DER KOSOVO-KONFLIKT: HISTORISCHE WURZELN UND PERSPEKTIVEN

von WOLFGANG HOEPKEN, Professor fuer ost- und suedeuropaeische Geschichte an der Universitaet Leipzig

1912 – 1945: SERBIEN EROBERT KOSOVO
IM ZWEITEN WELTKRIEG VEREINIGUNG MIT ALBANIEN

NACHKRIEGS-JUGOSLAWIEN: MEHR RECHTE FUER KOSOVO – UND NEUE REPRESSIONEN

TITO AENDERT SEINENKURS: AUTONOMIE FUER KOSOVO, ABWANDERUNG VON SERBEN

UNRUHEN IM KOSOVO NACH TITOS TOD UND DIE AUFHEBUNG DER AUTONOMIE 1989

DER WESTEN, MILOSEVIC UND DIE ZUKUNFT DES KOSOVO

1912 – 1945: SERBIEN EROBERT KOSOVO
IM ZWEITEN WELTKRIEG VEREINIGUNG MIT ALBANIEN

Der Konflikt um das Kosovo ist aelter als die Politik eines Slobodan Milosevic. Im Grunde genommen gelang es zu keiner Zeit, die Region und seine albanische Bevoelkerung in einen serbischen bzw. jugoslawischen zu integrieren und die Beziehungen zwischen Serben und Albanern dauerhaft zu stabilisieren. Welche Strategie man auch waehlte, sie weckte entweder den Widerstand der albanischen Bevoelkerung oder aber den Unmut der dortigen serbischen Minderheit und der serbischen Oeffentlichkeit. 1912 hatte Serbien das Gebiet im Balkan-Krieg vom zerfallenen Osmanischen Reich erobert. Die Grossmaechte nahmen dies hin und verzichteten darauf, das bereits damals ueberwiegend albanisch besiedelte Kosovo dem 1913 auf der Londoner Konferenz ins Leben gerufenen albanischen Staat zuzugestehen. Die Frage des Kosovo wurde damit zu einer Frage der albanischen Minderheit in einem serbischen bzw. ab 1918 jugoslawischen Staat.

Fuer Serbien bedeutete dieEroberung des Kosovo 1912 die Rueckgewinnnung eines Gebietes, das im Mittelalter den Kern des serbischen Staates und der serbischen Kirche gebildet hatte. Gegen die ethnischen Realitaeten wurde das Kosovo daher als serbisches Territorium angesehen, in dem es serbische Vorherrschaft zu sichern bzw. durchzusetzen galt. Mit einer massiven Kolonialisierung, durch eine oftmals mittels staatlichen Druck beguenstigte Auswanderung von Albanern in die Tuerkei, auch durch Versuche der Assimilierung suchte man daher in der Zwischenkriegszeit die ethnischen Realitaeten, die sich in den Jahrhunderten der osmanischen Herrschaft durch albanische Zuwanderung und serbische Abwanderung immer mehr zugunsten der Albaner veraendert hatten, wieder zugunsten der serbischen Bevoelkerung zu veraendern.

Selbst Plaene fuer eine Massenvertreibung der Albaner, jenen nicht unaehnlich, die heute realisiert werden, wurden in den 1930er Jahren in nationalistischen Kreisen bereits diskutiert, wenn sie auch nicht umgesetzt wurden. Den Albanern wurden zwar politische Rechte zugestanden, sie konnten waehlen und Parteien bilden; schon hinsichtlich der kulturellen und bildungsmaessigen Rechte jedoch blieb Jugoslawien weiter hinter den Verpflichtungen des Voelkerbundes zurueck, zu denen es sich im Minderheitenschutzvertrag von 1919 verpflichtet hatte. Politisch, kulturell und sozial blieben die Albaner Buerger zweiter Klasse, auch gewaltsame Konflikte zwischen serbischer Armee und albanischen Untergrundgruppen gehoerten bereits damals zum Alltag. Es nimmt nicht wunder, dass die Albaner das Koenigreich Jugoslawien zwischen 1918 und 1941 nicht als ihren Staat, sondern als Kolonialherrschaft empfanden. Die italienische Herrschaft die dem Ueberfall auf Jugoslawien und die Zerschlagung des Staates 1941 folgte, erschien demgegenueber in den Augen vieler Kosovo-Albaner nicht als fremde Besatzung, vereinigte sie doch erstmals seit der osmanischen Herrschaft wieder das Kosovo mit Albanien, wenn auch unter der Vormundschaft eines faschistischen Staates.

Titos Partisanen waren im Kriege mit dem Anspruch angetreten, auch in der nationalen Frage, an der das alte Jugoslawien - nicht nur im Kosovo - letztendlich gescheitert war, neue Wege zu gehen. Was dabei aus dem Kosovo werden sollte, war zunaechst durchaus unklar. Albanische und Kosovo-albanische Partisanen vereinbarten 1943 die Vereinigung Albaniens mit dem Kosovo fuer die Zeit nach dem Ende des Krieges; die jugoslawischen Partisanenfuehrung hob diesen Beschluss freilich auf.

 

NACHKRIEGS-JUGOSLAWIEN: MEHR RECHTE FUER KOSOVO – UND NEUE REPRESSIONEN

Auch fuer Tito kam eine Abtretung des Kosovo nicht in Frage. Eine Zeitlang scheint er darauf gehofft zu haben, der strittigen Kosovo-Frage durch die Idee einer staatlichen Vereinigung Jugoslawiens mit Albanien (und evtl. Bulgariens) in einer Balkan-Foederation die Spitze zu nehmen. Der sowjetisch-jugoslawische Bruch 1948, in dem sich Albanien an die Seite Moskaus stellte, machte solche Plaene jedoch zunichte, bevor sie Gestalt annehmen konnten. Auch das sozialistische Jugoslawien musste daher nach einer Loesung fuer das Kosovo zu suchen. Das Jugoslawien Titos brachte fuer die Albaner dabei zunaechst zwar kulturelle Verbesserungen. Politisch jedoch aenderte sich an ihrem Status der Zweitrangigkeit nichts. Anders als im Koenigreich Jugoslawien waren sie jetzt zwar erstmals als ethnische Minderheit anerkannt, Schulen, Zeitungen, kulturelle Einrichtungen in albanischer Sprache wurden geschaffen. Politisch jedoch dominierte in den ersten zwei Jahrzehnten nach Kriegsende die serbische Minderheit in der Provinz. Sie hielt alle Machthebel in der Hand. Die (serbisch dominierte) jugoslawische Geheimpolizei uebte ein strenges Regiment ueber die albanische Bevoelkerung aus, der man - nicht zuletzt angesichts chronisch angespannter Beziehungen zum Nachbarland Albanien – zutiefst misstraute.

Noch Jahre nach Kriegsende herrschte in der Provinz ein Zustand der Labilitaet und auch die fuenfiziger Jahre waren nicht frei von offenen Zusammenstoessen. Fuer die Albaner des Kosovo war somit auch das sozialistische Jugoslawien zunaechst nicht wesentlich attraktiver als das alte monarchistische; beide Staaten erlebten sie im wesentlichen als serbische Dominanz.

 

TITO AENDERT SEINENKURS: AUTONOMIE FUER KOSOVO, ABWANDERUNG VON SERBEN

Eine Aenderung und damit die erstmalige Chance den Albanern Jugoslawien als Heimatstaat naeherzubringen, ergab sich erst in der zweiten Haelfte der 1960er Jahre. Innerhalb der jugoslawischen Kommunistischen Partei hatte sich - gegen serbischen Widerstand – eine Koalition meist juengerer Funktionaere (vor allem aus Slowenien, Kroatien und Mazedonien) durchgesetzt, die auf eine Kehrtwendung in der nationalen Frage draengte. Sie forderte einen Abbau des immer noch bestimmenden Zentralismus und mehr Autonomie fuer dieTeilrepubliken. Tito schlug sich auf die Seite dieses Fluegels und ebnete damit dem Kurswechsel in der Nationalitaetenpolitik den Weg. Die Entmachtung des zweiten Mannes hinter Tito, Aleksandar Rankovic, der als langjaehriger Verantwortlicher des Geheimdienstes auch fuer die Politik der Unterduerckung im Kosovo verantwortlich gewesen war, symbolisierte 1966 diesen nationalitaetenpolitischen Wechsel. Im Ergebnis wurde im folgenden Jahrzehnt das foederative Geruest Jugoslawiens einer tiefgreifenden Reform unterzogen, die schliesslich in der Verfassung von 1974 muendete. Den Republiken wurden dabei immer mehr Kompetenzen zugewiesen, die Macht der Zentralorgane deutlich geschwaecht.

Fuer manche hatte Jugoslawien mit dieser Verfassung den Weg von der Foederation zur Konfoederation beschritten. Auch den beiden zu Serbien gehoerenden Autonomen Provinzen - Kosovo und der Vojvodina - wurden im Zuge dieses Prozesses eine betraechtliche Autonomie zugestanden. Sie erhielten einen Status, der sie nurmehr noch wenig von dem der Teilrepubliken unterschied.

Fuer das Kosovo hatte der 1966 eingeleitete Kurswechsel eine fundamentale Veraenderung der Machtverhaeltnisse zur Folge. Hatte bis in die Mitte der 1960er Jahre eine serbische Minderheit ueber die albanische Mehrheit geherrscht, so ging jetzt die Macht in die Haende einer albanischen Fuehrungsgarnitur ueber. Kosovo wurde jetzt nicht nur von den ethnischen Verhaeltnissen her, sondern in jeder Hinsicht zu einer albanischen Provinz. Alle politischen Aemter, Ressourcen, selbst Arbeitsplaetze wurden nach ethnischem Schluessel vergeben und beguenstigten dadurch natuerlich die albanische Bevoelkerungsmehrheit. Albanische kulturelle und Bildungseinrichtungen wurden stark ausgebaut; die Eroeffnung der Universitaet Pristina wurde zum Symbol einer neuen, selbstbewusster werdenden albanischen Intelligenz.

Die Verfassungsordnung von 1974, die Tito dem Staat fuer die Zeit nach seinem Ableben als dauerhaftes Fundament angedacht hatte, hat jedoch weder den Gesamtstaat noch den Kosovo stabilisieren koennen. Im Gegenteil: sie loeste Unzufriedenheit auf beiden Seiten, unter Serben wie unter Albanern, aus. Der Unmut der Serben ueber die 1974 ins Leben gerufene Autonomie des Kosovo wuchs dabei schon zu Titos Zeiten, vor allem in Teilen der serbischen Intelligenz. Solange Tito lebte, war an diesem Zustand, dem er selbst den Segen gegeben hatte, freilich nicht zu ruetteln. Nach seinem Tode jedoch begann sich schon bald diese Kritik offen zu artikulieren, in Slobodan Milosevic sollte sie ab 1987 schliesslich den Mann finden, der bereit war, diesen Status um jeden Preis zu revidieren. Die Autonomie, die von den Albanern des Kosovo als erstmalige Aufwertung ihres Status und angemessene Beruecksichtigung ihrer ethnischen Dominanz im Kosovo gewertet wurde, empfand die serbische Minderheit im Kosovo und mit ihr die serbische Oeffentlichkeit als politische Entmachtung, in letzter Instanz als Beschneidung serbischer Souveraenitaet ueber eine Region, in der man nach wie vor das Herz serbischer Staatlichkeit sah. Das Wort von der "Amputation Serbiens" machte die Runde, davon, dass Tito den Serben das Kosovo genommen hatte.

Die serbische Bevoelkerung im Kosovo fuehlte sich dabei zunehmend unwohl angesichts einer albanischen Bevoelkerung, deren zahlenmaessige Dominanz aufgrund einer hohen Geburtenrate immer erdrueckender wurde, deren Sprache man nicht verstand und auch nie hatte verstehen wollen, und deren Fuehrung immer selbstbewusster die Provinz zu regieren begann. Tausende von Serben verliessen seit den spaeten 1970er Jahren die Provinz. Die serbische Propaganda hat daraus einen gezielten Vertreibungsterror der Albaner gemacht, der das Ziel habe, ein ethnisch rein albanisches Kosovo zu schaffen. Die Gruende fuer die Abwanderung waren hingegen komplizierter: sie waren zunaechst oekonomischer Natur. Serben verliessen genauso wie Albaner das jugoslawische Armenhaus Kosovo, das ihnen keine Lebensperspektive bot. Waehrend viele Albaner jedoch als Gastarbeiter ins Ausland (oder auch nach Slowenien) gingen, wanderten die Serben zumeist in ihre Mutterrepublik aus. Die Abwanderung war sicherlich auch ein Reflex auf den Umstand, dass man sich aus der Position der herrschenden Minderheit ploetzlich in die Situation einer wenig geliebten Minoritaet versetzt sah. Zweifelsohne aber gab es auch Druck von seiten der Albaner, dem die albanische Provinzfuehrung nicht entschieden genug entgegentrat.

Schon vor dem Ausbrechen offener Feindseligkeiten verfiel das ethnische Klima daher zunehmend. Aber auch auf Seiten der Albaner gab es viele, denen die Autonomie der Provinz nicht reichte. Trotz allen Verbesserungen fuehlten sie sich nach wie vor als Benachteiligte im jugoslawiscehn Staat. Fuer sie war es schwer begreiflich, warum 600 000 Montenegrinern eine eigene Republik hatten, 1.8 Mio Albaner aber nur eine (wenn auch fast gleichgestellte) Provinz. Der trotz Wirtschaftshilfe der entwickelteren Republiken grosse und sich sogar noch vergroessernde Abstand des Kosovo zu den anderen Republiken in punkto Wirtschaftskraft und Lebensstandard naehrte das Gefuehl der Unterprivilegierung noch. Zugleich war jedoch in dem Jahrzehnt der Autonomie eine neue junge albanische Generation herangewachsen, welche diese Jahre als eine Zeit erfahren hatte, in der sich albanische nationale Identitaet erstmals hatte entfalten koennen. Sie, die in der Provinz selbst kaum eine soziale Perspektive fand, wurde zur Traegerschicht nationalen Unmuts auf albanischer Seite.

 

UNRUHEN IM KOSOVO NACH TITOS TOD UND DIE AUFHEBUNG DER AUTONOMIE 1989

1981, fast auf den Tag ein Jahr nach Titos Tod, kam es im Kosovo zu Unruhen unter Schuelern und Studenten, die schnell auch auf andere Bevoelkerungsteile und auch auf die Albaner in Mazedonien uebergriffen. Ihre Forderung war die nach einem vollen Republikstatus fuer den Kosovo, einige Hitzkoepfe kokettierten wohl auch mit der Parole des Anschlusses an Albanien. Es waren diese Unruhen, die den Auftakt bildeten zu einem Jahrzehnt fortlaufender Instabilitaet Jugoslawiens, die mit dem Zerfall des Staates endete. Die (damals noch ganz in den Fussstapfen Tito´scher Politik stehende) jugoslawische Fuehrung machte sich freilich wenig Muehe, die komplizierten sozialen, politischen und auch emotionalen Ursachen zu ergruenden, die hinter den Unruhen standen. Fuer sie waren es separatistische und "konterrevolutionaere" Proteste, denen man am besten mit dem probaten Mittel komunistischer Krisenbewaeltigung beikam, naemlich mit Polizei und Panzern.

Vor allem auf serbischer Seite sah man in ihnen ein Ergebnis der falschen Autonomie-Politik und zugleich eine Chance, diese zu revidieren. Vor allem die serbische Seite machte sich daher zum Anwalt einer repressiven Politik. Die schon in den fruehen 1980er Jahren begonnen Repressionen, die Verhaftungen und drakonischen Haftstrafen fuer hunderte von Schuelern und Studenten, die Saeuberungen der Uni, der Staats- und Parteiorgane, sie loesten freilich nichts, sondern trugen lediglich zur Verschaerfung des ethnischen Klimas und zur erneuten Entfremdung der albanischen Bevoelkerung vom jugoslawischen Staat bei. Die Autonomie der Provinz blieb dabei zunaechst noch gewahrt. Auch die serbischen Politiker wagten nicht diese anzutasten, wohl wissend um die Folgen, die dies fuer das sensible Gleichgewicht der Republiken innerhalb der ganzen jugosalwischen Foederation gehabt haette. Erst Slobodan Milosevic tat diesen Schritt und legte damit nicht nur die Axt an die Stabilitaet des Kosovo, sondern des gesamten jugoslawischen Staates. Er selbst hatte sich eigentlich in seiner Karriere nie fuer das Kosovo stark gemacht. In dem Masse, in dem die serbische Oeffentlichkeit, Intelligenz und orthodoexe Kirche um die Mitte der 1980er Jahre jedoch immer nationalistischer wurde, "entdeckte" er die Kosovo-Frage als Vehikel eigener Macht.

Das Versprechen "Kosovo fuer Serbien zurueckzugewinnen" verhalf ihm an die Spitze der serbischen Partei und sicherte ihm in der zweiten Haelfte der 1980er Jahre eine geradezu charismatische Unterstuetzung. Die Aufhebung der Autonomie des Kosovo (und der zweiten Provinz Vojvodina) 1989 sollte dieses Versprechen einloesen. Dieser Akt, brutal umgesetzt durch Armee und Sonderpolizei, war nicht nur die Wasserscheide fuer das Kosovo; er war auch ein gewichtiger Schritt auf dem Wege der Zerstoerung Jugoslawiens. Fuer die Albaner des Kosovo bedeutete er das endgueltige Ende der Moeglichkeit des Verbleibs innerhalb Serbiens. Fuer Slowenen und Kroaten, um diese Zeit bereits tief verstrickt in politischen Auseinandersetzungen mit Belgrad um die Zukunft des Staates, war diese Massnahme der endgueltige Beleg dafuer, was sie von einem Jugoslawien erwarten duerften, in dem Milosevic die Oberhand gewinnen wuerde.

Die Aufhebung der Autonomie im Kosovo untegrub so auch die Zukunftschancen Jugoslawiens und beschleunigte seinen Zerfall. Die Autonomie des Kosovo und die Verfassung von 1974 hatte sicherlich ihre Tuecken. Sie schuf einen merkwuerdigen staatsrechtlichen Status, der auf beiden Seiten Anlass fuer Unzufriedenheit bot. Die Provinz hatte (fast) alle Rechte einer Republik, aber sie war keine Republik. Umgekehrt war das Kosovo zwar formal weiterhin Bestandteil Serbiens; albanische Abgeordnete sassen im serbischen Parlament und stimmten dort ueber die Politik in Serbien ab; umgekehrt jedoch war serbischen Instanzen praktisch jedes Eingreifen im Kosovo genommen. So unausgegoren diese Regelung auch war, immerhin war sie ein Versuch gewesen, den ethnischen Realitaeten Rechnung zu tragen und einer damals bereits zu 80% albanisch besiedelten Region die notwendige Eigenstaendigkeit zu geben.

Letztlich aber war es nicht diese Autonomie, die den Kosovo in die Krise fuehrte, sondern der einseitige Akt Milosevic, diese Autonomie aufzuheben und durch ein Regiment der Repression und serbischen Vorherrschaft zu ersetzen. Nach 1989 begannen sich die Fronten zunehmend zu verhaerten, die Spielraeume fuer einen Kompromiss wurden zusehendsenger. Was den einen zuviel war - Autonomie im Stile von 1974 -, das war den anderen angesichts der alltaeglichen Repression laengst zu wenig. Ethnische Apartheid bestimmte den Alltag im Kosovo in den 1990er Jahren. Die Serben herrschten, die Albaner zogen sich auf den von ihnen geschaffenen "Parallelstaat" zurueck – einer eigenen politischen und sozialen Infrastruktur, die sie unter den Augen der serbischen Polizei in den 1990er Jahren aufbauten. Zunaechst erklaerte man sich zu einer eigenen jugoslawischen Republik, nach dem Zerfall des Staates dann in einem Referendum zu einem souveraenen und unabhaengigen Staat "Kosova" – eine staatliche Separation, die freilich von niemandem anerkannt wurde.

 

DER WESTEN, MILOSEVIC UND DIE ZUKUNFT DES KOSOVO

Auch im Westen fand der Gedanke eines unabhaengigen Kosovo keine Unterstuetzung. Drei Gruende waren dafuer wohl ausschlaggebend: Zum einen hatte man sich bei der Anerkennung der jugoslawischen Nachfolgestaaten auf das Prinzip der Achtung der Republiksgrenzen verstaendigt; von diesem Grundsatz konnte man sich jetzt, da es um Serbien ging, schlecht verabschieden. Zum zweiten haette die Anerkennung eines unabhaengigen Kosovo auch die muehsam gefundene Friedensgrundlage in Bosnien untergraben: haette man den Kosovaren die Abspaltung von Serbien gestattet, man haette gleiches den bosnischen Serben kaum mehr verweigern koennen. Schliesslich fuerchtete man die Sogwirkung, die ein unabhaengiges Kosovo auf die Albaner Mazedoniens, auch hier mindestens 30% der Gesamtpopulation und territorial kompakt an der Grenze zum Kosovo siedelnd, haette haben koennen.

Mochte man in dieser Haltung derinternationalen Gemeinschaft mit Blick auf die Gesamtkonstellation auf dem westlichen Balkan noch eine gewisse Logik erkennen, so wirkte es sich in mehrfacher weise folgenschwer aus, dass die Gemeinschaft sich gleichwohl nicht um irgendeine andere Loesung fuer das im wahrsten Sinne des Wortes bereits brennende Problem bemuehte. In Dayton klammerte man das Kosovo-Problem aus, um Milosevic, ohne den man nicht an eine Loesung fuer Bosnien glaubte, bei der Stange zu halten. Auch nach Dayton behandelte man diesen Konflikt trotz aller Rhetorik um seine moeglichen Folgewirkungen dilatorisch. Man ignorierte damit nicht nur die um keinen Deut nachlassende Repression im Kosovo, sondern auch die Tatsache, dass damit die Strategie des rein passiven Widerstands, zu der sich die Albaner und ihr Praesident Ibrahim Rugova im Wisssen um die hoffnungslose Unterlegenheit gegenueber der serbischen Militaermaschinerie bekannt hatte, zunehmend an Einfluss verlor.

Nicht nur die anhaltende serbische Repression, auch die Ignoranz der Staatengemeinschaft gab jenen Auftrieb, fuer die nicht nur jeder Verbleib in Serbien undenkbar war, sondern fuer die auch die friedliche Strategie Rugovas zu nichts gefuehrt hatte. Die UCK war so nicht nur ein Produkt der serbischen Repressionspolitik, sondern auch des verspaeteten Handelns der Staatengemeinschaft. Der Vertragsentwurf von Rambouillet haette, auch wenn er aus serbischer Perspektive als Diktat des Westens und Besatzung eigenen Territoriums verteufelt wurde, vielleicht einer Loesung den Weg oeffnen koennen, die Kosovo fuer Serbien erhalten haette. Auch wenn die albanische Unterschrift dabei taktischem Kalkuel entsprungen sein mag, die NATO zu einer Intervention zu veranlassen; letztendlich war es die Verweigerung der Unterschrift von serbischer Seite, die diesen Verbleib des Kosovo bei Serbien verspielte. So wie Milosevic mit seiner Politik in Kroatien und Bosnien serbische Interessen verspielte, so laeuft er jetzt Gefahr auch den Kosovo endgueltig zu verlieren.

Eine Autonomieloesung im Sinne der 1974er Verfassung oder des Rambouillet-Vertrages jedenfalls duerfte – zumindest kurzfristig - kaum mehr realistisch und nach den Vertreibungen der letzten Wochen fuer die albanische Bevoelkerung auch kaum mehr zumutbar sein; eine Unabhaengigkeit Kosovos wiederum waere nur um den Preis einer totalen Niederlage Milosevics zu realisieren. Mit Blick auf die moeglichen spillover-Folgen fuer die albanisch besiedelten Gebiete Mazedoniens und die Folgewirkungen auf Bosnien duerfte der Westen aber selbst dann zoegern, einem solchen unabhaengigen Staat Kosovo zuzustimmen. Was bleibt, scheint auf nahe Zukunft allenfalls die Moeglichkeit eines internationalen Protektorats zu sein, welches - ohne den Status der Region festzulegen - auf Jahre hinweg politisch wie militaerisch stabilitaetssichernd wirkt, in der Hoffnung, dass veraenderte politische Verhaeltnisse in Serbien irgendwann einmal eine einvernehmliche Gestaltung des Kosovo-Problems moeglich machen. Auch dafuer fehlt es freilich noch an den Voraussetzungen.

WOLFGANG HOEPKEN

Letzte Aktualisierung 25.05.99
Durch Raimo Harder
E-Mail: raimo.harder@bauing.uni-weimar.de