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Published: 14 May 2019

Prof. Dr. Hermann Wirth (27.6.1940-23.4.2019)

Mit dem am 23. April 2019 in Potsdam verstorbenen Hermann Wirth, der 1992–2005 Professor für Bauaufnahme und Baudenkmalpflege an der Hochschule für Architektur und Bauwesen bzw. der Bauhaus-Universität Weimar war, verliert die akademische Denkmalpflege eine profilierte Persönlichkeit und einen ihrer eigensinnigsten und streitbarsten Vertreter.

Im Juni 1940 in Potsdam geboren und in den Trümmern der kriegszerstörten Stadt aufgewachsen, lernte Hermann Wirth zuerst Betonfacharbeiter, bevor er 1960 nach Weimar zog, um an der Hochschule für Architektur und Bauwesen auf Betreiben seines Vaters, der ein handwerkliches Baugeschäft führte, Bauingenieurwesen zu studieren. Ein halbjähriges archäologisches Praktikum auf der bedeutenden Grabung der ottonischen Kaiserpfalz Tilleda machte ihn mit den Methoden der archäologischen Bauforschung vertraut, erlaubte ihm seine herausragenden zeichnerischen Fähigkeiten wissenschaftlich einzusetzen und führte in der Folge auch zur ersten seiner – nach eigener akribischer Zählung – 228 Publikationen.

Nach dem Studienabschluss zum Diplomingenieur trat Wirth eine Aspirantur am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Fakultät Architektur an, die zukünftig sein Arbeitsort und seine akademische Heimat bilden sollte. Mit Herrmann Weidhaas traf Wirth dort auf einen Lehrstuhlinhaber, der sowohl seine Dissertation – 1976 zu Historischen Faktoren in der baulich-räumlichen Planung – als auch seine Habilitation (Promotion B zum Dr. sc.phil., 1992 umgewandelt zum Dr. phil. habil.) thematisch entscheidend prägte.

Seit 1980 war Wirth vorerst als Oberassistent, nach der Wende und seiner Berufung 1992 dann als Universitätsprofessor Leiter des Lehrgebiets Denkmalpflege an der HAB. Für ihn bedeutete das über die Denkmaltheorie hinaus stets auch praktisches Eingreifen – auch und gerade unter den schwierigen Bedingungen in der DDR, deren Restriktionen er sich, so gut es ging, widersetzte. So brachte er schon Ende 1981 mit Studierenden des dritten Studienjahres Denkmalpflege-Plaketten zur Kennzeichnung von gefährdeten Baudenkmalen an, unter anderem an der Ruine des Weimarer Neuen Museums, dessen Rettung wesentlich seinem Engagement zu verdanken ist. Ungezählt sind die Bauten und Anlagen, die er durch die zu seiner Zeit im Architekturstudium noch obligatorische Bauaufnahme dokumentieren ließ. Bald nach der sog. Wende weitete er – eingeladen vom Centre international d’Etudes des Patrimoines culturels du Charolais-Brionnais – das Feld für Bauaufnahmen aus auf das Burgund, wo er mit seinen Studierenden und Mitarbeiter*innen zwischen 1994 und 2006 bedeutende, aber auch zahlreiche unbekannte romanische Kirchen vermessen und dokumentieren ließ. Die Planaufnahme begleitete er dabei wie auf all seinen Reisen mit seinen Freihandzeichnungen, denen schon 1992 im Hauptgebäude der Universität die Ausstellung „Hermann Wirth – Denkmalskizzen“ gewidmet gewesen war. 

Von seinen Schülerinnen und Schülern und insbesondere seinen „Doktorkindern“ bewundert, von seinen Kolleginnen und Kollegen geschätzt, gelegentlich ob seines zuweilen skurrilen Eigensinns auch belächelt, achteten alle seine Bildung und Belesenheit, sein unbändiges Engagement und seine absolute Unbestechlichkeit. Prägnant war seine zuweilen zum Pedantischen neigende Leidenschaft für sprachliche Präzision und Differenzierung, so dass nicht zufällig ein „Lexikon der Denkmalpflege“ (Altenburg 2016) seine letzte Buchpublikation geworden ist. Stupend war sein am raschen Zeichnen geschultes visuelles Gedächtnis.

An der Bauhaus-Universität war Hermann Wirth langjähriger Vorsitzender der Graduierungskommission; lange auch vertrat er die Hochschule engagiert im Thüringer Landesdenkmalrat. Außerhalb der Uni war er in verschiedenen Fachgremien tätig, über lange Jahre und fast bis zuletzt etwa in der Redaktion der Zeitschrift Burgen & Schlösser oder in der Gesellschaft zur Erforschung der Salzgeschichte e.V. Letzteres war ein Thema, auf das Wirth schon im Studium gestoßen war, als er während seines Grabungspraktikums in Bad Frankenhausen wohnte und dabei auf die Saline aufmerksam wurde. Das daraus resultierende technikgeschichtliche Interesse ließ ihn – etwas im Schatten der beiden anderen W’s (Otfried Wagenbrecht und Eberhard Wächtler) – zu einem Pionier der Forschung zu technischen Denkmalen in der DDR werden.

Ein bleibender Platz in der Geschichte der Denkmalpflege ist Hermann Wirths 1985 als Habilitationsschrift verfasste Axiologie gewiss, seinem Beitrag zur Wertung und Bewertung der baulich räumlichen Umwelt (1986 als Hochschulschrift, 1996 dann als Buchpublikation erschienen, inzwischen online: asw-verlage.de/getmedia.php/_media/201407/11417v0-orig.pdf). Mit einem guten Dutzend einander in unterschiedlicher Weise auf drei Ebenen relational zugeordneten Wertbegriffen unternimmt die Wirthsche Axiologie erstmals seit Alois Riegls fundamentaler Schrift von 1903 einen Versuch der Systematisierung denkmalrelevanter Werte. Auch wenn man Wirths Schematik nicht in allen Punkten folgen mag, stellt seine Schrift einen vielleicht heute besser als zur Entstehungszeit zu würdigenden frühen Beitrag zu der für die Theorie und Methodik der Denkmalpflege in jüngerer Zeit ganz wesentlichen Wertedebatte dar.

So gedenken wir eines immer anregenden, unermüdlichen, oft sperrigen und gerade dadurch unvergesslichen Kollegen.

 

Hans-Rudolf Meier