Beschreibung |
Gewohnheit wird häufig nur negativ und in Verbindung mit Zusätzen wie "lästig", "unangenehm" oder "zu überwinden" thematisiert. Bruno Latour hingegen hat ihr den Status einer eigenen Existenzweise eingeräumt. Dies verwundert nicht, wenn man sich vor Augen hält, dass habitude wörtlich nichts anderes als Seinsweise bedeutet. Tatsächlich ist die Gewohnheit von kaum zu überschätzender medienanthropologischer und -philosophischer Bedeutung: Seit Aristoteles wird sie dort reflektiert, wo man nicht von angeborenen, sondern von erworbenen Qualitäten ausgeht; auch ethos heißt zunächst nichts anderes als Gewohnheit. Der Charakter ist in dieser Denklinie also nichts innerlich Gegebenes, sondern Resultat von Aneignungen. Das Eigene wird, nicht zuletzt in Praktiken (vgl. die Bräuche, der Gebrauch) sukzessive konstruiert zwischen Innen und Außen, worauf die Nähe von Gewohnheit und habitude, oder custom/coutume zu Wohnen, Habitat, Kleidung und Kostüm oder der Entstehung des Begriff Routine aus der Route, dem Weg, verweist. Die Natur des Menschen steht in Frage, nicht nur, weil Gewohnheiten als zweite Natur aufgefasst werden können, sondern auch, weil in der Automatisierung des Gewohnten die Grenze zu Tier und Maschine durchlässig wird. So treffen Gewohnheit und Algorithmus aufeinander, wenn Maschinen eingesetzt werden, um unsere Routinen und Gewohnheiten zu erfassen. |