrieben.
Die Arbeit erfolgte in mehreren Gruppen, die sich mit jeweils einer der fünf Ob­jektgattungen beschäftigten, welche zuvor von der Professur Denkmalpflege und Baugeschichte vorstrukturiert worden waren und die sich als tragfähige Gliederung erwiesen (siehe Katalogteil ab S. 174). Die Studierenden spürten außerdem zusätz­lich relevante Objekte auf und fügten diese in den Katalog ein.
Die Katalogeinträge dokumentieren erstmals die entsprechenden Gegenstände und Orte - von nur noch topografisch lesbaren ehemaligen Lagerstandorten und Kleinbahntrassen, über translozierte Gebäudeteile bis hin zur exponierten Memo­rialgestaltung. Grafische und fotografische Darstellungen ergänzen die jeweiligen Objekttexte, wobei Einheitlichkeit angestrebt wurde, wenngleich die große Vielfalt der Objekte dies nur in einem gewissen Rahmen zuließ. Inhaltlich stand die Ana­lyse sowohl des jeweiligen historischen als auch aktuellen Kontexts im Mittelpunkt. Interessant erschienen beispielsweise die Fragen: Wie stellt sich die Bau- und Nut­zungsgeschichte des Gebäudes bzw. der Anlage dar, wie der aktuelle Zustand und die städtebauliche Verfasstheit? Welcher Bezug bestand zum ehemaligen Konzentrati­onslager Buchenwald und inwiefern ist dieser Kontext heute noch nachvollziehbar?
Zum Wesen historiografischer Arbeit gehört selbstverständlich, dass Vermutun­gen und Anekdoten um die Herkunft des einen oder anderen Reliktes aus dem KZ Buchenwald sich nicht belegen ließen. Sofern sie aber nicht sicher ausgeschlossen werden konnten, wurden die jeweiligen Objekte im Katalog aufgeführt, um zu einer weiterführenden Recherche anzuregen.
Während am Ende der ersten Arbeitsphase verstärkt ein Ordnen und Strukturie­ren der Rechercheergebnisse erfolgte, wurde in der zweiten Phase des Projekts ein Perspektivenwechsel vollzogen: Nun wurden Fragen der Wertung, Einordnung und möglicher Schlussfolgerungen gestellt: Was bedeuten die Ergebnisse der historiogra­fischen Arbeit? Und, was kann man mit den Ergebnissen tun?
Um sich diesen Fragen adäquat stellen zu können erschien die Beschäftigung mit Tendenzen und Formen der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit wichtig. Diese geht selbstverständlich weit über die Diszip­lin der Denkmalpflege hinaus und verlangte nach einer notwendigen seminaristi­schen Beschäftigung mit den Konzepten der Geschichtsdidaktik, der Narration, der bildenden Kunst und der historischen Topografie. Für die Studierenden ergab sich hieraus ein schlüssiger Rahmen und Impuls für die Erarbeitung eigener konzeptio­neller Ansätze, welche das Projekt zum Ende hin abrundeten.
Diese weiterführenden Ideen können zwangsläufig nur exemplarisch verstanden werden. Obwohl das Material-Konvolut der vorausgegangenen Recherche nur ausschnitthaft aktiviert wurde, gelang es den Studierenden, die grundsätzliche er­innerungskulturelle und stadtpolitische Relevanz des Themas in einer großen Brei­te aufzuzeigen. Die Lehrenden des Projektes wünschen sich, dass die studentische Arbeit von Anderen wahrgenommen und genutzt werden wird. Die vorliegende Dokumentation birgt ein großes Potential, weit über denkmalpflegerische Fragen hinausgehend.

Dank

Ein herzlicher Dank gilt unseren Kooperationspartner*innen der Stiftung Gedenk­stätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, insbesondere Herrn Rikola-Gunnar Lütt­genau, sowie dem Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, insbesondere Herrn Landeskonservator Holger Reinhardt und Herrn Dr. Rainer Müller.
Für die Hilfe bei den Recherchen und die Zurverfügungstellung umfangreicher Archivalien und Materialien gebührt unser herzlicher Dank den Leiter*innen und Mitarbeiter*innen der Weimarer Archive und Sammlungen, Frau Sabine Stein, Herr Dr. Frank Boblenz und Herr Dr. Jens Riederer, den Mitarbeiter*innen von Behörden und städtischen Versorgungsbetrieben sowie insbesondere auch den zahlreichen heimatkundlich arbeitenden Einzelpersonen und Vereinen, welche die Studieren­den uneigennützig unterstützten. Nicht zuletzt danken wir den 23 Studierenden der Urbanistik und zwei Studierenden der Architektur selbst, die das Semesterprojekt bearbeiteten. Die Zusammenarbeit mit ihnen war äußerst anregend und spannend.

Im Namen der Professur
Dr. - Ing. Mark Escherich

 

Die offizielle Print-Abgabe ist beim Lehrstuhl im Raum A 111 auf Nachfrage einzusehen.